Ein Gastkommentar von Adrian Trachte
Eine künstlerische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Besatzung Tschechiens und ihrer Folgen für das Land und seine Bewohner, geschaffen von den Nachfahren der Opfer in Zusammenarbeit mit Zeitzeugen, darf ausgerechnet in Deutschland, dem Land der Täter, weder beworben, noch gezeigt, geschweige denn verkauft werden.
Klingt vollkommen absurd? Ist es auch. Aber leider auch die traurige wie beschämende Wahrheit, in der Verbände und Rechtsorgane ihre Feigheit und ihr Versagen offenbaren. Eigentlich undenkbar, schließlich herrscht in Deutschland Rede- und Meinungsfreiheit, auch so etwas wie Kunstfreiheit sollte in unserer Demokratie doch eigentlich existieren. Doch das tut sie offenbar nur bis zu einem gewissen Punkt. Und eben jener Punkt ist das Medium selbst, denn das eingangs erwähnte Werk namens Attentat 1942 ist eben kein Film, kein Buch, kein Theaterstück, keine Installation oder ein Gemälde, sondern ein Videospiel.
Es dürfte gemeinhin bekannt sein, dass nationalsozialistische Symbole, wie das Hakenkreuz, die SS-Runen und andere, in Deutschland nicht öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen. Das hat gute Gründe. Der Kunstbetrieb ist von dieser Regelung in den allermeisten Fällen ausgenommen. Logisch, denn Werke, die sich mit dem deutschen Faschismus auseinandersetzen, müssen in der Lage sein dürfen auf seine Symbolik zurückgreifen zu können. Die Ausnahme bilden Games und eben nur diese. Und das, obwohl Games unlängst als Kunst angesehen werden, selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel pries in ihrer Eröffnungsrede auf der Gamescom 2017 Computer- und Videospiele als Kulturgut. Dennoch haben Videospiele bei uns anscheinend nicht dieselben Rechte, wie nahezu alle anderen Ausprägungen von Kunst.
Es ist ein langes, wie leidiges Thema, mit welchem sich das Medium in der hiesigen Diskussion seit seinen Anfangstagen rumschlagen muss. Während mittlerweile kein Hahn mehr kräht, sobald es auf dem Bildschirm derbe zu geht, „erwachsene“ Themen behandelt werden oder man versucht mit vermeintlichen Grenzüberschreitungen anzuecken, so gibt es offenbar nach wie vor einige Felder, auf die sich Entwickler, je nachdem, woher sie kommen, nicht begeben sollten. So sind Spiele aus dem US-amerikanischen Raum oftmals befreit von jeglicher Sexualität, kennen dafür aber keinerlei Maß, wenn es um die Darstellung virtueller Gewalt geht. Bei uns ist hingegen alles ein heißes Eisen, was nur irgendwie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu tun hat.
Das hat sich im vergangenen Jahr mit Wolfenstein II, einem Ego-Shooter, in welchem die Nazis in einer fiktiven Zeitlinie den Zweiten Weltkrieg gewonnen und nahezu die gesamte Welt unterjocht haben, einmal mehr gezeigt. In der Kontroverse um das Spiel ging es letztlich um sehr viel mehr als um das Fehlen von Hakenkreuzen und anderen verfassungsfeindlichen Symbolen, die für die deutsche Version durch andere Grafiken ersetzt wurden. Es ging vor allem um inhaltliche Änderungen, die in der deutschen Version vorgenommen wurden und durch welche Begriffe wie „Juden“ und „Holocaust“ gestrichen beziehungsweise ersetzt wurden. So wurde aus „Jude“ beispielsweise „Verräter“. Die ganze Absurdität der (Selbst-)Zensur von Publisher Bethesda zeigte sich an der Figur von Kanzler Heiler, einem senilen alten Mann, der auf der Venus lebt, sich selbst einpisst, derbe Wutausbrüche an den Tag legt und als ziemlich erbärmliches Würstchen dargestellt wird. Welche historische Figur hier in den internationalen Versionen abgebildet wird, brauche ich wohl nicht zu sagen.
