Regelmäßigen Lesern ist vermutlich nicht entgangen, dass die SPIELKRITIK-Redaktion seit dem Mai 2018 ziemlich kräftig gewachsen ist: So sind zunächst Amon und Johannes als feste Mit-Autoren hinzugekommen und haben uns in den vergangenen Wochen schon erste spannende Artikel beschert – zu The Red Strings Club, zur fehlenden Kuration auf Steam, sowie jüngst zu Fortnite und dem Hype um Battle Royale-Games.

Dem Zufall, der hier auf den Namen Pascal Wagner hört, ist zu verdanken, dass wir zur selben Zeit auch anderenorts zusammenfinden sollten – bei den Interactive Fiction Days von Language at Play. Wer Language at Play nicht kennt, es handelt sich dabei um einen spannender Vertreter in einer Reihe deutschsprachiger Games-Blogs, wie sie vor allem seit dem letzten Jahr zunehmend populärer werden und die Videospiele aus der Perspektive einer bestimmten Disziplin betrachten – sei es Geschichte, Archäologie, Psychologie oder, wie in diesem Fall, aus dem Blickwinkel der Sprachwissenschaft oder Linguistik. Wurde Language at Play im ersten Jahr seines Bestehens vor allem von seinem seinem Gründer Pascal mit Inhalten gefüttert, erlebte die Seite im Juni, und damit pünktlich zum ersten Geburtstag, in doppelter Hinsicht einen Soft-Relaunch: Mit einem neuen Layout einerseits und einer abwechslungsreichen, vielstimmigen Gastartikelreihe andererseits – den Interactive Fiction Days oder kurz #IFDays.

Im Verlauf der letzten sechs Wochen haben wir insgesamt drei Artikel zu dieser Gastartikelreihe beitragen dürfen, die sich ganz unterschiedlichen Spielarten des Oberthemas Interactive Fiction widmen, dabei aber, und auch das war nicht abgesprochen, eines gemeinsam haben: die Konfrontation mit dem eigenen Ich vor dem Hintergrund der Frage, was wirklich und wahrhaftig ist. Hier möchten wir sie euch noch einmal kurz vorstellen:


Den Auftakt zu den IFDays durfte am 12. Juni Johannes machen, der der Meinung ist, dass das Interesse an (Auto-)Biografien, Biopics und ähnlichem – in der Wissenschaft meist unter dem Begriff des Life-Writing subsumiert – nie größer war als aktuell. „Based on a true story.“ Das sind Worte, die uns heutzutage vor allem im Kino aber auch in der Literatur häufig begegnen. Dass auch Spiele allmählich beginnen, sich immer öfter persönlicheren und auch aus dem Leben der jeweiligen Autoren gegriffenen Geschichten zu widmen, ist allerdings ein Prozess, der in der Berichterstattung noch relativ unterrepräsentiert ist. In seinem Gastbeitrag für die IFDays hat Johannes deshalb einen genauen Blick auf eben jene Spiele geworfen, die in ihren Erzählungen Aspekte des Life-Writing beinhalten sowie der Versuch unternommen, Gründe für die stetige Zunahme solcher Titel zu finden:

[…] Gerade versammelt unter dem Banner der »Interactive Fiction« lässt sich beinahe schon sagen, dass in den letzten paar Jahren ein erzählerischer Wandel stattfand, der neue Möglichkeiten hervorgehoben hat und Geschichten anderer Fasson, meist mit persönlicheren Themen und Problemen, oftmals Identitätskonflikten, in den Mittelpunkt stellt. Der Weg zur Ich-Findung durch den Versuch, sich durch das Aufzeichnen der eigenen Gedanken selbst besser zu verstehen, scheint dabei als menschlicher und verständlicher Prozess ein nachvollziehbares Mittel zu sein. Videospiele als Darstellungsformen dieser Probleme haben sich einem breiteren Publikum geöffnet, nicht nur was die Konsumenten angeht, sondern auch hinsichtlich der Produktionsmittel und der Diversität der in diesem Umfeld arbeitenden Menschen. […]


