Die handverlesenen Games-Lesetipps – jetzt jeden zweiten Freitag neu auf SPIELKRITIK.com. Das Schwerpunktthema heute: Ethik und Moral in Games, oder: Red Dead Redemption 2 und Vampyr.

Den Anfang macht eine durchaus kontrovers aufgenommene Kritik von David Hugendick, die mir selbst außerordentlich gut gefällt – auch und gerade der Part zu den Naturdarstellungen in RDR2. Unsere eigene Kritik zum Spiel findet ihr übrigens hier. Vollkommen andere Aspekte des Spiels – und seiner „Fans“ – beleuchtet hingegen der umfangreiche Kommentar von Anna, deren Blog damit zum ersten Mal bei Lesenswert Erwähnung findet. Ein alter Bekannter ist hingegen Pascal Wagner, der Dontnods Vampyr einige Aspekte abringt, die bisher nur selten diskutiert wurden. Einen allgemeineren Blick auf das Thema Moral in Videospielen wirft Adriano Dadamo, dessen Blog ebenfalls seine Lesenswert-Premiere feiert.

Deutschsprachige Artikel haben diese Woche einen Lauf. Deshalb wird die Reihe ergänzt von Robert Glashüttners Kommentar zum Shitstorm um Diablo Immortal, den Half-Life-Erinnerungen von Robert Reiche, und den Game Design-Gedanken von Fabian Fischer, einem weiteren alten Bekannten. Den Abschluss macht der einzige englischsprachige Artikel der Woche, ein interessanter Blick auf ein Frühwerk der Spielkritik, aus der Feder eines bekannten Romanciers.

Nun wäre der Moment, wo ich viel Spaß beim Lesen wünsche. Doch es gibt noch etwas obendrauf: Die neue Unterrubrik „Sehenswert“. Nachdem wir in der Vergangenheit höchstens in sehr unregelmäßigen Abständen Videos verlinkt haben, präsentieren wir euch in dieser Rubrik ab sofort und regelmäßig sehenswerte Video-Essays – fachkundig kuratiert von Pascal Graßhoff.

In der ersten Ausgabe geht es dabei um Mario Party, um Black und seinen geistigen Nachfolger Bodycount, sowie um die Handheld-Ego-Shooter-Plattform: den Nintendo DS. Wir freuen uns auf euer Feedback und wünschen wie immer viel Spaß beim Lesen – und Schauen! [sk]


„Red Dead Redemption 2“: Der Himmel ist leer
(zeit.de, David Hugendick)

[…] Wenn in der Literatur das Genre des Nature Writing als Versuch gelten kann, die verlorene Naturerfahrung poetisch zurückzugewinnen, so ist RDR2 womöglich Nature Gaming: Kaum sattsehen kann man sich am Glitzer der Bergbäche, ständig möchte man stehenbleiben, um ein Felsmassiv zu bestaunen oder dem Wind zuzuhören, der hier leise vom Blatt spielt. Legenden umranken diese Wildnis, oben in den Bergen soll ein geisterhafter weißer Bison leben, ein unbezwingbarer Bär, unten, an einem See, ein legendärer Wels. Das Spiel zeigt die Schönheit und die Gnadenlosigkeit der Natur ebenso wie ihre Unterwerfung und Ausbeutung durch den Menschen und die Trauer über all das, was der ihr aufprägt. […]

Games und Ethik: Die Frage nach Missbrauch in Red Dead Redemption 2
(vonhintenwievonvorneblog.wordpress.com, Anna)

[…] Der Gamer stellt also folgende Frage: Warum kann die Hauptfigur die man in diesem Game spielt, nicht andere Charaktere sexuell belästigen und sie missbrauchen? Also als aktive Option. […] Wie weit würde eine Figur wohl gehen wollen? Wir wissen es nicht. Entwickler auf der ganzen Welt bauen für uns Grenzen ein. Sie erinnern uns daran, dass es ihre Schöpfung ist, nicht unsere. In erfolgreichen Spielen finden sich deswegen heutzutage nicht mehr nur klassische Helden, sondern Hauptcharaktere mit Ecken und Kanten – aber eben auch Grenzen. […]

Erst kommt das Saugen, dann die Moral
(polyneux.de, Pascal Wagner)

[…] Die grundsätzlichen Konflikte unterscheiden sich zwar je nach Kapitel des Spiels, den Entscheidungen ist aber die meiste Zeit eins gemein: Sie gehen Reid nichts an. Auf seiner Suche nach dem Ursprung der Seuche und seines eigenen Vampirismus stolpert er von einer zufälligen Machtposition in die andere, die er als reicher, männlicher Übermensch für völlig normal hält und nutzt. Nicht unbedingt aus bösen Willen und teilweise durchaus zum Guten, aber immer wie selbstverständlich. […]

Der Blick in den Spiegel: Moral in Videospielen
(playeronedotblog.wordpress.com, Adriano Dadamo)

