Ein Gastbeitrag von Johannes Alvarez Lopez
im Rahmen des Gastautoren-Specials GASTSPIELER II.
Vom 1. Juli 2015 bis zum 31. Januar 2016 fand im Frankfurter Filmmuseum eine Ausstellung statt, die sich einem herausstechenden Aspekt der modernen Videospielkultur widmete. Unter dem Banner: „Film und Games. Ein Wechselspiel“ wurden die wechselseitigen thematischen und ästhetischen Einflüsse der beiden Medienformen aufgezeigt, sowie deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede unter die Lupe genommen.
Dass Spiele sich schon seit einer Weile offenbar in den Gedanken verliebt haben, gerade im Medium Film einen Bruder im Geiste gefunden zu haben, scheint bei genauerer Betrachtung kein Wunder zu sein. So eint die beiden Medien beispielsweise der immer weiter voranschreitende technische Fortschritt was ihre Produktionsmittel angeht, sowie ein offenbar wachsendes Verlangen nach hyperrealistischen Darstellungen. Da liegt es nahe, dass nicht nur in Bezug auf äußerliche Erscheinungen, sondern auch in Puncto Erzählformen immer wieder enorme Annäherungen (oder vielleicht sogar Anbiederungen?) an das große, vermeintlich coolere Geschwisterteil vonstattengingen.
Filmisch inszenierte Zwischensequenzen sind für viele Entwickler heutzutage eines der beliebtesten Mittel, um den SpielerInnen die eigenen, epischen Erzählungen nahezubringen. Eine Regieführung in Spielen ähnlich der im Bereich Film scheint daher auf den ersten Blick mindestens möglich, wenn nicht sogar ausschlaggebend, verfolgt man das Ziel eine Spielgeschichte mit Nachklang zu erzählen. Aber ist das wirklich der Fall? Können Aspekte der Filmregie und -narration überhaupt auf Spiele transferiert werden? Und falls ja: In welcher Form können Spiele diese Mechanismen übernehmen und dabei gleichzeitig eine eigene narrative Identität entwickeln?
The appeal of games lies in their promise of agency, in the promise of an openness that is dependent on the player and her choices. All games are therefore necessarily non-unilinear, since true agency implies choice, and choice implies different outcomes.
(Domsch, 3)
Die im Zitat erwähnte “agency”, also der Grad des interaktiven Einflusses, den der Spieler innerhalb der Spielwelt ausüben kann, ist wohl das eklatanteste differenzierende Merkmal zwischen Film und Videospiel. Hierbei stellt sich eine möglicherweise zentrale Frage bezüglich Narration in Spielen: Wie sollte die Ratio zwischen passivem und aktivem Geschichtenerleben gestaltet sein? Gibt es hier eine Balance, eine goldene Mitte, die dem Medium mehr oder weniger gerecht wird?
Denn Interaktivität ist schön und gut, jedoch schaffen es die wenigsten Spiele mit narrativem Fokus, gänzlich ohne eine Regiearbeit auszukommen, die uns aus der Sprache des Films bekannt ist – siehe Cutscenes. Als veranschaulichendes Beispiel dafür lässt sich der Begriff „Chronotopos“ heranziehen, der durch den russischen Literaturwissenschaftler Michail Bachtin geprägt wurde. Gemeint ist damit eine Art Raumzeit, welche die Orte der Handlung in Verhältnis zum Zeitverlauf der Geschichte setzt. Wie Kerstin Stutterheim in ihrem Handbuch angewandter Dramaturgie beschreibt, eignet sich der Fachausdruck ideal, um Unterschiede und vielleicht auch die Schwierigkeiten des Mediums Spiel in Bezug auf diesen Aspekt zum Ausdruck zu bringen. Stellen wir uns zum Beispiel eine Autofahrt vor, durch die unser Protagonist oder unsere Protagonistin innerhalb des Plots eine größere Distanz überbrücken möchte.
In einem Film würde uns diese Szene wahrscheinlich als Montage präsentiert werden, in der Auszüge der Reise durch allerlei Schnitte zeitlich stark verkürzt dargestellt werden könnten. Eine Reise, die innerhalb der Zeitlogik der Geschichte mehrere Stunden dauert, ließe sich so in einigen Sekunden darstellen. Stellen wir uns diese Szene allerdings als eine vollständig interaktive vor, so erzeugt die Reise durch die agency des Spielers, dessen inhärenten Entdeckungstrieb (welcher abhängig von den Möglichkeiten der agency die Reise und damit die Streckenwahl in unvorhersehbarer Weise beeinflussen könnte), sowie der erzwungene Verzicht auf Montagen, einen komplett anderen Eindruck, als bei der Szenenvariante im Film. Auch hier ist Zeitverkürzung theoretisch möglich, jedoch muss sie in diesem Fall meist weitaus subtiler und geringfügiger zum Einsatz kommen als im Medium Film, in welchem sich ein simpler Schnitt zwischen zwei zeitlich und/oder räumlich versetzten Szenen in unseren Köpfen als logisch nachzuvollziehender Sinnzusammenhang etabliert hat.
