Es ist wahrlich schon einige Jahre her, dass eine Interpretation von TETRIS zumindest für ein bisschen Wirbel sorgte. Dem PS4-exklusiven Tetris Effect ist diese Leistung nun gelungen. Entwickelt wurde die faszinierende Symbiose aus klassischem Tetris-Gameplay und (optional VR-unterstützten) Bild- und Sound-Breitseiten vom japanischen Studio Enhance Inc. Und wem das nichts sagt, dem sagt vielleicht der Name Tetsuya Mizuguchi etwas.

Ein Unbekannter ist Mizuguchi (*1965) nämlich nicht und reiht sich unter den mehr oder weniger avantgardistischen Videospiel-Auteurs Japans irgendwo hinter, neben oder zwischen Altersgenossen wie Hideo Kojima(*1963), Shinji Mikami (*1965), Hideki Kamiya, Taro Yoko, Fumito Ueda (alle *1970) und Goichi Suda (*1968) ein. Ein Talent, das ihn von den anderen unterscheidet, ist, dass er zusätzlich zur Profession des Videospiel-Directors und -Producers auch als Musikproduzent aktiv ist – und diese zusätzliche Expertise merkt man seinen Spielen an.


Sound & Vision

Mizuguchi begann seine Karriere 1990 bei SEGA, wo er bis 2003 tätig war. Während dieser Zeit entwickelte er den Arcade-Hit Sega Rally Championship – die Musik dafür komponierte noch ein anderer: Takenobu Mitsuyoshi – bevor Mizuguchi, angeblich nach einer Art Eingebung in Zürich, sich ab 1998 auf die Entwicklung experimenteller Musikspiele fokussierte und mit Space Channel 5 (1999) und Rez (2001) zwei unsterbliche Nischenspiele schuf. Dass beide Titel Kultstatus erreichten und über die letzten beiden Dekaden bewahrten, verdanken sie neben der schlichten Tatsache, verdammt faszinierende Spiele zu sein, auch ihrer engen Assoziierung mit der Sega Dreamcast und ihrer damit verbundenen relativen Obskurität (auch wenn sie schließlich auch für die PlayStation 2 erschienen). Rez und Space Channel 5 waren Spiele, die das Gros der Spieler vor allem vom Hörensagen kannte und die vielleicht gerade deshalb auf irgendwie mystische Weise die Jahrzehnte überdauerten. „Heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter“, schrieb schon John Keats, auch wenn zumindest Rez als Rez Infinite schon 2016 bewies, dass es vor der Zeit bestehen konnte.

Vor dem Hintergrund der Fusion von Sega mit Sammy verließ Tetsuya Mizuguchi Sega 2003 und gründete Q Entertainment, wo er seinen musikalischen Fokus weiterverfolgte und aufs Puzzle-Genre übertrug. Fast zeitgleich entstanden so Lumines (2004) als Starttitel für die PlayStation Portable und Meteos (2005) für den Nintendo DS. Vor allem Lumines erlangte eine gewisse Popularität und zog eine Anzahl von Fortsetzungen nach sich. Meteos mag nicht annähernd so bekannt sein, ist aber einer der besten Puzzler, in meinen Augen sogar eines der besten Spiele, auf dem Nintendo DS und zeichnete sich ebenfalls durch einen bemerkenswerten Soundtrack aus, auch wenn im Unterschied zu Rez und Lumines die direkte Wechselwirkung zwischen Gameplay und Musik weniger ausgeprägt war.


Tetris Effect

Mit Tetris Effect durfte sich Mizuguchi nun endlich an das Franchise wagen, das ihn nach eigener Aussage schon seit der Zeit bei Q Entertainment reizte (mehr dazu bei Polygon). Aber auch sonst kommt die Gestaltung von Tetris Effect nicht von ungefähr. Das Planeten-Hopping und die Space-Ästhetik allgemein ließen sich bereits in Meteos und im geistigen Rez-Nachfolger Child of Eden (2011, zunächst für Xbox Kinect) finden. Und auch das aufrichtige Interesse an PlayStation VR ist weitaus mehr als ein Aufspringen auf einen Trend: Seit Rez versuchte Mizuguchi mittels Peripherie, die über die Standard-Ein- und Ausgabegeräte hinaus reicht, das Prinzip der Synästhesie in seinen Spielen noch weiter zu verstärken. Angefangen beim kuriosen, für seine angebliche Tauglichkeit als Sexspielzeug berüchtigten Rez Trance Vibrator, über die Experimentierfreude auf Handheld-Konsolen und einen der wenigen wirklich überzeugenden Kinect-Titel, hin zu den Möglichkeiten der virtuellen Realität, zuerst in Rez Infinite und nun Tetris Effect, umarmte Mizuguchi neue Technologien, ohne dafür Kompromisse bei der Spielbarkeit und beim Feinschliff seiner Spiele zu machen.

