Ein Gastkommentar von Adrian Trachte

Eine künstlerische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Besatzung Tschechiens und ihrer Folgen für das Land und seine Bewohner, geschaffen von den Nachfahren der Opfer in Zusammenarbeit mit Zeitzeugen, darf ausgerechnet in Deutschland, dem Land der Täter, weder beworben, noch gezeigt, geschweige denn verkauft werden.

Klingt vollkommen absurd? Ist es auch. Aber leider auch die traurige wie beschämende Wahrheit, in der Verbände und Rechtsorgane ihre Feigheit und ihr Versagen offenbaren. Eigentlich undenkbar, schließlich herrscht in Deutschland Rede- und Meinungsfreiheit, auch so etwas wie Kunstfreiheit sollte in unserer Demokratie doch eigentlich existieren. Doch das tut sie offenbar nur bis zu einem gewissen Punkt. Und eben jener Punkt ist das Medium selbst, denn das eingangs erwähnte Werk namens Attentat 1942 ist eben kein Film, kein Buch, kein Theaterstück, keine Installation oder ein Gemälde, sondern ein Videospiel.


Es dürfte gemeinhin bekannt sein, dass nationalsozialistische Symbole, wie das Hakenkreuz, die SS-Runen und andere, in Deutschland nicht öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen. Das hat gute Gründe. Der Kunstbetrieb ist von dieser Regelung in den allermeisten Fällen ausgenommen. Logisch, denn Werke, die sich mit dem deutschen Faschismus auseinandersetzen, müssen in der Lage sein dürfen auf seine Symbolik zurückgreifen zu können. Die Ausnahme bilden Games und eben nur diese. Und das, obwohl Games unlängst als Kunst angesehen werden, selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel pries in ihrer Eröffnungsrede auf der Gamescom 2017 Computer- und Videospiele als Kulturgut. Dennoch haben Videospiele bei uns anscheinend nicht dieselben Rechte, wie nahezu alle anderen Ausprägungen von Kunst.

Es ist ein langes, wie leidiges Thema, mit welchem sich das Medium in der hiesigen Diskussion seit seinen Anfangstagen rumschlagen muss. Während mittlerweile kein Hahn mehr kräht, sobald es auf dem Bildschirm derbe zu geht, „erwachsene“ Themen behandelt werden oder man versucht mit vermeintlichen Grenzüberschreitungen anzuecken, so gibt es offenbar nach wie vor einige Felder, auf die sich Entwickler, je nachdem, woher sie kommen, nicht begeben sollten. So sind Spiele aus dem US-amerikanischen Raum oftmals befreit von jeglicher Sexualität, kennen dafür aber keinerlei Maß, wenn es um die Darstellung virtueller Gewalt geht. Bei uns ist hingegen alles ein heißes Eisen, was nur irgendwie mit der nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands zu tun hat.

Das hat sich im vergangenen Jahr mit Wolfenstein II, einem Ego-Shooter, in welchem die Nazis in einer fiktiven Zeitlinie den Zweiten Weltkrieg gewonnen und nahezu die gesamte Welt unterjocht haben, einmal mehr gezeigt. In der Kontroverse um das Spiel ging es letztlich um sehr viel mehr als um das Fehlen von Hakenkreuzen und anderen verfassungsfeindlichen Symbolen, die für die deutsche Version durch andere Grafiken ersetzt wurden. Es ging vor allem um inhaltliche Änderungen, die in der deutschen Version vorgenommen wurden und durch welche Begriffe wie „Juden“ und „Holocaust“ gestrichen beziehungsweise ersetzt wurden. So wurde aus „Jude“ beispielsweise „Verräter“. Die ganze Absurdität der (Selbst-)Zensur von Publisher Bethesda zeigte sich an der Figur von Kanzler Heiler, einem senilen alten Mann, der auf der Venus lebt, sich selbst einpisst, derbe Wutausbrüche an den Tag legt und als ziemlich erbärmliches Würstchen dargestellt wird. Welche historische Figur hier in den internationalen Versionen abgebildet wird, brauche ich wohl nicht zu sagen.

