Ein Gastbeitrag von Marc Wahlen

Kommunikation ist ein Kernelement in Videospielen, das zahlreiche bewegende und denkwürdige Momente überhaupt erst ermöglicht. Oftmals sind es die sprachliche Interaktion zwischen dem Protagonisten und anderen Figuren oder eine begleitende verbale Untermalung des Spielgeschehens durch einen Erzähler, die einem Spiel seinen besonderen Charme verleihen. So bleiben häufig nicht nur das Spiel und seine Handlung als solche in Erinnerung – sondern auch die Art und Weise, wie erzählt wurde.

Ein Spiel, das dies auf eine besondere Weise umgesetzt hat, ist Hellblade: Senua’s Sacrifice. Hier nehmen wir die Welt aus der Sicht einer im achten Jahrhundert lebenden jungen Frau wahr, deren Wahrnehmung von psychotischen Symptomen begleitet wird. Nahezu ununterbrochen hören wir dialogisierende oder kommentierende Stimmen, immer passend zum jeweiligen Geschehen. Teilweise wird die Realität durch visuelle Halluzinationen verfremdet. Das Besondere hierbei ist nicht nur der durchaus mutige Schritt, das Leben einer Frau in diesem frühen Zeitalter in Kombination mit psychischen Beeinträchtigungen darzustellen, sondern eben auch die außergewöhnliche Art der Narration. Denn die Stimmen kommentieren nicht nur Senuas Handeln, sondern erzählen auch von ihrer Vergangenheit, von ihrem Leben.

Somit ist die Rolle des Erzählers in Hellblade geschickt mit einem Aspekt der Charakterzeichnung verknüpft, was dem Spiel zusätzliche Tiefe verleiht. Allerdings gibt es auch immer wieder Spiele, bei denen dieser essentielle Aspekt wegfällt und eine Geschichte ganz ohne verbale Kommunikation im Spiel oder mit dem Spieler erzählt wird. Und genau das sorgt dann für ein ganz neues Empfinden von Spannung und Dramatik.


Environmental Storytelling

Eine häufig verwendete Form des wortfreien Erzählens ist das sogenannte environmental storytelling. Damit ist eine Art der Narration gemeint, die über die Gestaltung und Entwicklung der Spielwelt stattfindet. Oftmals wird von environmental storytelling Gebrauch gemacht, wenn es darum geht, zusätzlich zur Haupthandlung eine weitere Nebenhandlung zu erzählen oder die Hauptgeschichte mit zusätzlichen Details auszuschmücken.

So etwa in Hotline Miami: In diesem Spiel steuern wir einen namenlosen Auftragskiller. Unsere Missionen erhalten wir via Anrufbeantworter, woraufhin wir die jeweiligen Zielgebiete aufsuchen um unsere Arbeit zu verrichten. Einmal allerdings entscheidet sich der Protagonist, das ausgewählte Ziel nicht zu eliminieren, sondern zu retten. Dies markiert einen Wendepunkt im Handlungsverlauf, auch wenn das volle Ausmaß erst bei genauem Hinsehen ersichtlich wird: Fortan wird mit Mitteln des environmental storytelling – nämlich nur anhand von Veränderungen im Wohnraum des Protagonisten – eine Liebesgeschichte zwischen der Spielfigur und der geretteten Unbekannten erzählt. Während die Wohnung zu Beginn noch ungepflegt und vernachlässigt aussah, wird sie nach der Rettung zunehmend ordentlicher und gemütlicher. Hierbei wird aber auch ein kritischer Aspekt in puncto environmental storytelling deutlich: Nur dann, wenn der Spieler die Veränderungen auch bemerkt und den Zusammenhang richtig deutet, kommt die Geschichte vollkommen zur Geltung.

Ein anderes Beispiel für den geschickten Einsatz von environmental storytelling ist Aporia: Beyond the Valley. Allerdings geht dieses Adventure noch einige Schritte weiter. Hier wird die komplette Story des Spiels ohne Worte und Schrift erzählt. Somit muss der Spieler die bildhaften Darstellungen, die überall in der Spielwelt verteilt sind, finden und die Veränderung der Umwelt richtig deuten, um sich einen großen Teil der Geschichte zu erschließen. Eine weitere Besonderheit von Aporia ist seine Form des nonverbalen Erzählens in Zwischensequenzen. Wie bei einem Theater in 2D-Optik, in einem malerischen, an ägyptischen Hieroglyphen erinnernden Stil, wird nur anhand von Mimik und Gestik der dargestellten Akteure der rote Faden durch die sonst ausschließlich durch die Spielwelt erzählte Geschichte dem Spieler nahegebracht.


