Was macht uns Menschen zum sozialen Lebewesen? Ist es die Tatsache, dass unsere längst vergangenen Vorfahren nach und nach erste Gesellschaften gründeten? Dass sie lernten, ihre Arbeiten aufzuteilen, ihre Professionen auszudifferenzieren und gemeinsam für ihre Gemeinschaften zu produzieren? Oder, dass unsere Spezies viele Jahre später damit begann, Institutionen zu etablieren und gesellschaftliche Gedankenkonstrukte zu entwerfen, auf die sich eine breite Bevölkerungsschicht gleichermaßen verlassen konnte? Regeln, Pflichten, gegenseitiger Verlass; alles dem Zweck dienend, unser Handeln in der kleinsten Ebene aufeinander abzustimmen, um dadurch ein funktionierendes System am Laufen zu halten, das dem Wesen des denkenden Sozialgeschöpfs Mensch gerecht wird.
Die Grundlagen dieses Handelns jedoch wurden nicht im luftleeren Raum erschaffen, sondern beherbergen jene immanenten Eigenschaften, die uns zurück zur Ausgangsfrage bringen. Gemeint dabei sind: Unsere Werte, unsere ethischen Grundpositionen, sowie unser Verständnis von Moral und moralischem Handeln, mit welchem wir uns tagtäglich auseinandersetzen müssen. Unsere jeweiligen Sozialisationen bieten dabei Regeln, oder sagen wie lieber Fallbeispiele, anhand derer wir uns diesen komplizierten Problemstellungen nähern können, die aber vielleicht weniger die Frage zu beantworten versuchen, inwiefern wir soziale Lebewesen sind, sondern vielmehr, inwiefern uns dieses soziale Leben dem eigenen Moralverständnis nach zu „guten Menschen“ macht.
Wichtiger Hinweis: Im folgenden Artikel geht es unter anderem auch um selbstverletzendes Verhalten und Suizid.
Mehr als Gut und Böse
Moralisches Handeln in Videospielen nimmt seit geraumer Zeit eine große Rolle ein. Spiele wie Mass Effect, Dragon Age, Star Wars: Knights of the Old Republic, Life Is Strange oder auch die Titel des mittlerweile insolvent gegangenen Studios Telltale bauen seit Jahren Spielmechaniken um das Modell der verästelten Moralentscheidungen. Dabei sehen sich die Spielenden oft mit Dilemmata konfrontiert, die in ihren subversivsten Formen vom klassischen Gut/Böse-Schema abweichen und die moralische Einschätzung der Spielenden in besonderer Weise fordert.
Ein kurzer Exkurs dazu: Vielen ist sicherlich das Trolley-Problem bekannt, ein moralisches Dilemma, bei dem ein Zug ein Bahngleis entlangfährt, an dessen Ende sich fünf Menschen befinden, die im Begriff sind, überfahren zu werden. Die Person, die vor dieses Problem gestellt wird, hat allerdings die Möglichkeit, einen Hebel umzulegen, der die Schienen verlegt, sodass der Zug eine andere Strecke entlangfährt – auf der sich lediglich ein Mensch befindet. Diese beiden Entscheidungen lassen sich grob in zwei Denkrichtungen einteilen: Das Umlegen des Hebels wäre dem sogenannten Konsequentialismus zuzuordnen, bei welchem „Der Zweck die Mittel heiligt“. Sich für die Möglichkeit einzusetzen, insgesamt fünf Menschenleben retten zu können, auch wenn es das Opfer einer weiteren Person bedeutet, wäre in diesem Fall also die oberste Doktrin. Dem Konsequentialismus lässt sich auch der Utilitarismus zuordnen, in dem zweck- und nutzenorientiertes Handeln an erster Stelle sehen.
Die andere Möglichkeit, also sich zu entscheiden, nicht in die Situation einzugreifen, ließe sich wiederum der Deontologischen Ethik zuordnen. Ein anschauliches Beispiel hierfür wäre der kategorische Imperativ von Kant, also die Aussage, dass das persönliche Handeln in einer Form ausgeübt werden soll, die sich als allgemeingültiges Gesetz etablieren lassen könnte. Da ein selbstverursachter Tod nach unserem gängigen Moralverständnis da eher nicht drunter fällt, bleibt nichts anderes übrig, als den Zug ungestört weiterfahren zu lassen. Exkurs Ende!
Eigentlich soll sich dieser Artikel auch gar nicht exklusiv mit Moralauseinandersetzungen innerhalb von Spielen beschäftigen. Ich war ehrlich gesagt positiv überrascht, als ich bei meiner Recherche feststellte, wie ausführlich dieses Feld bereits bearbeitet wurde. Von kurzen Kolumnen bis hin zu didaktischen Dossiers, wissenschaftlichen Forschungsprojekten und Design-Handbüchern ist alles vertreten. Die besondere Möglichkeit der Interaktivität und Handlungsfreiheit (wenn auch immer innerhalb der vom jeweiligen Spiel festgelegten Regeln) ermöglicht es in der Theorie, Spiele zu einem Ausprobier-Spielplatz zu machen, in dem moralische Dilemmata das eigene Denken in dieser Hinsicht schulen und der persönlich Horizont um die gemachten Erfahrungen erweitert wird.