In der Kontroverse um Wolfenstein II war ich mir noch uneins. Seit ich spiele, begleitet mich die Reihe, und seitdem habe ich sämtliche indizierten, beschlagnahmten, zensierten und unzensierten Vorläufer des aktuellen Serienteils gespielt. Sonderlich gestört hat mich das Fehlen der faschistischen Schreckenssymbole oder das Nennen der Nazis als solche nie. Mit einigermaßen vorhandenem Menschenverstand weiß man schließlich, worum es geht: Um Nazis und den Spaß, diese vom Bildschirm zu wüten. Dass einige wenige, offenbar nicht sonderlich helle Leuchten innerhalb der rechten Szene die Reihe aus irgendwelchen Gründen mit Freude spielen und die klare anti-faschistische Botschaft nicht verstehen, muss man nicht begreifen. Dass Bethesda mit vorauseilender Zensur jedoch Bezüge zu den realen Verbrechen gestrichen beziehungsweise ersetzt hat, ist zumindest fragwürdig, hat aber zu einem gewissen Teil sicherlich auch mit Bequemlichkeit zu tun. Letztlich sollte man sich aber auch die Mühe machen und die Seite des Publishers verstehen. Dieser ist nun einmal ein Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen und dessen Angst vor schlechter PR, die weniger aus der Spielerschaft und der Games-Presse, als vielmehr aus der Ecke des nach jedem noch so billigen „Skandal“ lüsternen Boulevards lauert, nachvollziehbar.


Doch bei Attentat 1942 liegen die Dinge noch einmal ganz anders. Ist Wolfenstein II ein letztlich auf Unterhaltung getrimmtes Spiel, so ist Attentat 1942 ein „serious game“ mit ganz anderer Zielsetzung. Das in einer Zusammenarbeit von Professoren für Geschichte der Karls-Universität Prag und Historikern der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik auf die Beine gestellte Projekt will dem Rezipienten die Schrecken des Nationalsozialismus anhand von Einzelschicksalen begreifbar und – sofern dies überhaupt in irgendeiner Weise möglich ist – nachempfindbar machen. Attentat 1942 nutzt dabei Mittel, die weder dem Film, noch der Literatur oder anderen Kunstformen offen stehen und schafft es so, Geschichte auf eine eigene Art erfahrbar zu machen.

Wir haben es hier nicht mit Kraut-bashing zu tun, Attentat 1942 ist kein propagandistisches Machwerk oder versucht sich an der der Verdrehung von Geschichte, wie es andere Gestalten tun, die demokratisch legitimiert im Bundestag sitzen. Attentat 1942 ist ein differenziertes Spiel, welches den schwierigen Spagat schafft und mehrere Seiten und Ansichten veranschaulicht, indem man Opfer und Täter zu Wort kommen lässt. Und eben jenes Spiel darf in Deutschland, dem Land, aus dem sich der Schrecken in die Welt aufmachte, nicht veröffentlicht werden. Das ist eine Schande!

Geradezu blamabel ist in der Causa Attentat 1942 das Verhalten deutscher Verbände. Ich ziehe hier vor allem den erst vor wenigen Monaten neu gegründeten game aus dem Schatten heraus. Nach eigenem Verständnis will der Verband der deutschen Games-Branche mehr als ein Wirtschaftsverein sein, er will sich auch für die Förderung des Mediums als Kulturgut einsetzen. Wo aber ist der game jetzt? Warum bezieht er keine Stellung? Warum lässt man die aktuelle und längst überfällige Rechtslage unkommentiert, warum nutzt man nicht die eigenen Mittel und die Nähe zur Politik um eine Änderung herbeizuführen, und vor allem: warum stellt man sich nicht hinter die Entwickler von Attentat 1942 und schreit der Politik entgegen: Ändert die Gesetzeslage! Sorgt für rechtliche Klarheit! Hat man Angst, es sich mit der Bundesregierung zu verscherzen? Immerhin erhofft man sich von der aktuellen Regierung eine Aufstockung des Etats zur Förderung der hiesigen Branche auf 50 Millionen Euro. Sollte dies tatsächlich der Grund sein, warum der game sich aus der Sache raushält, was sagt dies dann über den game aus? Und was sagen diese (eventuellen) Befürchtungen des Verbandes über unser politisches Klima? Oder ist es schlicht allen egal?

Doch der game und sein lautes Schweigen sind nicht das einzige Problem. Video- und Computerspiele sind als Kulturgut angesehen. Die Wahrnehmung von Gesellschaft und Nichtspielepresse hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verändert. Games sind nicht mehr der bequeme Sündenbock von einst, auch wenn der ein oder andere sich gerne noch einmal zu plumpen Phrasen animiert fühlt. Doch wenn Spiele, gerade solche, die sich ernsthaft mit einem Thema auseinandersetzen, welches uns auch noch maßgeblich betrifft, nicht in Deutschland erscheinen dürfen, dann ist etwas gewaltig faul im Staate. Dann ist das eine Einflussnahme auf die Kunstfreiheit, ein mehr als seltsames Verständnis vom Umgang mit der deutschen Geschichte und vor allem eines: verdammt feige.