Tetris Effect ist allerdings nicht das erste Tetris, dass die Symbiose aus Tetris und Musik versuchte. Ambitionierte Vorstöße in diese Richtung gab es bereits vom kanadischen Studio H20 Entertainment auf dem Nintendo 64. So versuchte Tetrisphere (1997) nicht nur, das Tetris-Gameplay (mehr oder weniger erfolgreich) in die dritte Dimension zu erweitern, sondern umfasste auch einen experimentierfreudigen Elektro-Soundtrack eines gewissen Neil Voss.

Spielmechanisch konservativer aber insgesamt runder präsentierte sich The New Tetris (1999) – in meinen Augen auf Jahrzehnte hin eine der besten und originellsten Heimkonsolen-Fassungen von Tetris. Auch dafür schuf Neil Voss den Soundtrack, bediente sich dabei aber einer weitaus größeren Palette von Stilen und Einflüssen. Seine in MIDI komponierten Stücke verbinden Ethno-Klänge und Vocals mit elektronischen Sounds und tragen auf diese Weise viel zum prä­ten­ti­ösen Grundkonzept des Spiels bei, das sich als eine Art Civilization im Puzzle-Gewand präsentiert: Von Stonehenge über die Pyramiden der Maya bis zu den Zwiebeltürmen des zaristischen Russlands inszeniert The New Tetris den Fall der Tetriminos als Sinnbild für die niemals endende Bautätigkeit der Menschheit und erklärt sich damit selbst zur Hochkultur.

Ob Mizuguchi The New Tetris kannte, weiß ich nicht, aber auch so kann man Tetris Effect als konsequente Fortführung der Stoßrichtung sehen, Tetris-Gameplay und audiovisueller Breitseiten zu vermählen (und in Sachen Pathos gleich noch eins draufzusetzen). Sound und Grafik sollen die Spieler nun völlig umfangen und – auch dank VR – noch tiefer ins Geschehen und in den sogenannten Tetris Effect ziehen. In Ermangelung eines VR-Headsets habe ich die Demo von Tetris Effect nur auf konventionelle Weise spielen können. Nach allem was man hört, soll die Implementierung aber wohl weitaus mehr sein ein bloßes Gimmick – und Tetris Effect ein überzeugendes Argument für die Möglichkeiten von VR generell.


Genki Rockets

Besonders der Titelsong – Connected (Yours Forever) – scheint es den Spielern von Tetris Effect angetan zu haben, auch wenn manche, die mit Tetsuya Mizuguchi bisher nur die elektronischen Sounds aus Rez verbanden, von seiner ungewohnten Poppigkeit überrascht waren.

Doch auch die hat bei Mizuguchi Tradition: Denke ich an Mizuguchi, dann denke ich neben Meteos nämlich vor allem an die Genki Rockets. Gemeinsam mit dem Musikproduzenten Kenji Tamai schuf Mizuguchi 2006 die virtuelle Band Genki Rockets, die gewisse Parallelen zu Hatsune Miku aufweist, deren fiktive Frontfrau Lumi („an 18-year old girl“, „born on the International Space Station on September 11, 2019, becoming the first human born in outer space“, „who has never been to Earth“) – allerdings von einer realen Person (Rei Yasuda) verkörpert wird, während ihre Stimme eine elektronisch erzeugte Kombination der Stimmen zweier Sängerinnen ist (Rei Yasuda und Nami Miyahara).

Auf die Debütsingle „Heavenly Star“, für deren Musikvideo sich Mizuguchi auch als Regisseur betätigte, folgten schließlich die Alben Genki Rockets I: Heavenly Star und Genki Rockets II – No Border Between Us. Wie viele andere bin auch ich durch Suda51s No More Heroes auf die Genki Rockets aufmerksam geworden, in welchem der Song und das Video prominent gefeatured sind. Aber auch in Lumines II und vor allem in Child of Eden kommen Songs der Genki Rockets vor. Beide Alben sind auch in Europa (unter anderem bei iTunes) problemlos erhältlich. Das erste Album kann ich wärmstens empfehlen; das zweite habe ich selbst noch nicht gehört, aber vielleicht hole ich das bald einmal nach.

In diesem Sinne… [sk]

Imagine the sunset sky, the warm desert waves
The breeze blows, ooh I’m close to you
You’re kissing me, I’m here embrace you here in my heart
The stars are moving you, The lights shine for me
All the colors spiral down on me
World goes round over and over around and again