The Missing und der Schmerz des Spielens
Eine dieser Erfahrungen war es auch, die den Funken gezündet hat, der schließlich diesen Text zur Folge hatte. Vor einigen Wochen spielte ich das im letzten Oktober erschienene The Missing: J.J. Macfield and the Island of Memories. Entwickelt wurde der Titel von Hidetaka „Swery 65“ Suehiros (D4, Deadly Premonition) in Zusammenarbeit mit seinem neu gegründeten Studio White Owls. Das Spiel stellte sich als seltsamer Trip aus Swery-typischer Abstrusität, herzerwärmender Menschlichkeit heraus und überraschte mit der Thematisierung von (im Spielebereich) selten behandelte LGBTQ-Themen. Die zentrale Spielmechanik war es allerdings, welche es mir besonders angetan hatte. Zur Erklärung: Eure Spielfigur, J.J. Macfield, wird ziemlich zu Beginn des knapp achtstündigen Plattformers mit der absonderlichen Fähigkeit ausgestattet, ihren eigenen Körper in sekundenbruchteilen von jeglichen Verletzungen zu heilen. Der Preis dieser übermächtigen Kraft, die Wolverine sicherlich neidisch machen würde: Eine bevorstehende Reise voller Strapazen, Schmerz, Verletzung, Verstümmelung und allerlei weiteren körperlichen Schäden, die man sich nur vorstellen kann. Was in einem Titel wie NeverDead zum halbgaren Witz missbraucht wurde, ist in The Missing kein Spaß. Im absoluten Gegenteil.
Um Fortschritt im Spiel zu machen und eurer fortgelaufenen Freundin Emily hinterher zu kommen, seid ihr permanent darauf angewiesen, euch selbst zu verstümmeln. Also rennt ihr gegen Metallspitzen, Stacheldraht, in sengendes Feuer, gegen schwingende Abrissbirnen, verliert eure Beine, eure Arme, brennt, brecht sogar euer Genick, nur um im Anschluss mit unmenschlich schiefem Kopf und gebrochenem Bein zur nächsten Rätsellösung zu schlurfen. Begleitet wird diese Selbstverletzung von den markerschütternden Schreien von J.J. Versagt ihr in bestimmten Spielabschnitten oder kommt nicht gleich auf des Rätsels Lösung, werdet ihr direkt doppelt bestraft: Neben dem puren spielmechanischen Versagen seid ihr dazu gezwungen, eure Spielfigur ein weiteres Mal in ihr eigenes Verderben zu schicken, abermals begleitet vom Schreien und Schluchzen J.J. Macfields. Das selbstschadende Verhalten, die gewaltsame Umwelt, mit der wir es zu tun haben, all das macht im Kontext der spielerischen Auflösung durchaus Sinn und dennoch war mein Spielerlebnis eines, das mir sehr an die Nieren ging. So stellte ich mir im Laufe der acht Stunden, lange vor der finalen Auflösung, folgende Frage: Wäre es nicht vielleicht moralisch richtiger, dieses Spiel nicht weiter zu spielen?
Ein hämischer Kommentar?
Hat Swery hier möglicherweise ein moralisches Dilemma inszeniert, in welchem die Entscheidung der Abkehr vor weiterem Schmerz für meine Spielfigur eine valide Option ist? Zu Beginn erschien mir Vieles an The Missing als eine reine Verhöhnung der Spielerschaft, eine Veralberung der spielerischen Angewohnheit, mechanischen Fortschritt als oberste Doktrin anzusehen und alles spielerisch Mögliche aus einem Titel rauszuholen, so lapidar jene Aktivitäten sich auch gestalten, die letztendlich zum 100% Score oder der Platinmedaille führen.
Eine der ersten Interaktionen mit der Spielwelt von The Missing ist das Einsammeln eines Donuts. Von diesem könnt ihr während des Spielverlaufs etliche weitere sammeln, durch welche ihr optionale Chat-Nachrichten auf eurem Smartphone freischalten könnt. Viele dieser Donuts sind wiederum damit verbunden, optionale Rätsel zu meistern, und damit auch indirekt mit weiterem Schmerz und Leid für eure Spielfigur. Dass es sich hierbei ausgerechnet um Donuts handelt, kann natürlich nur ein zufälliger Einfall sein – oder man liest diese Entscheidung für die optionale Suche nach diesen eigentlich lapidaren Gegenständen im Kontext einer ansonsten überraschend humorbefreiten und ernsten Geschichte als bewussten Kommentar. Als direkte Fragestellung, wie wichtig es der Spielerschaft tatsächlich ist, am Ende des Spieldurchgangs einen möglichst hohen Score erreicht und eine möglichst beachtliche Anzahl sinnloser digitaler Gegenstände gesammelt zu haben. Dafür weitere Stunden das schmerzvolle Geschrei von J.J. mitanhören zu müssen: ein notwendiges Übel, so sind Spiele eben. Herzlichen Glückwunsch, lieber Spieler, diese 20 weiteren Enthauptungen und Genickbrüche gehen aufs Haus.