Der gestaltete Raum ist von hoher Bedeutung für das Kontinuum. Das stellt eine der ästhetischen Besonderheiten im Spiel dar, die weit über die der Mise-en-Scène im Film hinausgehen. Die Spieler_in möchte die künstlichen Räume der Welt, in die sie das Spiel führt, erkunden. Sie begibt sich in einen Chronotopos, den sie sowohl ihrem eigenen Rhythmus anpassen möchte und gleichermaßen die Welt erfahren [möchte], in der sie sich bewegt, in der das Geschehen sich ereignet.
(Stutterheim, 88)
Ein Rhythmus, der also zum einen nicht zulässt, dass die SpielerInnen sich durch schlechte oder fehlgeleitete Führung in der eigentlich angestrebten Narration verlieren und der zum anderen den Drang des interaktiven Miteinbringens in einer zufriedenstellenden und dem jeweiligen Spiel angepassten Form befriedigt, scheint also schon einmal essentiell zu sein.
As conveyors of narrative, video games constantly negotiate between the openness necessary for agency, and narrative demands for some form of closure.
(Domsch, 5)
Ein Beispiel für einen Titel, dessen Regie mich in Anlehnung daran kürzlich fasziniert hat, ist Persona 5. Als Neueinsteiger in die Reihe war ich fasziniert von der erzählerischen Abwechslung und davon, wie gekonnt durch eine geschickte Nutzung des Spielrhythmus die SpielerInnen in die Welt gesogen werden. Gerade in den ersten Spielstunden reichen sich In-game-Sequenzen zwischen Lebenssimulation und Parallelwelt-Erkundung, Cutscenes und Anime-Ausschnitte gekonnt die Hand und erzeugen durch ihre geschickt ineinandergreifende intermediale Mischung ein gelungenes Gefühl der Immersion, bei welchem die Geschichte klar im Vordergrund steht, sich die SpielerInnen aber gleichzeitig nicht unterfordert fühlen.
Im Gegensatz dazu ein Beispiel, welches zumindest in einem Punkt seine Regie so sehr hat missen lassen, dass auf Messageboards wie Reddit unzählige Threads zur betreffenden Thematik eröffnet wurden: In Dragon Age: Inquisition verschlägt es die SpielerInnen nach nicht allzu langer Spielzeit in ein Gebiet namens „Hinterlands“, welches nicht gerade klein ist und einige der für Inquisition so typischen, eher simplen und stark eintönigen Nebenaufgaben bereithält. Durch die fehlende Regie, welche die SpielerInnen an dieser Stelle nicht genügend zum Verfolgen der weitaus weniger faden Mainstory antrieb, gab es zahlreiche SpielerInnen, die Stunde um Stunde für die öde Tristesse der Hinterlands opferten, sich allmählich die Frage stellten, was sie da eigentlich taten und als Ergebnis schon zu einem so frühen Zeitpunkt Ermüdungserscheinungen spürten.
Anders als bei den eben genannten Spielen, bei denen sich die Regie eher als gesamtdramaturgisches Erscheinungsbild offenbart, gibt es noch einige weitere interessante Möglichkeiten eines Regieeingriffes seitens der Entwickler. So offensichtlich, dass man es beinahe übersehen könnte, ist dabei natürlich die Kameraperspektive. Passend dazu hat Insert Moin-Mitglied Michael Cherdchupan ein aufschlussreiches Videoessay mit dem Titel „Halbfeste Kamera in Survival Horror“ zusammengestellt, das vor Augen führt, wie mit klug gewählten Kameraperspektiven, die uns aus der Sprache des Films bekannt sind, Spannung erzeugt und intensiviert werden kann.
Kreative Spielereien mit Kameraperspektiven sind heutzutage durch die Etablierung der frei justierbaren Kamera eher zu einer Seltenheit geworden. Das 2017 erschienene NieR: Automata beispielsweise nutzt variable Kameraperspektiven, um spontane Genrewechsel zu visualisieren. Weicht die 3rd-Person-Ansicht plötzlich einer Topdown-Perspektive und werden wir dabei gleichzeitig von Dutzenden Projektilen beschossen, wird klar, dass hierdurch die Anlehnung an das Danmaku-Genre (bullet hell) betont werden soll.