In der Kontroverse um Wolfenstein II war ich mir noch uneins. Seit ich spiele, begleitet mich die Reihe, und seitdem habe ich sämtliche indizierten, beschlagnahmten, zensierten und unzensierten Vorläufer des aktuellen Serienteils gespielt. Sonderlich gestört hat mich das Fehlen der faschistischen Schreckenssymbole oder das Nennen der Nazis als solche nie. Mit einigermaßen vorhandenem Menschenverstand weiß man schließlich, worum es geht: Um Nazis und den Spaß, diese vom Bildschirm zu wüten. Dass einige wenige, offenbar nicht sonderlich helle Leuchten innerhalb der rechten Szene die Reihe aus irgendwelchen Gründen mit Freude spielen und die klare anti-faschistische Botschaft nicht verstehen, muss man nicht begreifen. Dass Bethesda mit vorauseilender Zensur jedoch Bezüge zu den realen Verbrechen gestrichen beziehungsweise ersetzt hat, ist zumindest fragwürdig, hat aber zu einem gewissen Teil sicherlich auch mit Bequemlichkeit zu tun. Letztlich sollte man sich aber auch die Mühe machen und die Seite des Publishers verstehen. Dieser ist nun einmal ein Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen und dessen Angst vor schlechter PR, die weniger aus der Spielerschaft und der Games-Presse, als vielmehr aus der Ecke des nach jedem noch so billigen „Skandal“ lüsternen Boulevards lauert, nachvollziehbar.
Doch bei Attentat 1942 liegen die Dinge noch einmal ganz anders. Ist Wolfenstein II ein letztlich auf Unterhaltung getrimmtes Spiel, so ist Attentat 1942 ein „serious game“ mit ganz anderer Zielsetzung. Das in einer Zusammenarbeit von Professoren für Geschichte der Karls-Universität Prag und Historikern der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik auf die Beine gestellte Projekt will dem Rezipienten die Schrecken des Nationalsozialismus anhand von Einzelschicksalen begreifbar und – sofern dies überhaupt in irgendeiner Weise möglich ist – nachempfindbar machen. Attentat 1942 nutzt dabei Mittel, die weder dem Film, noch der Literatur oder anderen Kunstformen offen stehen und schafft es so, Geschichte auf eine eigene Art erfahrbar zu machen.
Wir haben es hier nicht mit Kraut-bashing zu tun, Attentat 1942 ist kein propagandistisches Machwerk oder versucht sich an der der Verdrehung von Geschichte, wie es andere Gestalten tun, die demokratisch legitimiert im Bundestag sitzen. Attentat 1942 ist ein differenziertes Spiel, welches den schwierigen Spagat schafft und mehrere Seiten und Ansichten veranschaulicht, indem man Opfer und Täter zu Wort kommen lässt. Und eben jenes Spiel darf in Deutschland, dem Land, aus dem sich der Schrecken in die Welt aufmachte, nicht veröffentlicht werden. Das ist eine Schande!
Geradezu blamabel ist in der Causa Attentat 1942 das Verhalten deutscher Verbände. Ich ziehe hier vor allem den erst vor wenigen Monaten neu gegründeten game aus dem Schatten heraus. Nach eigenem Verständnis will der Verband der deutschen Games-Branche mehr als ein Wirtschaftsverein sein, er will sich auch für die Förderung des Mediums als Kulturgut einsetzen. Wo aber ist der game jetzt? Warum bezieht er keine Stellung? Warum lässt man die aktuelle und längst überfällige Rechtslage unkommentiert, warum nutzt man nicht die eigenen Mittel und die Nähe zur Politik um eine Änderung herbeizuführen, und vor allem: warum stellt man sich nicht hinter die Entwickler von Attentat 1942 und schreit der Politik entgegen: Ändert die Gesetzeslage! Sorgt für rechtliche Klarheit! Hat man Angst, es sich mit der Bundesregierung zu verscherzen? Immerhin erhofft man sich von der aktuellen Regierung eine Aufstockung des Etats zur Förderung der hiesigen Branche auf 50 Millionen Euro. Sollte dies tatsächlich der Grund sein, warum der game sich aus der Sache raushält, was sagt dies dann über den game aus? Und was sagen diese (eventuellen) Befürchtungen des Verbandes über unser politisches Klima? Oder ist es schlicht allen egal?