Und dann fing ich an, den Gedanken, den The Missing in mir geweckt hat, weiter zu spinnen. Von der bloßen Moralentscheidung in Spielen zur moralischen Frage des Spielens. Dieses Thema ist ein heikles, kämpfen Spiele doch seit jeher darum, ihre Kunstfähigkeit und kreatives Potential, ungeachtet von Faktoren wie grafischer Gewalt, für sich zu beanspruchen. Durch Amokläufe wie in Winnenden gerieten Spiele jedoch in den Verdacht, Gewalt zu fördern und durch die Rolle des Akteurs zu verharmlosen. Die Gegenposition zu diesen Behauptungen, die vor allem im politischen Bereich gerne immer wieder geäußert wurden, blieb bis heute standhaft: Spiele sind fiktionale Erzeugnisse die genauso eine Abstraktionsfähigkeit voraussetzen wie andere Medien. E-Sports-taugliche Titel wie Counter-Strike priorisieren Taktik und Teamgeist, und nicht etwa das stumpfe Abknallen anderer Menschen.
In den letzten Jahren hat sich vieles getan und so steht der öffentliche Zeitgeist Spielen nicht mehr in der gleichen aggressiven Zensurhaltung gegenüber, wie es vielleicht noch vor 10-15 Jahren der Fall war. Die damals notwendige Verteidigungshaltung aus dem Lager der Videospieler lebt allerdings immer noch weiter. Das sehen wir in vielen Diskussionen und lautstarken Auseinandersetzungen über die Fragen, wie Spiele zu sein haben, wen sie ansprechen sollen, und in welche Richtung sich das Medium generell weiterentwickelt. Spiele mit Easy Modus und Walking Simulator-Komponenten? So vermeintlich trivial solche Themen auch klingen mögen, so führen diese neuen Gedanken und Ausrichtungen doch immer wieder zu manch hitziger Diskussion.
Künstliche Intelligenz: Wie wir in Zukunft mit der Moralfrage umgehen werden
Vielleicht ist es an der Zeit, eine Diskussion zu eröffnen, die sich ungeachtet des Ballasts vergangener Kontroversen und Debatten tatsächlich mit der Frage beschäftigt, in welcher Verantwortungsposition wir selbst als spielende Person stehen. Gibt es heutzutage eine moralische Fragestellung, die nicht nur unsere Spielfigur sondern auch uns selbst tangiert? Und wenn es sie nicht heute gibt, gibt es sie vielleicht in absehbarer Zeit? Ein lesenswertes Interview zu diesem Thema aus dem Jahr 2014 mit Brian Tomasik, einem Forscher des Foundational Research Institute, findet man auf dem Nachrichtenportal Vox:
“As computing power increases, both on Earth and perhaps eventually in other parts of the galaxy, humans may run massive numbers of computations at high speed, some of which may embody morally relevant processes. Video-game NPCs are one example of this. In addition, as these NPCs become more life-like, intelligent, and affectively sophisticated, the moral weight of any given individual will increase. It’s possible that video games in 50 years will routinely contain characters as sentient as a minnow or salamander is today.” – Dylan Matthews & Brian Tomasik, vox.com
Künstliche Intelligenzen haben sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt, aber vergleichen wir ihre Fähigkeiten mit menschlicher und tierischer Kognition, liegt noch ein weiter Weg vor der Technik. Deswegen vorweg: Natürlich lässt sich der Angriff auf einen NPC nicht per se mit der Gewaltausübung gegenüber Menschen oder Tieren vergleichen. Dennoch müssen wir uns die Frage stellen, wo wir bereit sind, eine Grenze zu ziehen, und wie wir vorhaben, mit dieser zu verfahren – was sich als gar nicht so einfach herausstellt, wie man vielleicht denken mag:
“We might think there should be a threshold of cognitive complexity below which computational agents stop mattering, but it’s not clear where to set such a threshold. Each step in increasing an artificial agent’s mental abilities by itself looks rather trivial; it generally means just adding some extra lines of code. It’s when all of these seemingly trivial steps are added together that the agent traces out patterned behavior that looks more meaningful to us. If we insist on self-reflection as a clear cutoff for moral concern, we run into the problem of specifying where „self-reflection“ begins and ends. Even a trivial computational agent may monitor its own state variables, assess its performance, generate statements about itself, store and retrieve memory logs of its past experiences, and so on. Without a clear dividing line here, I think a computational agent with these trivial abilities ought to be called marginally self-aware, and an agent with more powerful and advanced self-reflection ought to be called more self-aware.” – Dylan Matthews & Brian Tomasik, vox.com
Nochmals die Frage: In welcher Verantwortungsposition stehen wir möglicherweise selbst, als Akteure, die dadurch oftmals mit einer besonderen Macht ausgestattet sind, wenn es um unsere moralische Entscheidungsgewalt in und über Spielwelten geht? Gelegentlich sind wir auch ein Gott, der über den Aufbau ganzer Zivilisationen entscheiden darf. Wie sollten wir uns dabei fühlen? Sollten wir überhaupt etwas empfinden?
Die Machtfrage: Der Gott außerhalb der Maschine?