Im 2016 erschienenen First-Person-Walkingsimulator Virginia wird die mit Spielen eigentlich unvereinbare Methodik des plötzlichen Szenenwechsels, des filmischen Schnitts wenn man es so will, zum zentralen Element gemacht. Die spielerisch simplen Passagen werden im knapp zweistündigen Abenteuer am laufenden Band durch unerwartete Änderungen der Szenerie unterbrochen, oftmals ohne Vorwarnung oder Rücksicht auf den Erkundungsdrang des Spielers. Dabei entsteht ein sicherlich gewünschter Eindruck von Orientierungslosigkeit, während gleichzeitig eine schwer zugängliche Geschichte erzählt wird, die ansatzweise an Werke von David Lynch erinnert und welche es den SpielerInnen nicht unbedingt einfach macht. Ob dieses Konzept wirklich in einem erfolgreichen Walking-Simulator gemündet ist oder das Ganze nicht mehr als ein interessantes Experiment war, muss jedoch jeder selbst für sich entscheiden.
Geht es um neue Formen des Geschichtenerzählens in Spielen, sind Walking-Simulatoren momentan allerdings in aller Munde. Titel wie What Remains of Edith Finch beweisen uns nun, wie auch bei augenscheinlich minimalem Gameplayeinfluss mit sinnreichen und an die jeweiligen Szenen gebundenen Interaktionen ein Flow entstehen kann, der passives und aktives Geschichtenerleben in einer angenehmen und modernen Weise miteinander verbindet.
Besonders im Fall Edith Finch seien an dieser Stelle noch einmal die Möglichkeiten des Environmental Storytelling erwähnt. Der Pfad, den die SpielerInnen im Idealfall durchlaufen sollen, dient mit seiner Mise-en-Game, seinem spielerischen Pendant zum filmischen Szenenbild, als bunter Spielplatz für die Regiebedürfnisse von Game Designern. So fungieren bei Edith Finch die durchstöberbaren Ecken des Hauses nicht nur als zusätzliche Schmankerl, welche die Entdeckungslust für zwischendurch befriedigen sollen, sondern als einer der wichtigsten Baupfeiler der Geschichte. Bücherregale, Schreibtische und sonstige Objekte von narrativem Interesse wirken nicht beliebig und ohne Hintergedanken platziert, sondern im Gegenteil mit Bedacht aneinandergereiht, bis dabei am Ende der Museumsgang, die Erlebnisausstellung What Remains of Edith Finch entstand.
On the other hand, digital games that want to tell specific stories must develop storytelling mechanics that make narratives possible. This interdependent relationship constitutes the special role played by the narration in digital games.
(Freyermuth, 168)
Gibt es eine Blaupause für gutes Erzählen, für gute Regieführung in Spielen? Das angeführte Zitat mag vielleicht auf den ersten Blick etwas plump wirken, aber in seiner Aussage liegt die Essenz und vielleicht auch gerade die große Problematik, wieso sich auch heute noch oftmals Spiele beim Storytelling schwertun.
Ein Spiel wie Papers, Please beispielsweise erzählt eine Geschichte, die gekoppelt an spielerische Elemente ist, die autark von der Erzählung nicht funktionieren würden. Erst im Verbund von beidem entsteht das, was wir heute als einen der gelungensten Indie-Titel der letzten Jahre bezeichnen. What Remains of Edith Finch nutzt träumerische und trance-mäßige Elemente, die gerade durch ihre Simulationen der jeweiligen sehr spezifischen Handlungen einzigartig und nicht austauschbar wirken und in die restliche Erzählung des Hauses eingebunden sind. Diese starken inhaltlichen Bezüge zwischen Spiel und Erzählung, durch welche auch der Versuch unternommen wird, die oft kritisierte ludonarrative Dissonanz zu mindern, funktionieren logischerweise auch in umgekehrter Richtung. So kann eine Narrativierung von Spielregeln, zum Beispiel die Erklärung der Wiederbelebung nach dem eigenen Pixeltod in Bioshock durch die im Spiel eingebauten Vita-Kammern, in ein (wenn vielleicht auch unbewusst) stärkeres Eintauchen in die Spielwelt münden (Domsch, 23).
