Ein Gastbeitrag von Yannic Hertel
im Rahmen des Gastautoren-Specials GASTSPIELER II.

Als mich Sylvio fragte, ob ich nicht Lust hätte mal einen Gastartikel für Spielkritik.com zu schreiben, musste ich nicht lange überlegen und sagte selbstverständlich sofort zu. Mit meiner Zusage wich das „ob“ dem „was“. Über welches Thema sollte ich schreiben? Natürlich gab es hunderte Möglichkeiten und Spielkritik ist ein wahres Füllhorn an tollen Artikeln. Also entschied ich mich, einen Artikel über das Thema zu schreiben, von dem ich wirklich Ahnung habe: Journalismus. Und wir befänden uns nicht auf Spielkritik, wenn es nicht passenderweise um Spielejournalismus gehen würde.


Ich schreibe seit 2014 für Spielewebseiten und studiere im letzten Semester Online-Journalismus. Vorweg sollte gesagt werden, dass ich noch in keiner Spieleredaktion gesessen habe. Alle Redaktionen, in denen ich bisher arbeiten durfte, sind dem „klassischen“ Journalismus zuzuordnen. Meine Überlegungen basieren daher vor allem auf Beobachtungen, Abstraktionen und Gelerntem:

Wenn ich mich in meiner Twitter-Blase umschaue, könnte man meinen, der Spielejournalismus stecke in einer ernsten Krise. Auf der einen Seite seelenlose Listicles und Spieletests mit dem Charme eines Stiftung Warentest; auf der anderen Seite hochanalystische Auseinandersetzung mit Spielen, gesellschaftskritische Fragen und das Bestreben Spiele endlich „ernst“ und „kritisch“ zu behandeln. Natürlich sind die Fronten nicht derart verhärtet, hier wird gerade ein wenig extrapoliert, aber die Grundprämisse ist ohne jeden Zweifel vorhanden.

Und wenngleich ich selbst ein Verfechter der Leitlinie „Spiele in das Feuilleton“ bin, möchte ich mich nicht so recht den Rufen nach „erwachsenen“ Spielemagazinen anschließen. Der Wunsch, dass Spiele durchgehend als Kulturgut betrachtet werden und die Behandlung als Produkt endgültig ihren Zenit überschritten hat, ist so sinnvoll, als würde man verlangen, dass alle Zeitungen auf einmal die Schreibweise und Themenschwerpunkte der FAZ übernehmen sollten. Es gibt ohne jeden Zweifel einen Markt für diese Art der Herangehensweise an Spiele, sowie es auch einen Markt für die reine Produktbewertung gibt – und der darf nicht außer Acht gelassen werden.

Doch auch die Gegner von „Spiele als Kultur“ müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass ihr geliebtes Medium eben nicht in einem luftleeren Raum existiert, in dem Spielmechaniken das einzige sind, was ein Spiel ausmacht und wo jedes Feature gegeneinander aufgewogen werden kann, bis man am Ende, unter hohem Druck, eine solide Zahl – einem Diamanten gleich – herauspressen kann.

Tatsächlich sind die Verfechter der Zahlen sogar diejenigen, die mit den Wertungen am wenigsten zufrieden sind. Kaum eine Kommentarspalte unter einer Review kommt ohne Beschwerden über die „zu hohe“ oder „zu niedrige“ Bewertung aus. Ganz beliebt ist auch der „Und was ist mit“-User, der jedes Mal mit einer beängstigenden Genauigkeit zwei nicht miteinander vergleichbare Spiele gegeneinanderschlägt und Rechtfertigungen von Seiten der Redakteure verlangt.

Womöglich wäre es an der Zeit, einen Cut unter die Bewertungen zu setzen. Noch einmal von vorne anzufangen – Spiele wieder zu bewerten wie „damals“. Natürlich versaut man damit den Schnitt – und ja, einige Entwickler bekommen nur dann Bonuszahlungen, wenn das Spiel eine gewisse Durchschnittswertung erreicht. Aber liebe Spieleredakteue: Das. Ist. Nicht. Euer. Problem.

Man stelle sich vor, Wirtschaftsjournalisten gingen auf einmal zahm mit Managern um, weil diese sonst womöglich ihre Bonuszahlungen verlieren. Ich lese doch auch gerne klassischen Spielejournalismus – aber traut euch endlich was. Schreibt ehrlich, kritisch und wenn ihr Zahlenwertungen vergebt, begründet sie.

Dann haben wir noch die Spielkritiker, die gerne in die Tiefenanalyse gehen. Ich selbst zähle mich auch nur zu gerne zu dieser Art von Kritikern. Aber eines muss ich vorneweg sagen: Nicht jeder geistige Erguss ist es wert in Textform gegossen zu werden. Damit will ich kreative Ideen und Denkansätze nicht abstrafen. Das Schöne an dieser Art des Journalismus ist ja, dass die Gedanken eben frei sind – dass jede Assoziation erlaubt ist. Ich lese beinahe jeden Artikel dieser Art, weil ich selbst immer etwas daraus lerne. Aber: Oftmals ist Kritik um der reinen Kritik willen ebenso zahnlos wie Lobgesänge. Wenn sich eure Artikel lesen, als hättet ihr die Zerrisse vor dem Kamin mit Chardonnay in der Hand geschrieben, verlieren sie an Sprengkraft – weil die Gegner dieser Sichtweise euch vorwerfen, dass ihr abgehoben diskutieren würdet. Versteht mich nicht falsch: Entschiedene Gegner dieser Art von Journalismus werden diese Vorwürfe immer erheben. Aber bitte lasst es nicht soweit kommen, dass ich nachvollziehen kann, woher dieser Gedanke kommt.