Ein Spiel, das in besonderer Weise an seine SpielerInnen appelliert, ist Undertale von Toby Fox. Die JRPG-Hommage aus dem Jahr 2015 narrativiert und dekonstruiert in einer besonderen Weise Spielmechaniken, die von Fans dieses Genres über Jahrzehnte hinweg angelernt wurden. Vom Speichern bis zum Level Up liest sich alles als ein bewusster Kommentar, welcher sowohl unsere Welt und Existenz als Spieler, als auch die Spielwelt selbst tangiert. Spielt ihr Undertale im True Pazifist Run (in welchem Kämpfe gänzlich vermieden werden müssen) durch, gibt es am Ende von diesem eine explizite Ansprache an euch, in der ihr gebeten werdet, die Spielwelt ein für alle Mal ruhen zu lassen. Nach all den Strapazen seid ihr an einem Happy End angekommen, das für eure Spielfiguren Frieden und Eintracht bedeutet. Das Spiel ist sich dabei bewusst, welche Macht ihr habt, dass es nur ein paar Tastendrücke im Menü für euch bedeuten würde, den Spielstand mit euren glücklichen, liebgewonnenen Spielfiguren zu tilgen und durch einen neuen Anlauf zu ersetzen. Die Figuren sind Zahlen und Buchstaben auf eurer Festplatte, und doch werdet ihr gebeten, diese Zahlen in Frieden zu lassen. Es ist eine hypothetische Frage, die hier gestellt wird:
“Undertale uniquely places this ethical dilemma on the player’s side of the screen and asks: ‘What kind of person are you when you have this power in your hands?’” – Kat Smalley, popmatters.com
Ein ähnliches Gefühl vermittelt auch NieR:Automata. Während ihr als die YoRHa-Einheiten 2B und 9S auf die Erde geschickt werdet, um diese von seinen Invasoren, den Maschinen, zurückzuerobern, geratet ihr an mehr und mehr Informationen, die euch doch sehr an der vermeintlichen Feindseligkeit eures Gegners zweifeln lassen. Die offene Welt, die ihr in Automata durchwandert, zeichnet das Bild einer Postapokalypse, in der die Natur bereits im Begriff ist, sich allmählich zurückzuholen, was ihr die Zivilisation und jahrhundertelange Kriege genommen haben.
Auf euren Reisen von Punkt A nach Punkt B stoßt ihr immer wieder auf Gruppierungen von Maschinen, die bei genauerem Hinsehen ein friedvolles Dasein fristen – Seite an Seite mit Elchen und Ebern, die ebenfalls im hohen Gras vor sich hinvegetieren. Die Entscheidung, wie ihr mit diesen umgeht, inwiefern ihr mit den Informationen, die das Spiel euch über die Herkunft und wahren Motive der Maschinen mitteilt, verfahrt, liegt völlig bei euch. Automata legt euch keine moralische Pistole auf die Brust und zwingt euch nicht das Dilemma in diesen Momenten überhaupt erst anzuerkennen. Akzeptiert ihr die Indoktrination eines Feindbilds seitens YoRHa und nehmt die zusätzlichen Erfahrungspunkte dankend an? Oder weigert ihr euch, zusätzliche Gewalt gegen die Lebensformen auszuüben, die eure Ausbildungsbasis als zu minderwertig, zu unterkomplex ansieht, um überhaupt erst als solche anerkannt zu werden?
Mehr Realismus, mehr Immersion, mehr Probleme
Wir haben natürlich keine Ahnung, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich künstliche Intelligenzen in Zukunft entwickeln werden. Vielleicht würde Undertale, wäre es in 50 Jahren entwickelt worden, eine ganz andere Wucht in seiner Entscheidung vermitteln. Wenn dann wie Brian Tomasik beschrieben, die mentale Kapazität eines NPCs möglicherweise auf dem Level eines Salamanders wäre. Inwiefern hätten wir dann Schwierigkeiten damit, eine ganze Spielwelt aus ihrer Existenz zu tilgen?
Wir befinden uns in einem künstlerisch vielfältigen Spiele-Zeitalter, in dem sich unkonventionelle Darstellungsweisen wie die eines GRIS oder eines Low-Poly-Titels wie Virginia die Hand reichen, und doch ist es gerade die Darstellung und Simulation eines realistischen Spielgefühls, die vor allem im AAA-Markt oftmals stark propagiert wird. Zuletzt sahen wir dies am Beispiel von Red Dead Redemption 2 – das allerdings auch nicht bedingungslos positiv mit dieser Vision ankam und bei einigen Spielern eher genervte Reaktionen hervorrief. Während die Darstellung von dem was als „authentisch“ oder auch „historisch korrekt“ wahrgenommen wird wieder ganz andere Diskussionen mit sich bringt, steht zumindest außer Frage, dass Entwicklungen auf einer rein technischen Ebene weitergehen werden. Auch wenn die Verbesserungen von künstlichen Intelligenzen innerhalb der Spieleentwicklung eher zäh voranschreiten: In anderen Fachbereichen, beispielsweise an Universitäten, wird bereits versucht, die Grenzen des bisher Machbaren so gut wie möglich auszuloten.
Neben dem Drang nach Realismus und möglichst detailgetreuen Darstellungen unserer Wirklichkeit, versorgen uns VR-Brillen nun auch mit einer neuen Art der immersiven Spielerfahrung, die unseren Aktionen innerhalb der virtuellen Spielwelten einen noch größeren Wert verleihen. Die zuletzt zunehmende Akzeptanz von VR lässt vermuten, dass auch zukünftige Konsolen mit jener Technik ausgestattet sein könnten, und so scheint es, dass uns diese Technologie nach anfänglichen Zweifeln doch nicht mehr so schnell verlassen wird. Über deren Zukunft lässt sich jedoch nur spekulieren: Wird es einen Zeitpunkt geben, an dem Spiele nur noch in einer Form wahrgenommen werden, die einen selbst zum Teil der Spielwelt machen? Man stelle so manchen entscheidungsträchtigen Moment der vergangenen Videospielgeschichte in einer weit fortgeschrittenen virtuellen Realität vor, ausgestattet mit künstlichen Intelligenzen, die unsere jetzigen weit in den Schatten stellen. Wer kann dann noch von sich selbst behaupten, dass seine eigenen, möglicherweise moralisch fragwürdigen Handlungen in dieser Welt keinerlei Auswirkungen haben? Oder in irgendeiner Art weniger verwerflich sind, als die Entscheidungen, die man trifft, sobald die Realitäts-Brille wieder abgenommen wurde?
