In Ben Espositos Donut County spielt ihr ein Loch.
In dieses lasst ihr Dinge fallen.
Dadurch werdet ihr zu einem größeren Loch.
Dann könnt ihr größere Dinge hineinfallen lassen.
Wohnwägen zum Beispiel.
Oder eure Nachbarn.
Das klingt erstmal erstaunlich trivial und ziemlich merkwürdig. Blickt man allerdings zurück auf andere, ähnlich bizarre Spiele der letzten Jahre (von Titeln wie dem Goat Simulator bis hin zu Everything), wirkt dieses Spielprinzip gar nicht mehr so abwegig. Indie-Entwickler Esposito, der bereits an Titeln wie The Unfinished Swan und What Remains of Edith Finch mitarbeitete, steckte über fünf Jahre Arbeit in sein ungewöhnliches Spiel, das im Rahmen des MolyJams 2012 entstand (ein Game Jam, bei dem Spielideen des satirischen Twitterkanals „petermolydeux“ umgesetzt wurden). In diesen fünf Jahren miteingeschlossen: ein komplettes Re-Design des Projekts, das ehemals den Titel Kachina trug.
In dieser ursprünglichen Fassung verfolgte Esposito noch das Ziel, eine Geschichte zu erzählen, die sich erzählerisch als auch visuell stark mit der Kultur und darstellenden Ästhetik der Hopi auseinandersetzen sollte. Als er allerdings im Verlauf der Entwicklung mit Forschern und Angehörigen des indigenen Volkes über sein Projekt sprach, kam er schließlich zur Erkenntnis, dass sein Spiel im damaligen Zustand nicht die von ihm angestrebte Authentizität widerspiegeln konnte. Die Konsequenz: Ein neuer Ansatz musste her. Drei weitere Jahre Arbeit zogen ins Land und heraus kam dabei Donut County, ein Spiel mit bizarren Mechanismen, bizarren Figuren und einer noch bizarreren Geschichte. In dieser…
Ähem. Wo war ich? Ach ja. In Donut County spielt ihr, wenn man es genau nimmt, kein Loch, sondern einen Waschbären namens BK. Dieser ist nämlich, mitsamt vieler weiterer seiner Artgenossen, vor kurzem in das namensgebende Städtchen gezogen. Mit Hilfe einer Löcher erzeugenden App, die den Einwohnern ihren Müll klauen soll, macht sich BK (und damit der Spieler) übereifrig an die Arbeit. Im Zuge dessen versenkt er nicht nur harmlosen Abfall, sondern ganze Vorgärten, Bauernhöfe und Wohnhäuser. Darunter auch die vielzähligen Bewohner der Stadt, einschließlich BKs bester Freundin Mira.
Unter der Erde versammelt sitzt das Grüppchen der tierischen, knuffig entworfenen Einwohner beisammen und es wird sich gegenseitig erzählt, wie ein jeder seinen Abgang durch das ominöse Loch machte. BK wird schnell als Schuldtragender identifiziert – und in die Verantwortung gestellt, einen Ausweg aus der Misere zu finden.
Was jetzt weitaus komplexer klingt als es sollte, ist in Donut County jedoch nicht mehr als ein meist recht fahles Story-Beiwerk, das zwischen den vielzähligen Levels ein paar Schmunzler entlockt und einen minimalen erzählerischen Kontext bereitstellt.
Ob es diesen recht flachen narrativen Überbau und die komplexe Erklärung der Loch-Mechanik benötigt hätte, ist wahrscheinlich Ansichtssache. Zwar gibt es, angetrieben von der Geschichte, im letzten Drittel ein paar spielerische Abwechslungen, jedoch glänzt Donut County meiner Ansicht nach in ganz anderen Momenten.
Das Spiel ist aufgeteilt in viele kleine Level, in denen ihr als kleines Loch startet und dieses kontinuierlich mit herumliegenden Gegenständen und Lebewesen „mästet“. Erst wenn die Umgebung des jeweiligen Spielabschnitts völlig in den unbekannten Untiefen des Lochs verschwunden ist, was meist nicht länger als drei bis fünf Minuten dauert, habt ihr diesen abgeschlossen. Der Lowpoly-Look des Spiels in Kombination mit seinen simpel animierten Spielfiguren erzeugt dabei ein Gefühl von Slapstick, das ganz klar den Charme von Donut County ausmacht.