Schlussendlich bleibt in Bezug auf Regie sowie Narration in Spielen im Allgemeinen zu sagen: Wer mit der Priorität an Spieleentwicklung herangeht, eine Geschichte zu erzählen, die ihm wahrhaftig am Herzen liegt, sollte sich die Frage stellen, welchen Mehrwert kann ich dieser Geschichte durch das Medium Spiel bieten? Gerade in Bezug auf diese Frage scheint es ratsam, außerhalb von festgefahrenen Genrekonventionen zu denken und sich nicht einfach ein bereits bestehendes Spielkonzept zu suchen, das spekulativ gesehen am besten mit der eigenen Idee vereinbar sein könnte. Jede gute Idee für eine Spielgeschichte muss ihren ganz eigenen mechanischen Ansatz finden. Dabei spielt die Regie eine tragende Rolle. Die eigene Geschichte zu erzählen, ohne die vor dem Bildschirm sitzende Person durch zu viel Ablenkung und fehlenden Fokus auf den beabsichtigten Spielverlauf zu verlieren, und ihr dabei gleichzeitig das Gefühl von bedeutsamen Handlungsmöglichkeiten zu geben, ist die eine zentrale Krux, die Storytelling in Spielen zu jenem besonders schwierigem Fall macht.
Ich glaube jedoch fest an eine rosige Zukunft was Geschichtenerzählen in Spielen angeht, und ich bin mir sicher, dass sich die wahren Meilensteine diesbezüglich noch vor uns befinden. Auf der einen Seite haben wir bereits Walking-Simulatoren wie What Remains of Edith Finch oder Gone Home, die uns durch ihre starken literarischen Fähigkeiten verzaubern. Auf der anderen, eher Gameplay-fokussierten Seite haben wir spielsystematische Welten wie die eines Zelda: Breath of the Wild, die in ihrer Komplexität und ihren logisch aufeinander aufbauenden Elementen der Spielwelt neue Maßstäbe für Open-World-Titel setzen und diesen ungeahnte Chancen für die Zukunft geben. Nun heißt es gespannt abzuwarten, was diese beiden Schulen durch eine engere Verzahnung und den Austausch ihrer jeweiligen Erkenntnisse noch erreichen werden.
Der Autor: 
Johannes Alvarez Lopez (@Jominathor)
Schreibt auf crossmediaculture.de.
23-jährig ist Johannes jung genug um Knights of the Old Republic 2: The Sith Lords als schönste Spiele-Kindheitserinnerung mitgenommen zu haben. Tiefergehendes Interesse für Spiele entwickelte der Soziologie- und Anglistikstudent aus Heidelberg allerdings erst mit dem Erscheinen der Xbox 360. Als Filmfan, der privat gern Fiktionales schreibt, interessiert er sich heute sehr für die noch unentdeckten Potenziale des Storytellings in Spielen. In großen Triple-A-Produktionen fehlt es ihm oft an Persönlichkeit, Seele, oder klaren Visionen, trotzdem schafften es einige dieser Produktionen unter seine Lieblinge der letzten Jahre: NieR: Automata, What Remains of Edith Finch, The Beginner’s Guide, Undertale, Bioshock: Infinite, Portal 2. Johannes arbeitete in der Vergangenheit in der Videospiel-PR und heute als HiWi im Bereich E-Learning. [sk]
Quellen und weiterführende Links:
- Freyermuth, Gundolf S. Games, Game Design, Game Studies: eine Einführung. Bd. [19]. Bielefeld: transcript. 2015
- Domsch, Sebastian. Storyplaying: Agency and Narrative in Video Games. Bd. 4. Berlin ; Boston: De Gruyter. 2013
- Stutterheim, Kerstin. Handbuch Angewandter Dramaturgie: vom Geheimnis des filmischen Erzählens ; Film, TV und Games. Bd. 4. Frankfurt am Main ; Bern ; Wien [u.a.]: PL Academic Research. 2015
- Lenhardt, Eva [Red.] Film und Games: ein Wechselspiel. Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main, 1. Juli 2015 bis 31. Januar 2016. Berlin: Bertz + Fischer. 2015
- Rauscher, Andreas. „Mise en Game. Die spielerische Aneignung filmischer Räume“. New Game Plus – Perspektiven der Game Studies. Genres – Künste – Diskurse. Beil, Benjamin [Hrsg.] Bd. 3. Bielefeld: transcript, 2015
- Halbfeste Kamera in Survival Horror – Polygon Planet #001. Kollisionsabfrage. https://www.youtube.com/watch?v=X5c_LMG2vo8. 2017
Mehr zum Thema auf SPIELKRITIK.com:
Ich habe deinen Artikel mit großem Interesse gelesen. Da ich einen großen Wert auf eine gut erzählte Geschichte lege, war natürlich auch dein Artikel sehr interessant, da er einen spannenden Aspekt beinhaltet.