Attentat 1942 ist ein wichtiges Spiel, eines, welches im Schulunterricht genutzt werden kann und sollte, da es ein so essenziell wichtiges Stück Geschichte auf eine ganz andere Art und Weise greifbar macht als Schulbücher und Museumsbesuche. Es ist aber auch ein Spiel, welches manch älterem Spieler helfen und neues Wissen und Sichtweisen eröffnen kann. Vor allem ist Attentat 1942 aber jenes Spiel, welches zeigt, dass Videogames im deutschen Kulturbetrieb keinen Platz haben. Games sind Kunst, daran besteht kein Zweifel. Doch für die hiesigen Verbände, die dem Medium eigentlich bei seiner Emanzipation helfen sollten, für die deutschen Kulturvereine, die sich nicht um den Fall Attentat 1942 scheren, und den Staat, der sich nach wie vor nicht in der Lage zu sehen scheint, die Gesetzeslage anzupassen, sind sie offenbar nicht mehr, als Kunst zweiter Klasse.


Nachtrag: 18. August 2018

Wie wohl viele von euch, so staunte auch ich nicht schlecht, als vor einigen Tagen die Meldung eintrudelte, dass die USK ab sofort offen gegenüber Spielen ist, in denen verfassungsfeindliche Symbole auftauchen, und diese auf ihre Tauglichkeit für den deutschen Markt hin testet. Damit laufen Videospiele, in denen Hakenkreuze, SS-Runen oder auch der Hitlergruß dargestellt werden, also nicht mehr automatisch Gefahr, dass ihnen eine Altersfreigabe verwehrt wird. Die USK testet Spiele nun unter Einbeziehung der sogenannten Sozialadäquanzklausel, wie es etwa auch bei Filmen der Fall ist. Der wichtigste deutsche Branchenverband game begrüßte die Entscheidung und führt aus:

„Sozialadäquat bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Symbole verfassungswidriger Organisationen im Einzelfall in einem Titel verwendet werden können, sofern dies der Kunst oder der Wissenschaft, der Darstellung von Vorgängen des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient. Bisher wurde diese Prüfung, anders als bei anderen Medien wie dem Film, nicht vorgenommen. Hintergrund der Änderung ist eine veränderte Rechtsauffassung der zuständigen Obersten Landesjugendbehörde auf der Grundlage aktueller rechtlicher Bewertungen.“

Die neu geschaffene Grundlage ist definitiv eine Zäsur, die auch außerhalb der sich mit Spielen auseinandersetzenden Medien für Gesprächsstoff sorgte. So äußerte sich etwa Felix Falk, derzeitiger Geschäftsführer des game, gegenüber den heute-Nachrichten vom ZDF und bezeichnete die Entscheidung als lange überfällig. Gegenüber Gameswirtschaft betonte Falk gleichzeitig, dass es nun aber keine Schwemme an Spielen mit Hakenkreuzen und anderen verfassungsfeindlichen Symbolen geben werde. Ebenfalls auf Gameswirtschaft äußerte sich auch USK-Geschäftsführerin Elisabeth Secker:

„Schwung in die Debatte haben sicherlich die öffentlichen Diskussionen um Spiele wie „Wolfenstein 2“ oder „Attentat 1942“ oder „Through the Darkest of Times“ gebracht. Nicht zuletzt hat auch die jüngste Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart, die die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in dem Spiel „Bundesfighter II Turbo“ abgelehnt hat, zur Sensibilisierung und erneuten Bewertung der zuständigen Obersten Landesjugendbehörde beigetragen.“

Nur wenige Tage nach Schaffung der neuen Tatsachen, wurde mit Through the Darkest of Times bereits das erste Spiel (bzw. die gamescom-Demo zum Spiel) von der USK mit einer Altersfreigabe „ab 12 Jahren“ bewertet – obwohl Hakenkreuze und der Hitlergruß vorkommen. Damit ist das Strategiespiel, in welchem man in die Rolle eines Widerstandskämpfers im Dritten Reich schlüpft, der erste Titel in Deutschland, der von der Neuregelung der USK profitiert. Auf Gamasutra fasst Jörg Friedrich, der an Through the Darkest of Times mitarbeitet, den langen Weg noch einmal zusammen und kommt zum Schluss: Spiele sind nun in Deutschland gleichwertig zu allen anderen Medien und können damit auch endlich als Kunstform akzeptiert werden. Ein Fazit, welches ich nur unterschreiben kann.


Gastautor Adrian Trachte bekam im zarten Alter von fünf Jahren einen grauen Klotz in die Hände gedrückt, über dessen Bildschirm andere graue Klötze purzelten – der Beginn einer Spielerkarriere, die abwechslungsreiches Gameplay und außergewöhnliche narrative Erlebnisse ebenso zu schätzen weiß wie Fast Food à la Call of Duty. Adrian ist heute 29, hat Politikwissenschaft und Geschichte studiert und schreibt bereits seit mehreren Jahren für GameContrast.de. [sk]


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