Doch der game und sein lautes Schweigen sind nicht das einzige Problem. Video- und Computerspiele sind als Kulturgut angesehen. Die Wahrnehmung von Gesellschaft und Nichtspielepresse hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert. Games sind nicht mehr der bequeme Sündenbock von einst, auch wenn der ein oder andere sich gerne noch einmal zu plumpen Phrasen animiert fühlt. Doch wenn Spiele, gerade solche, die sich ernsthaft mit einem Thema auseinandersetzen, welches uns auch noch maßgeblich betrifft, nicht in Deutschland erscheinen dürfen, dann ist etwas gewaltig faul im Staate. Dann ist das eine Einflussnahme auf die Kunstfreiheit, ein mehr als seltsames Verständnis vom Umgang mit der deutschen Geschichte und vor allem eines: verdammt feige.
Attentat 1942 ist ein wichtiges Spiel, eines, welches im Schulunterricht genutzt werden kann und sollte, da es ein so essenziell wichtiges Stück Geschichte auf eine ganz andere Art und Weise greifbar macht als Schulbücher und Museumsbesuche. Es ist aber auch ein Spiel, welches manch älterem Spieler helfen und neues Wissen und Sichtweisen eröffnen kann. Vor allem ist Attentat 1942 aber jenes Spiel, welches zeigt, dass Videogames im deutschen Kulturbetrieb keinen Platz haben. Games sind Kunst, daran besteht kein Zweifel. Doch für die hiesigen Verbände, die dem Medium eigentlich bei seiner Emanzipation helfen sollten, für die deutschen Kulturvereine, die sich nicht um den Fall Attentat 1942 scheren, und den Staat, der sich nach wie vor nicht in der Lage zu sehen scheint, die Gesetzeslage anzupassen, sind sie offenbar nicht mehr, als Kunst zweiter Klasse.
Nachtrag: 18. August 2018
Wie wohl viele von euch, so staunte auch ich nicht schlecht, als vor einigen Tagen die Meldung eintrudelte, dass die USK ab sofort offen gegenüber Spielen ist, in denen verfassungsfeindliche Symbole auftauchen, und diese auf ihre Tauglichkeit für den deutschen Markt hin testet. Damit laufen Videospiele, in denen Hakenkreuze, SS-Runen oder auch der Hitlergruß dargestellt werden, also nicht mehr automatisch Gefahr, dass ihnen eine Altersfreigabe verwehrt wird. Die USK testet Spiele nun unter Einbeziehung der sogenannten Sozialadäquanzklausel, wie es etwa auch bei Filmen der Fall ist. Der wichtigste deutsche Branchenverband game begrüßte die Entscheidung und führt aus:
„Sozialadäquat bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Symbole verfassungswidriger Organisationen im Einzelfall in einem Titel verwendet werden können, sofern dies der Kunst oder der Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient. Bisher wurde diese Prüfung, anders als bei anderen Medien wie dem Film, nicht vorgenommen. Hintergrund der Änderung ist eine veränderte Rechtsauffassung der zuständigen Obersten Landesjugendbehörde auf der Grundlage aktueller rechtlicher Bewertungen.“
Die neu geschaffene Grundlage ist definitiv eine Zäsur, die auch außerhalb der sich mit Spielen auseinandersetzenden Medien für Gesprächsstoff sorgte. So äußerte sich etwa Felix Falk, derzeitiger Geschäftsführer des game, gegenüber den heute-Nachrichten vom ZDF und bezeichnete die Entscheidung als lange überfällig. Gegenüber Gameswirtschaft betonte Falk gleichzeitig, dass es nun aber keine Schwemme an Spielen mit Hakenkreuzen und anderen verfassungsfeindlichen Symbolen geben werde. Ebenfalls auf Gameswirtschaft äußerte sich auch USK-Geschäftsführerin Elisabeth Secker:
„Schwung in die Debatte haben sicherlich die öffentlichen Diskussionen um Spiele wie „Wolfenstein 2“ oder „Attentat 1942“ oder „Through the Darkest of Times“ gebracht. Nicht zuletzt hat auch die jüngste Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, die die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in dem Spiel „Bundesfighter II Turbo“ abgelehnt hat, zur Sensibilisierung und erneuten Bewertung der zuständigen Obersten Landesjugendbehörde beigetragen.“
Nur wenige Tage nach Schaffung der neuen Tatsachen, wurde mit Through the Darkest of Times bereits das erste Spiel (bzw. die gamescom-Demo zum Spiel) von der USK mit einer Altersfreigabe „ab 12 Jahren“ bewertet – obwohl Hakenkreuze und der Hitlergruß vorkommen. Damit ist das Strategiespiel, in welchem man in die Rolle eines Widerstandskämpfers im Dritten Reich schlüpft, der erste Titel in Deutschland, der von der Neuregelung der USK profitiert. Auf Gamasutra fasst Jörg Friedrich, der an Through the Darkest of Times mitarbeitet, den langen Weg noch einmal zusammen und kommt zum Schluss: Spiele sind nun in Deutschland gleichwertig zu allen anderen Medien und können damit auch endlich als Kunstform akzeptiert werden. Ein Fazit, welches ich nur unterschreiben kann.