Aktuell besteht der deutsche Spielejournalismus bis auf wenige Ausnahmen aus diesen beiden Lagern, die relativ unversöhnlich miteinander um die Deutungshoheit streiten. Was beide Kontrahenten dabei jedoch oft vermissen lassen, ist der kritische Journalismus. Und damit meine ich nicht, dass Spiele nicht kritisch besprochen oder auf ihre Inhalte abgeklopft werden. Spiele sind noch immer Wirtschaftsprodukte. Und so handeln auch die Entwickler – mir fehlt das kritische Nachfragen, das penetrant sein. Viele Publisher sind an der Börse und müssen ihre Papiere offenlegen – es gibt Methoden gewissen Dingen auf den Grund zu gehen. Das wird jedoch leider nur selten getan und zu oft wird mit den Achseln gezuckt. Lootboxen sind kurze Aufreger, aber der Sache genau auf den Grund gehen mag niemand. Natürlich sprechen Entwickler nicht gerne darüber, aber die Beziehungen zur Industrie sind da. Nutzt sie. Nicht die kritischen Journalisten sind das Problem, sondern die netten.

Ob sich dieses Thema so schnell ändern lässt wage ich zu bezweifeln, vor allem da fraglich ist, wie viele Spieler all das wirklich interessiert – und letztlich ist Interesse die Währung des heutigen Journalismus. Kann ich Interesse für mein Produkt generieren, klicken die Leute entweder – was mir Werbegelder einfährt – oder aber sie sind sogar bereit meine Artikel zu kaufen. Und hier sind wir beim eigentlichen Kernthema – heutzutage stehen nur noch wenige Spielezeitschriften für etwas. Während wir bei der klassischen Presse durchaus wissen, was wir bei Spiegel, Zeit, der FAZ, der Süddeutschen und der taz erwarten dürfen, scheint mir die deutsche Landschaft der Spielemagazine relativ einförmig. Letztlich erhalte ich Tests, ab und an eine Reportage, und womöglich bewertet ein Heft kritischer als ein anderes. Doch das reicht nicht mehr.

Bildet ein eindeutiges Profil heraus – steht für etwas. Womöglich müssen auch wir Verfechter des „Spiele in das Feuilleton“ uns eingestehen, dass unsere Texte nur dort hingehören und überleben können. In das Feuilleton der Zeit, auf Spiegel oder auch zu WIRED. Dort landen sie mittlerweile auch immer öfter. Wir müssen akzeptieren, dass sie eben nicht für jedermann etwas sind. Dass die „Masse“ eben kein Interesse daran hat, wie die Psyche von Senua aussieht, sondern wie viele Waffen das neue Call of Duty hat. Das ist legitim. Denn auch Journalismus ist letztlich ein wirtschaftliches Produkt – und für ein solches gilt: Liebe Leser, wenn ihr da draußen tiefgreifende Artikel lesen wollt, die nicht die Masse ansprechen, dann bezahlt dafür. Bewerbt sie, teilt sie mit Freunden, die diese Art von Artikel ebenfalls interessieren könnte. Und kauft auch wieder Spielemagazine. Denn ansonsten müssen Verlage, um weiter überleben zu können, unselige Ehen eingehen. Mit Keysellern; womöglich auch mit Publishern. So stirbt jede Form der Unabhängigkeit. Zeigt den Redakteuren, dass ihre Arbeit euch etwas wert ist.

Und zeitgleich:

Liebe Redakteure. Liebe Kollegen,

nehmt euch nicht so wichtig. Wir sind nicht der Nabel der Welt. Steht für eure Art des Journalismus ein und zieht euch eure Community dafür heran. Seid standhaft, ehrlich und vor allem: transparent. Dass das funktionieren kann, zeigen allen im deutschsprachigen Raum Projekte wie „Auf ein Bier“ und „Insert Moin“. Und letztlich, auch wenn es schmerzt: Ein positiver Artikel über ein Videospiel verkauft dieses heutzutage nicht mehr. Es ist beinahe egal – dank Streamern läuft die Hype-Maschine sowieso schon lange im Voraus und das meiste Geld wird mit Vorbestellern und Tag-1-Käufern gemacht. Es gibt einen Grund, weshalb euer NDA oft erst am Tag der Veröffentlichung oder sogar später fällt. Ihr seid nicht den Firmen zu etwas verpflichtet. Sondern den Spielern – euren Lesern. Informiert sie. Seid kritisch und hechelt nicht jedem Hype-Train hinterher. Das kostet Glaubwürdigkeit und der Schaden, der so entsteht, lässt sich mit ein paar tausend Klicks nicht aufwiegen.


Der Autor:

Yannic Hertel (@games_newsman)
Podcastet auf Culturevania.com und schreibt auf Videospielgeschichten.de und VRNerds.de.

1991 im Saarland, nahe der Grenze zu Frankreich zur Welt gekommen, bastelte Yannic Super Mario aus Pappe, während er auf sein Nintendo 64 wartete. Seit seiner ersten Ausgabe der GamePro glomm schließlich der Wunsch, über Spiele auch zu schreiben. Es folgten ein Journalismus-Studium, eine Anstellung bei der FAZ und Praktika u.a. bei der Frankfurter Rundschau, bis 2017 auch im Bereich Spielejournalismus alles ganz schnell ging: Mit dem Podcast-Format Culturevania, mit angriffslustigen Gastbeiträgen und neuerdings als zweiter Mann an der Spitze von VSG, erwarb Yannic sich einen Namen als eine der markantesten Stimmen der deutschsprachigen Games-Blogosphäre. [sk]