Demut vor der (digitalen) Welt?
Zusammenfassend stehen wir also vor zweierlei: Zum einen ist da die Tatsache, dass wir Spielen mittlerweile, gleich der Literatur oder dem Film, die Fähigkeit zusprechen unser moralisches Denken zu schulen. Gleichzeitig wissen wir allerdings, dass künstliche Intelligenzen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch in den kommenden Jahren an Leistung zunehmen werden, was dazu führt, dass moralisches Handeln, das sich gegen jene Intelligenzen richtet, zunehmend problematischer wird. Und so sind wir es möglicherweise, die sich auf jene ethischen Fragen vorbereiten müssen, die uns in dieser Zukunft erwarten könnten. Fragen, die sich damit auseinandersetzen, inwiefern mit künstlichen Intelligenzen gefüllte Spiele weiterhin die unproblematischen Selbstverwirklichungs- und Probierspielplätze bleiben können, die sie heute größtenteils noch sind. Dieser Zustand könnte womöglich schneller erreicht werden, als wir denken. Vielleicht ist es ja nie zu früh, damit anzufangen, Spielwelten und ihren Figuren mit einer gewissen Demut zu begegnen. [ja]
Mehr zu den Themen:
Das Schöne an The Missing ist ja, wie es das ganze Leid letztendlich in einer ergreifenden Katharsis in eine andere Richtung kehrt. Ich habe J.J.s Qualen während des Spielens auch nie als Folter oder Geißelung wahrgenommen, sondern eher als extrem steinigen Weg, an dessen Ende das helle Licht wartet (schon bevor ich wusste, wie das Spiel tatsächlich ausgehen würde).
Trotzdem wirklich spannend, darüber nachzudenken, welches Leid man als Spieler J.J. aktiv zufügt, sofern man The Missing auf einer solchen Metaebene betrachtet.
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Interessant, ich hab irgendwie eine Mischung aus beidem rausgelesen: Zum einen gibt es ja nicht nur das ständige Verletzen, sondern eben auch die Wiederherstellung, also den Kampf mit dem Selbst und die eigene Herausforderung, nicht aufzugeben, so steinig der Weg auch ist. Zum anderen habe ich aber nicht nur den Kampf mit dem eigenen Selbst, sondern auch mit der Umwelt gesehen, welche einen zum „Spielball“ des Geschehens macht und deren Gewalt (psychisch und körperlich) ein mindestens ebenso großer Feind J.J.’s ist.
Auf jeden Fall ist es ein wirklich einzigartiges Spiel, über welches ich gerne noch viele weitere Analysen lesen würde, denn an zu interpretierendem Inhalt mangelt es The Missing ja nicht :)
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Ein Problem ist natürlich häufig, dass „nicht Handeln“ oftmals keine wirkliche Entscheidung in einem Spiel ist, es sei denn es führt bereits zu einer moralischen Extremabwägung wie im bekannten Zug-Beispiel, weil Spiele zu sehr damit beschäftigt sind, die Spielfigur als die omnipotente Schlüsselfigur in einem jeglichen Dilemma zu positionieren. Es sei denn natürlich die Entscheidung ist ganz Meta das Spiel gar nicht weiterzuspielen. Zumindest in vielen modernen Spielen, bei denen durch die an die Auswirkungen gebundenen Budgets nicht mehr so viel Freiheiten möglich sind wie in frühen Computer-Rollenspielen, wo es tatsächlich viel mehr Lösungsansätze statt nur zwei Extreme/zwei gleich-schlechte Lösungen präsentiert werden konnten.
Die Sache mit der künstlichen Intelligenz finde ich übrigens sehr interessant, weil ich als Kind/Teenager die Creatures-Reihe sehr gerne gezockt habe, eine Simulation, in der man Alienwesen wie Haustiere großziehen und vermehren kann. Die hatten sich nämlich schon immer daran beworben, dass dort viel KI dahinter steckt, man ihnen Worte beibringen oder ihr Verhalten steuern kann. Und natürlich konnte man sie auch geradezu misshandeln.
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Den Gedanken finde ich wirklich spannend. Die meisten Videospielwelten, in denen wir vor solche Entscheidungen gestellt werden, funktionieren wahrscheinlich tatsächlich nicht autonom genug, dass es allzu viele Entscheidungen gäbe, bei denen wir uns einfach „raushalten“ können, und das tatsächlich als Option gehandhabt wird. Mir würde jetzt sowas wie die simulierte Fauna im neuen Monster Hunter einfallen. Oder sonstige (Rollen-)Spiele, in denen bestimmte Gruppierungen oder Lebewesen untereinander Kämpfe ausüben, die man theoretisch auch passiv beobachten kann. Allerdings scheint es mir so, als dass es in diesen Fällen oftmals weniger um „eingreifen oder nicht eingreifen“ geht, sondern mehr um „zu welchem Zeitpunkt entscheide ich mich dafür, einzugreifen“.