Ende Juni war Amon an der Reihe. In seinem Text analysiert er, wie Frictional Games in ihrem Spiel SOMA narrative Elemente einsetzen, um den Spieler Fragen der Menschlichkeit und des menschlichen Bewusstseins aktiv und immersiv nachvollziehen zu lassen. Der Artikel enthält einige Spoiler, doch wer SOMA bereits kennt oder sich daran nicht stört, sollte sich den Text unbedingt einmal anschauen. Unter anderem geht es auch darum, wie sich das teilnehmende Erleben einer Erzählung in einem Walking Simulator von der eher passiven Rezeption einer Erzählung in anderen Medien unterscheidet:

[…] Wenn man über Narrative Games oder auch Walking Simulatoren spricht, stößt man früher oder später auf Kommentare, die solchen Titeln die Bezeichnung „Spiel“ absprechen, weil sie aufgrund angeblich mangelnder spielmechanischer Elemente genauso gut in reiner Textform funktionieren könnten. SOMA ist in meinen Augen ein perfektes Gegenbeispiel zu dieser Sichtweise. Die [im Text] beschriebene Art und Weise, wie Leitmotive vom Spieler selbst erkundet sowie nach und nach ergründet werden, kann nur in einer interaktiven Umgebung funktionieren. Zwar kann ich etwa in einem Mystery-Roman die Hintergründe nach und nach zusammensetzen, die Informationen kann ich dabei jedoch nie selbst entdecken. […]


In meinem eigenen Artikel widme mich dabei einem Open World-RPG aus den 90ern, das weder Mobile-, Video- oder Computerspiel ist, sondern ganz und gar analog daherkommt: Die Fabled Lands-Reihe, vielleicht das ambitionierteste Adventure-Gamebook aller Zeiten, das sein Medium zwar auch nicht vor dem zunehmenden Bedeutungsverlust retten konnte, vielen aber noch bis heute unvergessen ist – wie man daran erkennt, dass neben mir noch ein weiterer Autor seinen Gastbeitrag über die Reihe verfasste. In meinem recht umfassenden Artikel konzentriere ich mich allerdings auf die Frage, mit welchen Mitteln Fabled Lands eine Open World auf Papier bringt und seinen Spielern Handlungsfreiheiten gewährt, und welche Probleme und Potentiale sich daraus ergeben. Ein Artikel über den Mut zum Regelbruch und die individuelle und private Modifizierung eines Mediums, das sich nicht wehren kann und gerade deshalb so fasziniert:

[…] Ich empfand die Möglichkeiten, dir mir Gamebooks insgeheim boten, zunächst als Bürde. Gamebooks erlaubten mir zu cheaten, zurückzublättern, „weil ich diese Entscheidung ja ohnehin nicht wirklich treffen wollte“, heimlich noch einmal zu würfeln, „weil die Würfel beim ersten Mal nicht richtig gerollt sind“, aber natürlich nur dann, wenn das Ergebnis nicht zu meinen Gunsten ausfiel. Diese Möglichkeit zum Cheaten irritierte mich, doch ebenso wenig konnte ich sie ignorieren. […] Irgendwann gelangte ich schließlich zu dem Schluss, die verschiedenen Probleme, Bugs und Lücken im ludo-narrativen Gerüst der Fabled Lands gar nicht mehr als Bürde oder gar als Defizit, sondern als Chance anzusehen und auf dieser Grundlage nicht nur das Spiel nach meinen Bedürfnissen zu optimieren, sondern es auch zu modifizieren. Und damit Fabled Lands nicht nur nach meinem Empfinden zugänglicher und glaubwürdiger zu machen, sondern tatsächlich noch einmal ganz anders zu erleben. […]


Ist etwas für euch dabei? Wir würden uns sehr freuen, wenn ihr unseren Artikeln bei Language at Play einmal einen Besuch abstattet und vielleicht sogar einen Kommentar hinterlasst! Viel Spaß beim Lesen. [sk]