Gastautor Adrian Trachte bekam im zarten Alter von fünf Jahren einen grauen Klotz in die Hände gedrückt, über dessen Bildschirm andere graue Klötze purzelten – der Beginn einer Spielerkarriere, die abwechslungsreiches Gameplay und außergewöhnliche narrative Erlebnisse ebenso zu schätzen weiß wie Fast Food à la Call of Duty. Adrian ist heute 29, hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und schreibt bereits seit mehreren Jahren für GameContrast.de. [sk]
Mehr zum Thema (ergänzt am 18.06.2018):
- Hinterm Hakenkreuz verschanzt, von Wolfgang Walk auf gamespodcast.de, 29.05.2018
- Warum Hakenkreuze nicht in Computerspiele gehören – ein Plädoyer, von Petra Fröhlich auf gameswirtschaft.de, 29.05.2018
- Hakenkreuz-Debatte: Die USK ist die Lösung, von Kai Bodensiek auf gameswirtschaft.de, 04.06.2018
- Pixeldiskurs-Podcast #98 – Kein Thema, von Sophie Bömer und Stefan Simond auf pixeldiskurs.de, 10.06.2018
Danke für den Artikel, sehr schön auf den Punkt gebracht!
Ich denke, im Umgang mit Attentat 1942 (mehr noch als bei Wolfenstein) kommen zwei Probleme zusammen. Auf der einen Seite eine gewisse Rechtsgerichtetheit von Behörden und Politik, wie sie Wolfgang Walk in seinem lesenswerten Beitrag zum Thema erkennt, die kein besonderes Interesse an einer kritischen Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit hat (noch dazu von Opfern derselben, und somit entgegen des geliebten, selbstverliebten Deutungsanspruchs deutscher Geschichte durch Deusche) und die damit schlimmstenfalls einem Geschichtsrevisionismus Vorschub leistet, wie ihn auch die Gaulands und Höckes in die Mitte der Gesellschaft einzubringen versuchen.
Die andere Seite ist die wirtschaftlich-künsterische, und ich bin zumindest so optimistisch anzunehmen, dass diese im Falle von Attentat 1942 die domierende ist, gerade nach Lesen deines Beitrags. Der Knackpunkt ist der Stellenwert des Mediums. Mir ist das gerade im Laufe der letzten 12 Monate seit der Gamescom immer wieder aufgefallen, bei der Eröffnungsveranstaltung der Gamesweekberlin oder in der Diskussion um Förderung für eSports. Stets erfolgt die zunehmende „Umarmung“ des neuen Mediums vonseiten der Politik genau auf einer Grundlage: der wirtschaftlichen. Games haben einen Wert, weil sie Werte schaffen und zwar monetäre. Ein kultureller Wert spielt als Argument keine Rolle oder kann in Verhandlungen offenkundig nicht vermittelt werden.