Ich persönlich habe immer wieder Probleme mit der von dir angesprochenen ludonarrativen Dissonanz. Mir ist aber auch noch kein Patentrezept dafür eingefallen. Sonst wäre ich wohl auch reich :D
Aber es geht eben darum eine gute Balance zwischen geführter Inszenierung, sei durch lineares Gameplay oder durch Cutscenes, und spielerischer Freiheit, in der ich als Spieler die Möglichkeit habe die Welt abseits der Hauptgeschichte zu erkunden. Dabei kommt es dann natürlich immer wieder zu Komplikationen, wenn mir die Geschichte eine Dringlichkeit vermittelt, ich aber gleichzeitig Nebenmissionen erfüllen kann oder nach Sammelgegenständen suchen kann. Natürlich zwingt mich niemand dazu die Nebenmissionen zu erfüllen oder alles zu sammelnde auch zu sammeln. Aber das trägt natürlich auch dazu bei die Welt tiefergehend kennenzulernen, oder auch etwas über die Figuren zu erfahren. Zum Beispiel durch Audiologs. Zudem gibt es natürlich noch den spielerischen Aspekt. Ich will ja besser werden und mich möglichst gut vorbereitet in einen potentiellen Kampf begeben.
Ein, meiner Meinung nach, negatives Beispiel ist das noch relativ aktuelle Beispiel The Evil Within 2. Durch eine kleine Open World, auch wenn es per se keine Open World ist, wird mein Fokus immer wieder von dem abgelenkt was eigentlich wichtig sein sollte. Meine Tochter zu retten. Diese bleibt aber während des ganzen Spiels eher blass und bleibt als persönliche Motivation sehr stark im Hintergrund.
Ein für mich positives Beispiel ist dagegen die Mass Effect-Reihe. Dort wird es geschafft einerseits eine Dringlichkeit durch eine Bedrohung darzustellen, mir aber auch genug Zeit zu geben, meine Crew kennenzulernen, mich um deren Angelegenheiten zu kümmern. Denn es ist ja für meine Mission wichtig die Crew hinter mir zu haben und das funktioniert natürlich am Besten wenn ich deren Bedürfnisse und Anliegen erfülle.
Mir kam zudem beim lesen noch der Gedanke wie Filme wohl in VR aussehen würden. Gäbe es da ähnliche Probleme wie in Spielen? Wie schafft es da die Regie die Aufmerksamkeit des Zuschauers bei der Geschichte zu halten?
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Zuallererst: Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, hat mich sehr gefreut, ihn zu lesen :)
Ob das „Problem“ der Ludonarrativen Dissonanz jemals völlig gelöst wird, bezweifle ich auch, vor allem bei Titeln mit komplexeren Mechaniken, die sich nicht, wie eben beispielsweise Papers, Please, einer sehr überschaubaren Idee widmen. Aber wer weiß, vielleicht schwappt der Geist einer solchen „klaren Linie“ zwischen Gameplay und Story, die im Indie-Bereich momentan noch eher anzutreffen ist, in Zukunft noch stärker in größere Produktionen über.
Zum Thema Nebenmissionen muss ich sagen, dass ich immer wieder merke, wie sehr die Qualität dieser das allgemeine Spielgefühl und die Freude an der Mainstory im Positiven sowie im Negativen beeinflussen kann. Gerade wenn es sich um Beschäftigungen handelt, die größtenteils der Zeitstreckung dienen, merke ich einfach immer wieder, wie leicht ich aus einem eigentlich angenehmen Flow rausgerissen werde. Selbst bei NieR: Automata, dass ich kürzlich gespielt habe und sehr mochte, habe ich ab einem sehr frühen Punkt die Nebenmissionen größtenteils ignoriert, auch wenn sie stellenweise interessante Storyhappen enthielten, da sie spielerisch einfach extrem dröge und repetitiv waren. Als positives Gegenbeispiel würde ich da glaube ich Bethesda und Skyrim sowie die Fallout-Spiele erwähnen, bei denen die Nebenquests einem die Welt auf interessante Weise näher bringen, die jedoch dafür oftmals eine etwas schwächere Mainstory haben.
Deinen Punkt mit den Audiologs und ähnlichem zusätzlichem narrativem content finde ich auch sehr gut, beim Schreiben des Artikels habe ich auch kurz überlegt, das noch mit reinzubringen. Mein absolutes Lieblingsbeispiel hierbei ist da immer noch Alan Wake, bei dem man ja die losen Seiten des Manuskript unseres Protagonisten im Spielverlauf finden kann und in denen Teile unsere Reise stehen, meist Dinge, die wir im Spiel noch gar nicht erlebt haben, und die von Alan selbst vorgetragen werden. Die waren finde ich zum einen von der Länge her perfekt konsumierbar um nicht aus der Atmosphäre gerissen zu werden und zum anderen echt sehr gut in die Geschichte eingebunden.