[…] Auf Basis des Game Designs und Storytellings zeigt ein Moralsystem, dass Spieleentwickler sich tatsächlich mit dem Spiel und dem Konzept auseinandergesetzt haben. Moralische Auswirkungen bedeutet, dass sich über kurz oder lang etwas im Spiel ändern wird. Diese Änderungen finden nicht prozedural statt, sondern ein Entwickler designed diese im Vorfeld. Ein halbgares oder dysfunktionales Moralsystem zeigt sich in fehlenden Konsequenzen. […] Moral muss kohärent und nachvollziehbar sein, aber vor allem sinnvoll. […]

Die Rache der Enttäuschten
(videogametourism.at, Robert Glashüttner)

[…] Die Zuspitzung des Individualismus, geprägt durch den modernen Spätkapitalismus und vor allem durch digitale Gemeinschaften und Online-Kommunikation, sorgt dafür, dass viele Menschen der Meinung sind, ihr Lebensstil, ihre Ansichten, ihre Wünsche, Ängste, Sorgen, Vorurteile und Erwartungen seien unantastbar. […] Die Ankündigung zu Diablo: Immortal löst eine toxische Mischung aus: Über Jahre aufgebaute Erwartungshaltungen zu einer eigentlich schon seit längerer Zeit nicht mehr relevanten Games-Serie trifft auf ein simplifiziertes Spielerlebnis samt einer ambivalenten Finanzierungsmethode. […]

Half-Life 2: Episode 2 – Von Credits und Tränen
(videospielgeschichten.de, Robert Reiche)

[…] Während ich diese Zeilen schreibe, denke ich immer wieder darüber nach, ob mich mein Gedächtnis trügt. Ich frage mich, ob die Erinnerung an das Ende von Half-Life 2: Episode 2 sich durch die vielen Jahre Abstand selbständig gemacht hat. Hat es mich damals wirklich so hart getroffen, so emotional mitgenommen, geschockt, ungläubig mit Tränen zurückgelassen? […] Das unvollendete Werk spinnt sich in den Köpfen derer weiter, die sich darin verloren haben. […]

Das Rücksetzproblem: Ein Plädoyer für Singleplayer-Matchmaking
(ludokultur.de, Fabian Fischer)

[…] “Damit ist das Problem gelöst!” könnte man meinen. Einfach so designen, dass die Spiellänge zur Tiefe passt! Kein völlig verkehrter Ansatz, aber leider ist die Lage mal wieder komplizierter. Denn jeder einzelne Spieler bringt eine bestimmte “Game Literacy” mit. Der Veteran durchschaut ein Spiel in zwei Stunden, während der Neuling auch nach deren zehn noch nicht recht durchsteigt. Für den Einen ist das Spiel zu lang, für den Anderen zu kurz, für einen Dritten gerade richtig. Bestenfalls lassen sich also vage Strukturen nach dem Motto “Funktioniert für die meisten ganz okay” definieren. Eine universell ideale, vom Design vorgeschriebene Spieldauer gibt es nicht. […]

Martin Amis on Space Invaders: how games criticism was born
(theguardian.com, Simon Parkin)

[…] The writing occasionally shows its age (or perhaps the age of its writer at the time). Amis urges restraint when shooting apart Asteroids, lest we find ourselves “stoned to death like an Iranian rapist”. […] Amis’s hopeful sense, however – that the best video games had still to come – has proven timeless. “One simply hangs around waiting for the games to get better,” he wrote, a feeling that video gaming’s multitudes of apologists will surely recognise. […]


Sehenswert

Mario Party Retrospective | Chance Time
(youtube.com, KingK, 00:44:21)

Eine 44-minütige Mario Party-Analyse? Klingt erstmal ein wenig abwegig, ist aber gerade deswegen umso interessanter. Mit einer gesunden Mischung aus Humor und Ernst gräbt KingK sich im ersten Teil seiner Retrospektive in alle Details und erklärt unter anderem, wie echte Profis den Mario Party-Zufallsfaktor aushebeln. [pg]

The Spiritual Successor to BLACK
(youtube.com, Raycevick, 00:30:47)

Bodycount, der obskure geistige Nachfolger des Xbox-Geheimtipps BLACK ist ein Spiel, welches vielleicht nicht ganz zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Raycevicks Video beleuchtet die Geschichte beider Spiele im Detail. [pg]

Nintendo DS First-Person Shooter Roundup
(youtube.com, minimme, 00:26:33)

Minimme hat sämtliche Ego-Shooter angespielt, die je für den Nintendo DS erschienen sind, und vergleicht diese miteinander. Damals ignoriert, wirken Handheld-Ports von Spielen wie Call of Duty 4: Modern Warfare sowie die ambitionierten Eigenentwicklungen rückblickend ungemein faszinierend. [pg]

Lust auf mehr? Die Games-Lesetipps der Woche gibt es jetzt immer freitags bei SPIELKRITIK.com. Die letzte Ausgabe von Lesenswert findet ihr HIER.