Dass der deutschen Gamesbranche eine Förderung auch noch rein wirtschaftlichen Kriterien guttäte, will ich gar nicht bestreiten, das zeigt der internationale Vergleich. Dass mit Geld allein ein Gleichziehen nicht möglich sein wird, wenn die gleichberechtigte Anerkennung von Games als Kunstform nicht gegeben ist, wird dabei aber außer Acht gelassen. Und wird im Sinne eines Konsens offenbar auch vom Bundesverband game so hingenommen. Auch deshalb konnte ein SPD-Politiker, dessen Name mir entfallen ist, auf seiner Rede „pro“ Games-Förderung auf der Gamesweekberlin ohne wirkliche Empörung anmerken, dass mit förderungswürdigen Spielen „selbstverständlich keine Ego-Shooter“ gemeint seien.
So geht es Politik, Bundesverband und anderen Akteuren offenkundig allenfalls am Rande um Kunstförderung. Es geht um Wirtschaftsförderung im Sinne eines längst überfälligen Konjunkturprogramms für die deutsche Games-Branche, die im internationalen Vergleich aber auch deshalb dort ist, wo sie ist, weil es um die Freiheit dieser Kunstform in Deutschland selten gut bestellt war. Daran scheint sich im Augenblick auch nicht das Geringste zu ändern, und entweder interessiert das den game nicht, oder er sieht keine Möglichkeit, einen kulturellen Wert zu vermitteln. Was ziemlich arm wäre. Die Betonung der wirtschaftlichen Bedeutung von Games stößt, wie man sieht, hingegen sogar bei einer CSU auf offene Ohren.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Position des game daher „verständlich“ nennen soll, aber sie ist zumindest nicht überraschend. Dann wäre der Verband aber tatsächlich nicht mehr als ein Wirtschaftsverein. Und der hat an einer kulturellen Aufwertung des Mediums mit einem „ausländischen“ Spiel als Wegbereiter offenbar wenig Interesse. Was schert mich die Geschichte, wenn die Profite stimmen? Das hätte schon etwas Komplizenhaftes.
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Ja, ich glaube auch das es vor allem wirtschaftliche Interessen sind, die Attentat 1942 (und anderen Spielen dieser Art) im Wege stehen. Und das macht die Sache nur umso schlimmer. Ich verstehe aus der Sicht des game und seiner Mitglieder den Wunsch nach einer staatlichen Förderung. Es gibt viele positive Beispiele, etwa Kanada und Frankreich, wo man ja unlängst auf einem sehr hohen Niveau produziert und international mithalten kann, gleichzeitig aber auch den künstlerischen Anspruch des Mediums nicht aus den Augen lässt. Das sich die hiesige Branche über Geldzuwendung freut und die Hoffnung hegt endlich International mitspielen zu dürfen, ist also verständlich, das der game wirtschaftliche Interessen durchsetzen will, ebenso. Das wir aber selbst mit Förderung in zwei, fünf oder acht Jahren Spiele haben werden, die herausragend und Made in Germany sind, da habe ich meinen Zweifel. Denn die nötigen Ressourcen lassen sich auch mit 50. Millionen pro Jahr nicht mal eben so aus dem Boden stampfen. Und wie du ja schon angesprochen hast, kommen da auch noch die Unkenrufe, die jetzt schon wieder zu vernehmen sind. Gamesförderung ja – aber nicht für Ego-Shooter. Hallo? Was wird da also alles im stillen Kämmerlein noch verhandelt? Gamesförderung ja – aber keine kritischen Themen? Gamesförderung ja – aber nur so, wie sie den Förderern passt?
Es ist höchst bedenklich, das der game offenbar nicht Willens ist zu sagen: Gamesförderung, ja klar – aber bitte ohne Vorgaben. Denn eine Förderung mit Vorgaben ist nichts wert. Eine Förderung, bei der erst Checklisten abgearbeitet werden müssen, bevor sich Entwickler an eine Konzeption setzen können, kann man sich sparen. Nein, in seinem aktuellen Gewand ist der game nicht mehr, als ein Lobbyverein. Alles schön und gut, darf er gerne sein. Aber dann braucht es eben einen anderen Verband, der sich ganz und gar auf den kulturellen Aspekt des Mediums besinnt und nicht abhängig vom guten Willen der Politik ist.