Das Ohr spielt mit

Gewiss, die Regel ist reines environmental storytelling nicht, und auch der gezielte Einsatz von nonverbalen visuellen Elementen findet sich nicht überall. Allerdings besitzt nahezu jedes Spiel eine wortlose Narration, die so essenziell ist, wie kaum etwas anderes: Die Soundkulisse. Oftmals fungiert sie eher als subtile Unterstützung zu visuellen Eindrücken oder dient dazu, die laufende Handlung passend zu untermalen. Dennoch ist sie in jedem Spiel, egal ob mit verbalen oder ausschließlich nonverbalen Handlungsabschnitten, unerlässlich. In nonverbal geprägten Spielen (oder Spielabschnitten) stellt sie allerdings einen noch wichtigerer Bestandteil dar und dort, wo sie in geschickter Verbindung mit environmental storytelling eingesetzt wird, bedarf es oftmals auch keiner Worte mehr.

Gerne findet diese Kombination in Horrorspielen Verwendung. Mittels Musik oder Umgebungsgeräuschen wird Spannung und dadurch auch auf unterschwellige Weise Angst beim Spieler aufgebaut. Noch bevor etwas passiert, gibt die Soundkulisse bereits einen Vorgeschmack darauf, dass uns Schreckliches erwartet – kommende Geschehnisse lassen sich erahnen und Höhepunkte der Geschichte werden vorbereitet. Plötzlich – die Musik hat ihren Höhepunkt erreicht – finden wir einen leblosen, blutverschmierten Körper vor, der wortlos von seinem fürchterlichen Ableben erzählt.


Observer

Im Cyberpunk-Horrorthriller Observer funktioniert das Zusammenspiel zwischen Soundkulisse und environmental storytelling ebenfalls sehr gut. Hier übernimmt der Spieler die Rolle des Elite-Neuraldetektivs Daniel Lazarski. Aufgrund eines verwirrenden Anrufes seines Sohnes begeben wir uns mit Lazarski zu seinem letzten bekannten Standort, ein heruntergekommenes Slum. Dort finden wir den Sohn allerdings nicht vor, sondern stattdessen eine enthauptete Leiche. Als Elite-Neuraldetektiv, kurzum Observer, ahnen wir Schreckliches und beschließen, uns des Falls anzunehmen.

Der Begriff Observer, zu Deutsch Beobachter, ist nicht ohne Grund gewählt: Zu unseren Fähigkeiten gehört es, uns in die Gedanken der Opfer zu hacken und anhand deren Erinnerungen den Tathergang zu rekonstruieren. Allerdings gibt es einen entscheidenden Haken bei diesem Vorgehen. Auf der Reise durch die Erinnerungen der Opfer sehen wir uns nämlich auch mit deren tiefsten Ängsten konfrontiert. So kommt es, dass, während wir die erste Erinnerung eines Opfers beobachten, diese plötzlich abbricht, und wir uns in einem dunkeln Raum wiederfinden, der rundum mit Bildschirmen versehen ist. Von jedem der Geräte blickt ein lebendig wirkendes Auge. Subtile und dennoch bestimmende Musik schaltet sich dazu und unterstreicht das Gefühl von Angst – die Angst, beobachtet zu werden und einen Fehler zu machen. Doch können wir uns von den Blicken der Beobachter nicht befreien – wo wir auch hingehen, die Bildschirme scheinen überall zu sein und mit ihnen die Beklommenheit und Angst.

Selbst als wir schließlich aus den schier endlosen Räumlichkeiten entrinnen können, wartet schon die nächste Angst auf uns – aber auch die ersten Hinweise auf das Schicksal, welches dem Opfer widerfahren ist. Während die Spannung in den Erinnerungspassagen immer wieder aufgebaut wird, sehen wir ein rasantes Feuerwerk von bunten Lichteffekten und Bildwechseln oder schleichen durch endlos wirkende Büroräume. Während wir stets auf der Flucht sind vor den verschiedensten Kreaturen, baut die Musik das Gefühl von Angst bis hin zu regelrechter Paranoia besser auf als Worte es je könnten. Dabei tun wir nichts anderes außer laufen. Laufen und die visuellen Einflüsse versuchen richtig einzuordnen. Denn so wirr und psychedelisch sie auch sein mögen, sie vermitteln eine Botschaft. Wir können aus ihnen ebenfalls die Ängste der Opfer entziffern und durch kluges Kombinieren einen Tätertypen konstruieren.


Schweigen ist Gold

Singleplayerspiele sind eine Sache – aber ist es möglich, dass in einem kooperativen Multiplayerspiel zwei Spieler ein Ziel verfolgen, sich absprechen und zusammen agieren müssen, und das ohne Worte? Sicher nicht einfach, aber nicht unmöglich! Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie das funktionieren kann, ist Journey.