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Diese Meta-Entscheidung ein Spiel nicht weiterzuspielen, hatte ich auch in meinem Artikel zu P.N.03 schon einmal angerissen. Siehe Kapitel IV teilweise, vor allem aber Kapitel V: https://spielkritik.com/2016/11/11/einsamkeit-im-garten-eden/2/
Ich hab den Artikel nun auch gleichmal unter Johannes‘ Text mitverlinkt, da er in manchen Punkten ein bisschen daran anschließt, denke ich.
Ferner finde ich, dass gerade die Frage „Spielen oder nicht weiterspielen?“ einige andere interessante Fragen nach sich zieht: Schließlich könnte man argumentieren, dass mit einem Nicht-Weiterspielen den Figuren ja auch nicht wirklich „geholfen“ ist; dass sie durch diese Entscheidung praktisch aufhören zu existieren (oder, weniger meta, zumindest ihre Probleme nicht gelöst werden).
Und das finde ich deshalb interessant, weil es eben auch wieder eine Variante des Trolley-Problems ist: Durch ein Nicht-Spielen retten wir nicht notwendigerweise „jemanden“, vielleicht eher im Gegenteil, wir vermeiden es aber, entsprechend der im Artikel beschriebenen deontologischen Ethik, eine Handlung auszuführen, die an und für sich unseren Moralverstellungen widerspricht.
Und da muss ich dann wieder an diesen fantastischen Kniff in Killer 7 denken, den ich auch im P.N.03-Text erwähne, und wie dieses Spiel den Spieler dazu verleitet, ohne jegliche Erklärung und Legitimation erst einmal eine unbekannte Figur zu „töten“, also jegliche Moralvorstellungen der echten Welt über Bord zu werfen, schon um das Spiel beginnen zu dürfen.
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Was ich allerdings auch schwierig finde, wenn es darum geht die Moralvorstellungen der echten Welt auf Spiele zu übertragen, ist, dass man erst mal auf die Idee kommen muss. Als Spieler bin ich häufig einfach darauf konditioniert das, was mir im Wege ist, aus besagtem Weg zu räumen, um weiterkommen zu können. Natürlich können jene Behinderungen auch in Form von Puzzeln in bspw Adventure Games auftreten oder auf Menschen beschwichtigend eingeredet werden, wenn es sich um eine Art interaktiven Film handelt… doch die meisten Spiele haben eben immer noch „Gegner im Weg, also vernichte Gegner“ als ihre Hürden. Da muss dann die narrative Seite in der Regel bereits besonders dick auftragen, damit man sich wirklich auf die moralische Frage des Tötens einlässt.
Bei Shadow of the Colossus beispielsweise. Es wird gerne immer wieder von jenen, die das Spiel etwas verkopfter angegangen sind, dargelegt, dass die Kolosse zu erlegen bereits eine extreme moralische Hürde ist. Sie tun ja niemandem was, sondern leben in einem abgelegenen Winkel der Welt friedlich vor sich hin, einige greifen noch nicht mal an, wenn man in ihr Revier eindringt, sondern erst nachdem der Erstschlag gemacht wurde. Ich würde aber mal sagen, dass dieser Gedanke vielen Spielern nicht oder erst spät gekommen ist, weil man es einfach so gewohnt ist, dass Bosse zum erlegen dar sind und sonst hätte man kein Spiel, da es keine Möglichkeit gibt, einfach aufs Pferd zu steigen, wieder die Brücke aus dem Tal zu nehmen, und sie sich selbst zu überlassen.
Im Vergleich dazu die Maschinen in Nier: Automata, die einem eben direkt zurufen müssen, dass sie doch nur Frieden wollen und man sie Bitte nicht umbringen soll, um auch sicherzugehen, dass der Normal-Spieler sie nicht schon alle umgenietet hat, bevor überhaupt gemerkt wird, dass sie gar nicht von sich aus aggro sind.
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Was mir da gerade, zwei Sekunden nachdem ich den Kommentar abgeschickt habe, auch noch zu einfällt ist der Tomb Raider Reboot. Dort wurde ja auch häufig einfach die extreme Diskrepanz bemängelt zwischen einer Lara Croft, die auf ihrem ersten Abenteuer in den Cutscenes enorm damit zu kämpfen hat, ihr gefährlich gewordene Menschen umzubringen… nur damit man im Gameplay-Part wie Xena die Kriegerprinzessin Kampfschreiend Dutzende Gauner in ihrem Bandenunterschlupf niedermetzelt.
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Gerade diese, sagen wir mal „Konditionierungen“ die du da ansprichst, finde ich im Kontext von Spielen, die einen mit Moral konfrontieren, besonders spannend. Undertale ist da ein gutes Beispiel, da im Grunde so gut wie jede Kernspielmechanik hinterfragt wird und der Spieler dadurch in gewisse „Fallen“ gelockt wird. Ich glaube, genau so etwas wird in den kommenden Jahren, wenn sich mit VR vielleicht auch gewisse „eintrainierte“ Handlungsmuster ändern werden, bestimmt stärker hinterfragt werden. Ich würde zumindest gerne mehr Titel sehen, die solche gelernten Muster und Strukturen öfter hinterfragen und enttarnen.