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Sehr viele interessante Punkte die ihr beiden da gebracht habt. Der game ist ja bereits Mitglied im Deutschen Kulturrat, also rein formal gesehen wäre die Frage nach der Anerkennung des Mediums als Kulturgut ja erledigt, was vielleicht auch der Grund dafür ist, wieso sich auf dieser Ebene momentan seitens game wenig tut…
Ich selbst habe keine Ahnung, wie normalerweise die konkrete Arbeit des game aussieht, wenn er versucht, unsere Politik von der Kulturfähigkeit von Spielen zu überzeugen, deswegen möchte ich keine pauschale Aussage bezüglich eines generellen Versagens tätigen. Die Zitate die ihr bereits gebracht habt, lassen ja auch vermuten, dass wir es bei der hierzulandigen Politik leider auch mit einigen besonders starrsinnigen Gestalten zu tun haben… Die Sprache des Geldes ist da leider, denke ich, immer noch für viele die attraktivste, um konkretes politisches Handeln zu initiieren… Vielleicht liegt es auch am Altersdurchschnitt der politischen Entscheidungsträger und das Problem löst sich mit der Zeit von alleine…
Meine Hoffnung ist ein wenig, dass durch die Finanzspritze und den (hoffentlich) landesweiten Ausbau die Legitimität von Spielen einen Anstieg in den Köpfen der breiten Gesellschaft erfährt. Es klingt zwar traurig, aber ich denke, dass diese Art der Lobbyarbeit des game einen Großteil der in Deutschland lebenden Bevölkerung widerspiegelt, welcher die Sinnhaftigkeit eines Ausbaus von Spieleproduktionen erst im Kreieren von neuen Arbeitsplätzen sieht… Ist vielleicht ein deutschlandspezifisches Ding, wer weiß…
Was aber den konkreten Fall angeht, um jetzt zum Artikel zu kommen, finde ich das auch ein absolute Frechheit und grenzt beinahe schon an Arbeitsverweigerung seitens game. Mir hat dein Text ebenfalls sehr gut gefallen und mich vor allem sehr zum Grübeln gebracht.
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Ich stelle mir bei der ganzen Thematik immer die Frage, wer soll das einfordern oder vor Gericht einklagen? Ein Bethesda im Zuge von Wolfenstein 2. Warum sollten sie. Der deutsche Markt ist im Vergleich doch eher klein und die Kosten einer Klage und eines Prozesses sind im Vergleich zu einer inhaltlichen Änderung des Spiels nicht in Relation zu setzen.
Soll ein deutsches Entwicklerstudio diesen Schritt gehen? Neben den Kosten, die hier wahrscheinlich noch heftiger ausfallen, kommt hier mit Sicherheit noch das Image dazu. Egal wie lächerlich es ist, aber ein Artikel wie: Deutsche Spielefirma will Hakenkreuze in Spielen! brächte in einer uninformierten Öffentlichkeit sicher erstmal negative PR. Und deshalb lässt sich vermutlich auch ein Verband wie der game nicht auf sowas ein. Denn wie schon richtig gesagt, klingt es bei dem Verband ja eher nach einem Lobbyverband, denn nach einem Verband dem das Kulturgut Videospiel am Herzen liegt.
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Von einem Entwickler selbst erwarte ich es zunächst nicht. Ich verstehe da Betehsda durchaus: sie hätten das Geld und das Durchhaltevermögen, um vor Gericht zu gehen und einen Präzedenzfall zu erwirken. Aber wie du ja richtig sagst, ist das Risiko wohl zu hoch und würde sich für Bethesda letztlich nicht rechnen, sei es finanziell, noch in der Außenwahrnehmung.
Und eben deshalb sehe ich eigentlich den game und nicht Games relevante Kulturverbände in der Pflicht. Das mag zunächst nach einer großen Forderung klingen, aber worum geht es denn letztlich? Es geht hier doch „nur“ um eine Gleichstellung von Games mit anderen Kulturgütern. Das man allerortens schnell dabei ist und sagt „Ja, Games sind natürlich Kunst“ sind nur Lippenbekentnisse, wenn man sich eben nicht gleichzeitig für die gleichen Rechte (und Pflichten) einsetzt.