In Journey befinden sich zwei Spieler alleine in einer Wüste. Beide steuern eine identisch aussehende Gestalt mit einem rot-braunen Umhang und einem schwarzen, ovalen Gesicht, ohne Nase und Mund, lediglich von zwei glühenden Augen geziert. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind auf ein Minimum reduziert; es besteht ausschließlich die Möglichkeit sich mittels eines dumpfen, melodischen Klanges zu verständigen, welcher ausschließlich in Tonhöhe und Länge veränderbar ist. Zusätzlich erscheint um den kommunizierenden Avatar für die Dauer des Klanges eine weiße, helle Kuppel, welche mit seinem Verklingen ebenfalls verschwindet. Die ersten Lebewesen, auf die die Reisenden treffen, sind flache, einem Teppich ähnelnde Geschöpfe, welche untereinander sowie mit den Spielern mit genau denselben Mitteln, nur ohne das helle visuelle Signal, kommunizieren. Es besteht keine Verpflichtung zusammen mit unserem visuellen Ebenbild zu reisen, wer allerdings weit kommen möchte, der sollte sich seinem Begleiter anschließen, denn gemeinsam wird man die auf der Reise lauernden Gefahren leichter bezwingen können.

Es ist erstaunlich, aber trotz geringster Kommunikationsmöglichkeiten gelingt es dem Reisenden, Möglichkeiten zu finden sich mit seinem fremden Gegenüber zu verständigen und mit ihm gemeinsam Absprachen zu treffen. Dabei passiert noch etwas ganz Besonderes, was nur durch die Reduktion der Kommunikationsmöglichkeiten überhaupt möglich geworden ist: Die gewohnte Kommunikationsform des Menschen, die Verständigung durch Worte, tritt in den Hintergrund. Doch genau dadurch wird die Interaktion zwischen den Avataren betont, und wenn die einfache Kommunikation erst einmal funktioniert, dann wirken Worte in diesem Spiel schon fast obsolet.


Fazit

Den vielen positiven Aspekten zum Trotz lässt sich dennoch nicht sagen, dass Nonverbalität in Spielen nun stets das optimale Spielerlebnis nach sich zieht, denn beide Erzählstrategien haben ihre Vor- und Nachteile.

In einem Singleplayerspiel, dessen Story ohne Worte erzählt wird, schreitet der Spieler aufmerksamer durch die Welt, nimmt die Umgebung anders war und lernt schließlich, sie zu lesen. Entscheidend dabei ist allerdings, inwiefern sich der Rezipient in die narrative Welt transportieren kann. Sollte das nicht ausreichend gelingen, dann wird der Spieler keine positive Erfahrung machen. Ähnlich verhält es sich im kooperativen Spiel mit realen Mitspielern. Wenn der Spieler mit den minimalen Kommunikationsmöglichkeiten zurechtkommt und offen dafür ist, sich mit seinen Mitspielern auseinanderzusetzen und eine eigene Sprache zu entwickeln, dann ist es möglich, dass die Spieler ohne Worte, doch mit ihrer eigens entwickelten Kommunikationsform, das Spielziel gemeinsam erreichen. Der Lohn kann eine außergewöhnliche Erfahrung sein, die lange in Erinnerung bleibt.

Ein Garant für ein gutes Spielerlebnis ist Nonverbalität in Spielen allerdings nicht und ob sich eine positive Wirkung entfaltet, hängt immer auch vom subjektiven Empfinden des Einzelnen ab. Den Versuch zu wagen und ein Spiel und seine Erzählung einmal auf andere Weise mit seinen Sinnen zu ertasten, ist dennoch ein Erlebnis, dem sich Spieler nicht von vornherein verschließen sollten. Sei es das aufmerksame Entschlüsseln eines environmental storytelling oder die Herausforderung und Faszination einer nonverbalen Kommunikationsform – den Versuch ist es in jeglicher Hinsicht wert.


Gastautor Marc Wahlen ist 19 Jahre jung und wohnt dort, wo Deutschland, die Niederlande und Belgien aufeinandertreffen. Während er sich im Alltag mit Ökonomie beschäftigt, sucht er seinen Ausgleich in kreativen Aktivitäten wie dem Schreiben und auf seinen Reisen durch die Welten verschiedener Adventures und Horrorspiele. Die zu analysieren macht ihm manchmal beinahe mehr Spaß als das Spielen selbst, allerdings war Marc auch einige Zeit im eSports-Bereich aktiv – in Team Fortress 2 und Quake Champions – und wenn die Zeit es hergibt, möchte er dort auch wieder einsteigen.


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