Die Frage zu VR-Filmen finde ich super spannend, aber leider muss ich da passen… Bis auf ein paar Musikvideos, die 360-Grad Videos benutzten, habe ich da leider noch nicht viel gesehen. Ich glaube es gibt bisher einige (höchstwahrscheinlich) non-kommerzielle Projekte, aber bis diese Art des Storytellings etabliert ist, falls das jemals der Fall sein sollte, wird es denke ich noch eine Weile dauern. Allerdings stelle ich es mir bei 360-Grad nochmal erheblich schwieriger vor, diese Gratwanderung zwischen „freier Erkundung“ und „geleiteter Story“ hinzubekommen. Gerade weil die Möglichkeit etwas „zu verpassen“ so groß ist und weil zu einmal Verpasstem nicht mehr zurückgekehrt werden kann. Ich bin auf jeden Fall gespannt, was uns da noch alles erwarten könnte, wenn die Technik mal großflächig von erfahrenen Filmemachern genutzt wird!
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Ich kenne mich mit VR- bzw. VR-Filmen auch nicht aus, aber bei den Stichwörtern 360-Grad-Rundumsicht und freie Erkundung vs. geleitete „Story“ musste ich direkt an die Panorama-View-Videos auf der Wii U denken:
https://www.nintendo.de/News/2013/Juli/Spezialangebot-zu-Wii-U-Panorama-View-Videos-im-Nintendo-eShop-787395.html [Link Fixed]
Schade, dass Nintendo da nie mehr daraus gemacht hat; ich habe mir die Rickscha-Fahrt durch Kyoto heruntergeladen und fand das Video trotz seiner diversen Defizite ziemlich faszinierend. Wer eine Wii U hat, sollte sich zuwenigst das kostenlos Demo-Video (ein Zusammenschnitt aus Szener aller vier Episoden) einmal anschauen.
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Ja bei den Nebenmissionen muss ich dir recht geben. Da gibt es Spiele die wollen damit nur ihr Spiel füllen. Egal ob man das ganze noch mit Dialogen von NPCs garniert. Ein Fallout 3 und auch 4 sagt dir dagegen quasi ins Gesicht unsere Hauptgeschichte ist eigentlich Schwachsinn, aber hier ist diese geile spannende Welt die du erkunden kannst und die unterschiedlichen Charaktere die die Welt bevölkern.
Allgemein ist ja auch die Frage, was will ich persönlich inszenatorisch von einem Spiel. Mir persönlich ist zwar eine Geschichte und Figurenzeichnung und gute Inszenierung sehr wichtig, aber ich will ja trotzdem auch ein Spiel spielen. Denn sonst könnte ich ja auch einen Film gucken.
Vielleicht sollten Spiele auch einfach Selbstbewusster mit ihrer eigenen Form umgehen anstatt dem Film nachzueifern.
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Sehr schöner Beitrag! Als ich das Stichwort „Regie“ gelesen habe, dachte ich zuerst an das, was im wortwörtlichen Sinne damit gemein ist, also Produzenten, die sich als Regisseure inszenieren. Da fielen mir spontan David Cage und Kojima ein. Aber das wäre vielleicht etwas für einen anderen Beitrag…
Mich würde interessieren, wie du in diesem Zusammenhang „A Way Out“ einschätzen würdest. Das inszeniert sich ja auch stark filmisch, vor allem aber nicht nur in den Zwischensequenzen.
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Freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat :)
A Way Out habe ich leider noch nicht gespielt, aber das werde ich demnächst nachholen, hab da sehr große Lust drauf! Bis auf die erste Ankündigung habe ich mir dazu aber auch nichts mehr angesehen. Die Ausschnitte die man dort sah, machten auf mich auch einen stark filmischen Eindruck, wenn du sagst, dass dieser Ton auch abseits der Cutscenes stattfindet, bin ich schon mal gespannt, wie die Umsetzung davon aussieht. Auch dieser Aspekt, dass scheinbar je nach Dynamik der Situation die Bildschirmaufteilung, also die Größe der einzelnen Splitscreens variiert, finde ich eine schöne spielerische Idee für filmische Inszenierung :)
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Schöner Beitrag! :)
Die Frage nach der Gesamtdramaturgie beschäftigt mich schon seit einiger Zeit, weil auch gute Spiele in diesem Punkt regelmäßig scheitern. The Wonderful 101 beispielsweise. Auch scheinen viele AAA-Produktionen so etwas wie Dramaturgie allein in Zwischensequenzen stopfen zu wollen, was dann solche Skript-Orgien wie Call of Duty zur Folge hat, deren auf dem Papier spannungsgeladene Erzählungen keine dramatischen Entsprechung im Gameplay finden, das davon viel eher unterbrochen und zerstückelt wird. „Nun lasst MICH doch endlich einmal machen!“, denk ich mir da oft, und wenn ich das nicht darf, werden die Levels spätestens beim wiederholten Durchspielen fade. Deswegen gefallen mir auch Spiele so gut, die sich in dieser Hinsicht zurücknehmen, wie SC Blacklist oder Devil’s Third.