Im Übrigen prüfen die Macher von Attentat 1942 anscheinend, ob man nicht selbst für einen Präzedenzfall sorgt, sprich: ein kleines, tschechisches Team bemüht sich um eine Gesetzesänderung, anstatt die Branche vor Ort, die andere Mittel und Zugänge hat.
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Da frage ich mich aber tatsächlich, was so ein Prozess kosten würde? Denn selbst wenn es sich für ein einzelnes Spiel nicht lohnen würde, ließen sich bei einem günstigen Prozessausgangs über Jahre hinweg Kosten für diese spezielle Form der Lokalisierung sparen, und dafür, überhaupt eine zusätzliche Fassung vertreiben zu müssen. Bei allen Firmen, die Spiele mit NS-Setting auf den Markt bringen (und das sind so einige). Auch deshalb wäre ein gemeinsames Vorgehen logisch. Darüber hinaus würde dann die Zahl der Importe aus dem EU-Ausland abnehmen, was ganz konkret den deutschen Vertriebsarmen dieser Publisher höhere Verkäufe bescheren könnte. Aber wie die Zahlen hier tatsächlich ausschauen, kann ich natürlich nicht sagen. Zumal es irgendwie auch schon wieder traurig wäre, wenn eine solche Initiative einmal mehr allein aus wirtschaftlichen Gründen in die Gänge käme…
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Die Frage nach den Kosten ist in der Tat interessant. Leider kann ich sie nicht beantworten, ich kann mir aber auch nicht vorstellen, das die finanziellen Kosten – zumindest für große Studios/Publisher/Verbände – so hoch ausfallen würden, als das es sich nicht rechnen würde. Wie bereits zuvor herausgearbeitet, sind es also wohl eher die Image-Kosten, die man nicht gewillt ist zu zahlen. Viel hängt natürlich auch von der Länge des Prozesses und dem Aufwand in der Beweisführung (würde man es in diesem Fall überhaupt so nennen?) ab. Je länger und aufwendiger, desto teurer.
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Wie ich schon bei Gameswirtschaft schrieb, halte ich die Darstellung nicht für richtig: https://www.gameswirtschaft.de/meinung/86-stgb-hakenkreuze-games-usk-kai-bodensiek-kolumne/
Insbesondere ist die Rolle der Verbände nicht korrekt dargestellt.
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Das sich der game aktuell in Gesprächen mit Verbänden bezüglich der Sachlage befindet, ist natürlich begrüßenswert, aber eine Information, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Zumindest habe ich während meiner Recherche nichts konkretes hierzu gefunden, andernfalls hätte ich dies natürlich erwähnt.
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Hallo und danke für die lesenswerte Ergänzung! Wir haben den Beitrag nun um einige Links, einschließlich der Kolumne, ergänzt.
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Ich hoffe ja, dass Spiele die von dieser neuen Regelung profitieren werden/können, wie zum Beispiel Attentat 1942 oder Through the Darkest of Times am Ende nicht nur darauf reduziert werden, dass es in ihnen jetzt Nazisymbole gibt und Hitler sich nicht mehr rasieren zu braucht. Soviel ich nämlich von diesen Spielen mitbekommen habe, haben sie eine Behandlung verdient die über die reine Verwendung von Hakenkreuzen hinausgeht. Vielleicht ist es auch gerade der Hype (und ich bin mir bewusst wie absurd das klingt) um die Tatsache, dass Spiele nun nicht mehr so stark darauf achten müssen. Und ich bin gespannt ob sich ein Spiel wie Through the Darkest of Times jetzt hier besser verkaufen wird, eben weil es jetzt das erste Spiel seiner Art ist in gewisser Weise.
Ich bin auch gespannt, wie sich dann die Anwendung der Sozialadäquenz im Alttag der Spielebewertung auswirkt. Ich weiß nicht wie sich das bei der Bewertung von Filmen auswirkt, ob sie wirklich bei jedem Film mit Nazithematik gucken ob das konform geht. Da hätte ich mir für Videospiele eine klarere Definition gewünscht, was ein Spiel haben muss, um von der Sozialadäquenz zu profitieren.
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