Mitanzusehen, wie davonhoppelnde Hasen oder ein arglos auf seinem Sonnenstuhl schlummernder Bewohner stumm in eurem spielgewordenen Staubsauger verschwinden, erzeugt mitunter eine unfreiwillige und absurde Komik. Gleichzeitig werden die einzelnen Abschnitte auch spielerisch immer wieder durch kleine Rätsel aufgelockert. So erhaltet ihr im Laufe des Spiels beispielsweise noch die Funktion, Gegenstände aus eurem Loch hinauszuschießen, was eine ganz neue Palette an Möglichkeiten bietet. Nach knapp zwei Stunden ist der ganze Spaß dann jedoch schon wieder vorbei. Die Umgebung jedes einzelnen Levels Stück für Stück „aufzuräumen“ erzeugt stellenweise beine ein Zen-artiges und meditatives Gefühl der Entspannung.
Für die gerademal 12 Euro, die Donut County kostet, lässt sich hier unterm Strich eine vorsichtige Empfehlung aussprechen. Ein Blick in den Trailer genügt wahrscheinlich, um zu wissen, ob Ästhetik und Spielprinzip einem die Investition wert sind. Spielerisch sollte man hier keine wirklich fordernden Herausforderungen erwarten. Die Rätsel sind zwar oft schön durchdacht und nett in den Slapstick-Charme des Spiels integriert, fordern einen jedoch stets nur auf einem sehr seichten Level. Die Geschichte, die über das Spielprinzip gestülpt wurde, ist zwar in manchen Momenten putzig erzählt, jedoch braucht es nach dem Durchspielen ebenfalls nicht viel länger als zwei Stunden, ehe sie bereits wieder aus dem Gedächtnis verdrängt wurde.
Ein paar lobende Worte zum Abschluss: Der offizielle Soundtrack von Dan Koestner und Ben Esposito ist ziemlich empfehlenswert, beinhaltet 42 Tracks und kann bei Steam ebenfalls für einen sehr schmalen Taler erworben werden. Die Mischung aus überschwänglich fröhlicher (aber stellenweise auch melancholischer) Akustikmusik, rhythmischen Klopflauten und allerlei sonstigen, undefinierbaren Klängen, konterkariert auf unterhaltsame Weise den gelegentlich aufkeimenden zynischen Humor des Spiels. Ich meine, immerhin geht hier eine gesamte Stadt mehr oder weniger unter…
Vielleicht lässt sich das Loch von Donut County ja als Metapher sehen. Als Metapher für all die Zeit und Aufmerksamkeit, die wir als Videospieler in unser liebstes Hobby investierten und damit in einen eben solchen gierigen Schlund ohne erkennbaren Boden warfen. Innerhalb des Spiels sehen wir, wie der Waschbär BK völlig von seiner App vereinnahmt wird, seine Außenwelt ausblendet und nur noch die versprochenen Belohnungen der Loch-App vor Augen hat. Nach jedem der Abschnitte sehen wir, wie sich ein Balken weiter mit Erfahrungspunkten füllt, wodurch wir als Spieler dem gleichen intrinsischen Spielspaß verfallen und damit genauso die Auswirkungen unserer Aktionen ausblenden wie BK. Die visuelle Gestaltung der App und die Mechanik der vielversprechend klingenden Belohnung erinnern dabei stark an Free-to-Play-Spiele. Insofern gelingt es Donut County, uns unseren eigenen Spielekonsum vor Augen zu führen und die Macht der Vereinnahmung von Spielen und ihren zugrundeliegenden „Suchtmechanismen“ kritisch zu hinterfragen.
Ob nun als Selbstexperiment oder spielerische Aufräum-Erfahrung konsumiert: Die zwei Stunden, die ihr für Donut County benötigt, sind definitiv nicht die schlechteste Investition. [ja]
Donut County
Ben Esposito / Annapurna Interactive, 28.08.2018
PlayStation 4, iOS, Mac OS und Windows PC