Besonders erhellend in deinem Beitrag fand dann auch diese Passage:
„Ein Rhythmus, der also zum einen nicht zulässt, dass die SpielerInnen sich durch schlechte oder fehlgeleitete Führung in der eigentlich angestrebten Narration verlieren und der zum anderen den Drang des interaktiven Miteinbringens in einer zufriedenstellenden und dem jeweiligen Spiel angepassten Form befriedigt, scheint also schon einmal essentiell zu sein.“
Und da kam mir nach kurzer Überlegung direkt Resident Evil 4 in den Sinn. Die Dorfszene zu Beginn des Spiels das Gelungendste, was mir in der genannten Hinsicht eingefallen ist. Da die Szene vermutlich fast jeder kennt, will ich sie hier nicht nacherzählen, aber je mehr ich in die Details gehe, desto gelungener finde ich sie. Gerade auch die Vorbereitung dieser Szene, die genau genommen ja nicht die allererste im Spiel ist, sondern auf die Annäherung ans Dorf folgt: Auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich der Spieler im Dorf selbst nicht mehr mit der Steuerung vertraut machen muss. Alles, was er wissen muss, hat er bereits in den ersten, kleinen Konfrontation erlernt, wobei er zu dieser Zeit nach einem streng lineraren Pfad entlangläuft, dessen Linearität durch die Narration aber bestens erklärt ist.
Schließlich am Dorfeingang angekommen, schickt das Spiel den Spieler dann aber auch nicht uninformiert und somit unkontrolliert und ungeleitet in das Gebiet, sondern hat eine kurze Sequenz integriert, wo der Spieler durch ein Fernglas das zentrale Geschehen um den Dorfplatz beobachten darf. Damit wird sichergestellt, dass ihm der Fokuspunkt der Szene nicht entgeht, ohne aber den Spieler dazu zu zwingen, seine Spielfigur tatsächlich dorthin zu lenken. Nachdem er diese Szene dann aus der Ferne beobachtet hat, liegt es ganz bei ihm, wie er sich dem Dorf weiter nähert, und die vielfältigen Möglichkeiten des Geschehens, die sich daraufhin bieten, die sind ja bekannt und machten die Dorf-Location damals so einzigartig. Die narrativen Elemente sind dabei so flexibel gestaltet, dass sie sich den Handlungen des Spielers anpassen, statt den Spieler zu zwingen, etwa einen bestimmten Weg zu gehen. Das Erscheinen des Gegners mit der Kettensäge treibt die Spannung nach einer gewissen Zeit noch einmal in die Höhe, das Glockengeläut schließlich setzt einen Schnitt, bevor die Szene eintönig werden und ihre Künstlichkeit allzu deutlich offenlegen könnte.
Führung und Freiheit immer in Kombination und perfekt verzahnt; in meinen Augen der Grund, weshalb dieser Teil des Spiels so sehr aus allen anderen hervorsticht!
Gesamtdramaturgisch sehr gelungen war aber auch das Ur-Resident-Evil, aber darauf gehe ich in einem kommenden Beitrag ein bisschen näher ein. ;)
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Da ich Resident Evil 4 selbst nie gespielt habe und die Szene nur vage in Erinnerung hatte, habe ich sie mir nochmal ganz angesehen und muss dir beipflichten :)
Gerade dieser Stressfaktor innerhalb dieser Passage der zwischen ständiger Flucht und spontanem Improvisieren pendelt, scheint mir definitiv seinen Effekt zu erzielen. Die Munitionsknappheit und die Ankunft des Kettensägenmanns sorgt dabei natürlich noch viel mehr für extreme, permanente Anspannung.
Auch die Interaktionsmöglichkeiten die man hier noch zusätzlich hat, wirken alle sehr logisch in den Szenenverlauf implementiert (im Haus verbarrikadieren, in dem man einen Schrank vor die Tür schiebt, die Leiter umstoßen, durch die die Gegner ins Haus klettern).