Shadow of the Colossus habe ich leider noch nicht durchgespielt, aber ich gehe da eher mit deiner Lesart mit. Für das was ich eben beschrieben habe, scheint es mir ein treffendes Beispiel zu sein, da es die spielmechanische Herausforderung (große Bosse besiegen, eine Aufgabe, der man sich als Videospieler liebend gerne stellt) dafür genutzt wird, den Spieler moralische Hintergründe ausblenden zu lassen, um ihn dann in der Auflösung (so schätze ich) auf dem kalten Fuß zu erwischen.
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Achtung! Dieser Kommentar könnte etwas wirr sein. Ich hoffe man versteht trotzdem was ich meine.
So ich habe jetzt diesen tollen Artikel, außer die Passagen zu The Missing, und auch die Kommentare gelesen. Und dabei kamen mir natürlich auch so einige Gedanken, die auch schon in den Kommentaren aufgegriffen würden. Und trotzdem habe ich mir gedacht, dass es bei moralischen Entscheidungen in Videospielen noch eine Ebene gibt. Nämlich mich den Spieler. Eine Entscheidung betrifft also nicht nur die Spielfigur, andere NPCs und die Spielwelt, sondern auch mich. Ich habe aber in der Regel den Anspruch soviel wie möglich vom Spiel zu bekommen wie möglich. In dem ich mir zum Beispiel soviele Questgeber wie möglich offen halte. Das behindert mich dann aber vielleicht bei moralischen Fragen. Stelle ich meine spielerischen und persönlichen Wünsche über die der Figuren und Geschichte? Oder ist es mir wichtiger, dass die Welt und deren Bewohner moralisch Korrekt funktioniert. Was das ist muss natürlich jeder für sich selbst ausmachen. Ohne es schon selbst gespielt zu haben, scheint mir Vampyr so eine Art von Spiel zu sein.
Was mir aber noch in Sachen moralischer Fragen einfällt und mich als Spieler direkt involviert, ist My Child Lebensborn. Wo es immer darum geht, was kann ich tun damit es meinem Kind gut geht? Was ist wichtiger? Essen oder saubere Kleidung? Lieber einen Tag kein Essen oder es riskieren, dass mein Kind noch mehr in der Schule gemobt wird. Was tue ich gegen das Mobbing. Wenn ich eingreife, riskiere ich, dass mein Kind am nächsten Tag die Konsequenzen zu spüren bekommt. Es gibt keine richtige Entscheidung. Aber du musst Entscheidungen treffen und damit und den Folgen leben. Das ist etwas was viele andere, auch große Spiele, meiner Meinung nach vermissen lassen. Auch wenn es um vermeintlich große Fragen geht.
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Vielen Dank für deinen Kommentar und das Lob! :)
Das was du da ansprichst, also diese Diskrepanz zwischen persönlichem Spaß und dem, sagen wir mal „Verantwortungsbewusstsein“ gegenüber der Spielwelt ist tatsächlich interessant. Im Kopf hab ich da auch direkt Beispiele, die in die Richtung dessen gehen, was gerne mal als Ludonarrative Dissonanz bezeichnet wird, also eine Diskrepanz zwischen Erzählten und dem, was gespielt wird. In Fallout 4 beispielsweise ist man ja laut Story auf der Suche nach dem eigenen Kind, doch das tatsächliche Gameplay sieht in den allermeisten Fällen so aus, das man erst mal etliche Nebenaktivitäten absolviert, bevor man sich weiter der Suche zuwendet. Das könnte man dann natürlich auch auf einer moralischen Ebene einordnen und bewerten. Besonders interessant finde ich bei solchen „eintrainierten“ Spielmechaniken, inwiefern wir mit ihnen umgehen würden, hätten wir da eine weit fortgeschrittene künstliche Intelligenz vor uns.
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Um die Frage nach der Verantwortung dem Spiel gegenüber noch etwas weiter zu treiben, sei an Miguel Sicarts These vom „guten Spieler“ erinnert, hier schön kurz zusammengefasst: https://textualien.wordpress.com/2015/01/05/sicart-und-der-gute-spieler-2/
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Sicart ist auf dem Gebiet scheinbar wirklich eine Koryphäe. Eigentlich wollte ich für den Artikel noch eins seiner Bücher ausführlicher lesen, aber leider fehlte mir dafür dann ein wenig die Zeit. Gerade zu seine Überlegungen bezüglich den Regeln von Videospielwelten (und damit ethischen Bedingungen), die Entwickler bewusst oder unbewusst aufstellen, würde ich mir gerne noch mal mehr Gedanken machen. Wer weiß, vielleicht schreibe ich ja irgendwann noch mal was zu diesem Thema :)
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Hab bisher auch nur über Sicart gelesen, aber nicht selbst eines seiner Bücher. Mir gefällt der Ansatz soweit aber sehr. Ich hab den Eindruck, er kriegt es sehr gut hin, den Einfluss des einzelnen Spielers auf die Wahrnehmung eines Spiels zu begreifen, ohne dabei die inhärenten Eigenschaften des Spiels selbst aus den Augen zu verlieren. Und er entdeckt gerade dort interessante Wechselwirkungen, wo Spielinhalt und Moral des Spielers im Widerspruch stehen. Ist das verständlich? :D Wobei ich noch grübele, inwiefern sich das auch auf andere Medien anwenden lässt, bzw. ob sich Spiele dahingehend so sehr von anderen Medien unterscheiden. Aber das würde ich bestimmt erfahren, wenn ich Sicart tatsächlich einmal lesen würde… :D
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Ich denke schon, dass hier ein wesentlicher Unterschied ist, einfach weil Games ein (inter)aktives Medium sind, Bücher und Filme hingegen ein stärker passives. Die Distanz ist in jenen ganz anders, weil ich eine geradlinige Narration mit deutlich herausgearbeiteten Charakteren folge. Ich habe keinen Einfluss darauf, was geschieht, wie es geschieht, wem es geschieht, und meine einzige Möglichkeit etwas mir zu widerliches zu unterbinden ist, das Buch zu schließen oder das Wiedergabegerät auszuschalten.