Bei solchen, ich nenne sie mal „Spielplatz-Levels“, also Abschnitten, bei denen man genau so eine Dynamik zwischen offenem Improvisieren innerhalb eines begrenzten Gebiets hat, finde ich es immer wichtig, dass die Interaktionsmöglichkeiten im Spiel auch so gut wie möglich Hand in Hand mit den Lösungsansätzen gehen, die sich der Spieler dazu überlegt, damit nicht ein Moment des „Warum kann ich das jetzt nicht tun?“ entsteht.
Zur Dorf-Szene habe ich übrigens eben zufällig noch einen interessanten Artikel auf Kotaku gefunden, zur Vollständigkeit verlinke ich ihn hier nochmal, auch wenn wir über das Meiste davon jetzt schon geredet haben :)
https://kotaku.com/the-cruel-brilliance-of-resident-evil-4s-village-fight-1639485771
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Interessant, den Artikel kannte ich auch noch nicht! Hab ihn gleich gelesen – ein schöner Text, der sich mit unseren Beobachtungen deckt, auch wenn er den Begriff der Regieführung nicht explizit anspricht.
Noch zu deinem Punkt mit dem Balance zwischen Interaktionsmöglichkeiten und Lösungsansätzen. Darauf kam ich kürzlich auch bei unserem Games-Stammtisch in Leipzig zu sprechen, ich glaube auf die Frage hin, was Immersion oder Glaubwürdigkeit in Spielen ausmacht. Und da war mein erster Einfall auch, dass „das“ nicht passieren sollte, also der Gedanke aufkommen „Warum kann ich diese Sache jetzt nicht tun?“ Die Interaktionsmöglichkeiten müssen dabei keineswegs besonders groß sein, sie müssen nur konform gehen mit dem, was ich als Folge meiner Reaktion auf die Spielwelt gern tun möchte.
Das ist für mich etwa der Unterschied zwischen einem Watchdogs und einem Shenmue. Das selbsterklärt „realistische“ Setting in Watchdogs suggeriert mir eine realitätsnahe Welt, dazu führt, dass ich mich dort auch gern „wie ein normaler Mensch“ verhalten möchte (was ich auch in Hinblick auf die Probleme des Helden als zielführend ansehen würde). Darf ich aber nicht, ich darf ja nicht einmal mit Leuten quatschen.
In Shenmue wiederum darf ich außerhalb strikt festgelegter Spielpassagen keinerlei NPCs attackieren. Das stört aber nie, weil mir das Spiel keinen Grund gibt, das ich das je würde tun wollen. Dafür darf ich mit allen reden (und übrigens tatsächlich gar nicht sehr viel mehr). Die für mich natürliche Reaktion auf die Spielwelt und ihre Herausforderungen ist somit deckungsgleich mit den Möglichkeiten, die mir das Spiel auch tatsächlich bietet.
Und auch wenn wir damit schon wieder im Bereich Interaktivität, Immersion, und letztlich auch ludonarrative Dissonanz sind – diese Harmonie zwischen den vom Spieler gewünschten und den spielmechanisch tatsächlich möglichen Aktionen ist für eine gute Regieführung möglicherweise eine Grundvoraussetzung.
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Ich glaube bezüglich dieser Frage ist es auch kein Wunder, dass das neuste Zelda so durch die Decke ging. Noch immer findet man ja zahlreiche Videos von Leuten, die die verrücktesten Tricks ausnutzen, Items und Skills kombinieren um Rätsel im Spiel zu lösen oder einfach nur interessante/lustige Effekte im Spiel zu bewirken. Da kann ich nochmal das im Artikel verlinkte YouTube-Video „The Rise of the Systemic Game“ von Mark Brown empfehlen, in dem er genau auf diesen Spieltypus in modernen Open-World-Games eingeht.
Im Grunde schlagen ja auch Entscheidungsmöglichkeiten in Spieldialogen in eine ähnliche Kerbe, auch wenn man hier natürlich momentan meist nur sehr wenig Einfluss auf einen tatsächlich unterschiedlichen ablaufenden Spielverlauf hat (ich denke hier beispielsweise an die Telltale-Spiele). Gerade hier bin ich gespannt, inwiefern vielleicht eine intelligentere AI in Spielen neue Wege offenbaren kann. Ich meine mich zu erinnern, dass Bioshock-Leaddesigner Ken Levine in diesem (https://www.youtube.com/watch?v=p40p0AVUH70) GDC-Talk unter anderem über die zukünftige technische Möglichkeiten des Geschichtenerzählens gesprochen hat, aber es ist zugegebenermaßen schon eine Weile her, dass ich das Video geschaut habe.
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