Und das habe ich in Spielen eben nicht. Selbst wenn man jene, die einem in der Narration eigene Entscheidungen überlassen, nicht betrachtet, sondern bewusst auch auf Games geht, die einer einzigen auf einem unausweichlichen Pfad verlaufenden Handlunn mit klar vordefinierten Charakteren folgt. Sicherlich involviere ich mich als Spieler nicht so sehr selbst darin, wenn es kein von mir und meinen Entscheidungen geformter Charakter ist… aber dennoch _steuere_ ich den Charakter. Wenn etwas schlimmes in einem Film geschieht, dann ist das – wenn ich ihn nicht ausschalte – unausweichlich, in einem Spiel hingegen muss ich dem Charakter sagen, dass er sich zu bewegen und Dinge zu tun hat, ich bin also direkt an jener schlimmen Aktion beteiligt.
Hier fand ich beispielsweise den Moment in Nier Automata interessant, wenn man als A2 auf Pascal trifft und für eines der vorzeitigen glorifizierten Game-Over-Enden auswählen kann, ihn zu töten. Dies muss ich nämlich gleich doppelt machen, zum einen in der TextBox an sich auswählen, ob ich Pascal verschone oder umbringe, aber wenn ich umbringen auswähle, läuft halt nicht automatisch das Ende über den Bildschirm, sondern ich als Spieler habe noch selbst den Angriffsknopf zu drücken, um es auch wirklich zu tun. Und dieses selbst in Aktion treten hat für mich noch mal ein ganz anderes Gewicht, als es einfach als neutralen Text auszuwählen, oder in anderen Medien halt selbst dies nicht machen zu können.
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Ich hab jetzt nochmal den Artikel gelesen. Aber diesmal mit dem Teil über The Missing, da ich das Spiel vorher noch nicht gespielt hatte. Das hat sich nun geändert.
Und es ist schwierig mit The Missing und mir. Ich wollte das Spiel so gerne mögen für das was es ist. Für die Geschichte die es erzählt und die Themen die es sich traut anzusprechen. Doch ich kann es nur zum Teil. Denn das Spiel hat für mich nicht funktioniert. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass es mir Relativ egal war, dass ich meine Spielfigur immer wieder verletzen und verstümmeln musste. Das klingt jetzt natürlich hart, aber warum soll ich etwas anderes behaupten? Ich bin sehr schnell abgestumpft was diesen Twist im Spiel angeht. Ich habe dann nur noch gesehen, dass dort eine brennbare Barriere ist und habe mich halt angezündet. Oder wenn ich mich nur mit dem Kopf irgendwo durch bewegen konnte, dann habe ich auch das getan. Vielmehr ging mir dieses Spielelement im Laufe der Zeit immer mehr auf die Nerven, wenn ich immer wieder verletzt wurde, obwohl ich das doch gar nicht wollte.
Und auch das mit den Donuts finde ich nicht gut gelöst. Die Kritik am Spieler und ob man bereit ist für Sammelgegenstände die Figur noch weiter Leiden zu lassen, hätte für mich nur funktioniert, wenn es für das Sammeln nichts gegeben hätte. Dem ist aber nicht so. Ich bekomme Hintergrundinformationen durch die Chatverläufe in J.J.’s Handy. Die mögen vielleicht für das Spiel nicht so wichtig sein, verleihen aber J.J. und den anderen Figuren noch mehr Tiefe. Und in einem Spiel, in dem ich mit der Figur auf spielerischer und auch emotionaler Ebene mitfühlen und auch mitleiden soll, finde ich das keine glückliche Wahl. Ich bewundere das Spiel für das was es ist, dafür welche Themen es auch auf spielerischer Ebene umsetzen will und nicht nur in Cutscenes. Das verdient viel Lob und auch Respekt. Nur hat es bei mir von Beginn an nicht funktioniert.
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Ich kann definitiv nachvollziehen, dass gewisse Frustprobleme was das Gameplay angeht dazu führen, dass man Spiel mit einem eher negativen Gefühl abschließt. Bei mir war es vor allem die Audio-Ebene und einige der verstörenden Elemente, die bei mir Empathie in Bezug auf die Verletzungen erzeugt haben.
Das mit den Donuts war tatsächlich nur eine wilde Theorie von mir. Ich stimme dem was du sagst ebenfalls zu, dass diese zusätzlichen Informationen per SMS, auch wenn sie optional sind und sich hinter weiteren Herausforderungen verstecken, ihren Anteil daran leisten, unsere Hauptfigur weiter auszuformulieren.
Die Lesart des Gameplays von „The Missing“ ist glaub ich wirklich entscheidend und vielleicht habe ich mich zu sehr auf den Aspekt der Verletzung und der Qual konzentriert und die Möglichkeit der Wiederherstellung zu wenig in meine Interpretation miteinbezogen. Ob man diesen Meta-Kommentar darin erkennen will oder nicht ist glaube ich Ansichtssache^^
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