Ein Gastbeitrag von Kevin Puschak
Mitte 1998 erschien der erste Teil von Autobahn Raser im deutschen Handel. Mit einem niedrigen Verkaufspreis, einem einprägsamen Namen und einer leichten Zugänglichkeit hatte Davilex trotz gemischter Meinungen der Spielezeitschriften viele Kunden gewinnen können. Obwohl sich die Boliden schwammig steuerten und die Physik absolut grottig war, hatten vor allem Einsteiger großen Spaß an der überschaubaren Spielmechanik.
Knapp über ein Jahr später haut Davilex die Fortsetzung raus, Autobahn Raser II, das zwar auf dem Cover noch ein paar Gemeinsamkeiten mit dem Vorgänger aufweist, sich jedoch im Kern wie ein völlig anderes Spiel anfühlt.
Das Intro von Autobahn Raser II suggeriert dem Spieler schon einiges: eine umfangreichere Fahrzeugsauswahl, größere Gegenden, alles breiter, offener, und natürlich mehr Polizei. Vor allen Dingen aber erhält man einen Eindruck von der neuen Engine, die im Spiel verwendet wird. Die unterscheidet sich deutlich vom Vorgänger. Während es für einen Augenschmaus nicht reicht, ist alles ist weniger eckig und etwas schärfer und detailreicher geworden. Nach einem spektakulären Schnelldurchlauf quer durch die im Spiel enthaltenen Strecken umfährt ein kleiner Smart seine an einer Polizeiblockade gestoppten Kontrahenten und trudelt in Seelenruhe durchs Brandenburger Tor. Offenbar eine Andeutung darauf, dass manchmal weniger mehr ist. Natürlich darf der explizite Hinweis, dass es sich nur um ein Spiel handelt und dass das, was man in dem Spiel macht, illegal ist, nicht fehlen.
Nach erfolgter Nameneingabe wird man ins schicke, abstrakt wirkende Menü geworfen. Groß hervorgehoben wird natürlich die Meisterschaft, wo man sich durch die Gruppen A, B und C kämpfen kann. Mit jeder abgeschlossenen Gruppe wird jeweils ein Auto und eine neue Strecke freigeschaltet. Zudem gibt es für Rekordjäger ein Zeitrennen und für Gelegenheitsspieler einen „Sunday Cup“ genannten Einzelrennen-Modus. Die Einzelmodi erlauben darüber hinaus das Deaktivieren von Schaden, Polizei und Verkehr.
Die Autos sind nun ebenfalls in Gruppen eingeteilt: In Gruppe A gesellen sich die kleinen Wagen wie Mini, Smart oder Trabant, von denen das „Krokant“ genannte Davilex-Pedant sogar das leistungsstärkste Fahrzeug ist, auch wenn ein „Clever“ (so heißt der Smart im Spiel) mehr PS vorweisen kann. In Gruppe B darf sich die Mittelklasse breitmachen, mit Opel Astra, VW Golf und VW New Beetle, natürlich jeweils in der „Ich-kann-mir-keine-Lizenz-leisten“-Variante. Zu guter Letzt gibt es die Gruppe C mit den Sportwagen Porsche 911, einem Jaguar XR und einem Audi TT. Alle Fahrzeuge verfügen über zwei Lackierungen, das ist ebenfalls neu. In jeder Gruppe kann zudem ein Bonusauto freigeschaltet werden, indem man die jeweilige Gruppe in der Meisterschaft durchspielt.
Auf die billigen Plätze, fertig, los
In der Meisterschaft beginnt man ganz klein – auf dem siebten Platz, im dunklen Dortmund und in einem roten Mini. Unfassbar spektakulär wie im ersten Teil beginnt das Rennen nicht; nur von langweiligen Ansagen begleitet, geht es mit quietschenden Reifen ins Rennen. Immerhin gibt es im Autobahn Raser II endlich vernünftige Stereo-Umgebungsgeräusche und nicht nur tontechnisch merkwürdig positionierte Motorengeräusche der KI.
Kaum fährt man los, schon wird man von fahrenden Polygon-Blöcken in Form von VW T4 in Polizeifarben verfolgt, deren Räder sich kein bisschen drehen beim Fahren. Die Polizei zeigt sich allerdings relativ harmlos; sie wird nur gefährlich, wenn sie zu nahe kommt oder wenn sie vor einem fährt. Anders als im ersten Teil kriegt man auch nicht sofort einen Strafzettel, sondern erhält eine Chance zum Ausweichen. Nutzt man diese Chance nicht, stellt sich das Polizeiauto quer und mit etwas Pech gibt es eine Verwarnung. Nach drei Verwarnungen ist das Rennen vorbei und man darf von vorne beginnen. Ebenfalls mit von der Partie sind Radarfallen, die in Autobahn Raser II deutlich kleiner und detailreicher ausfallen. Jedoch merkt man erst recht spät, wie viel Geld man durch einen Blitzer verloren hat, es stellt aber ebenfalls kein Problem dar, diese umzufahren (teilweise an eher eigenartigen Stellen, etwa an einer äußeren linken Autobahnspur).
Und die Gegner-KI? Gut, die versucht einen auch wegzudrängen, kommt man denen zu nahe. Sonst fahren sie relativ flott ihre Route ab, hängen aber auch gerne mal an einigen Stellen fest. In Dortmund fährt man beispielsweise durch den Hauptbahnhof (also wortwörtlich) und die Einfahrt ist ziemlich eng. Das wäre eine solche Stelle. Immerhin versucht die KI, sich durch Rückwärtsfahren aus der Misere zu retten. Oft bleibt es aber beim Versuch. Auch auf einer relativ engen Straße auf der Strecke „Frankfurt“, wo sie gern an einer Ampel festhängt, scheitert die KI meist daran, durch ewiges Rückwärtsfahren wieder zurück ins Rennen zu finden.
Strecken sind ein gutes Stichwort: Zwar besagt das Cover „Mit Vollgas über Original-Strecken Deutschlands heizen!“, was zum größten Teil auch stimmt, schließlich fährt man durch Städte wie Dortmund, Frankfurt, München, Hamburg und Berlin, doch wer weiß, wie sich die österreichische Hauptstadt Wien einschleichen konnte. Immerhin haben alle Strecken Wiedererkennungswert, das Brandenburger Tor in Berlin darf beispielsweise nicht fehlen. Originalgetreu nachgebaut sind die Strecken aber keineswegs, die Wegführung ist mehr der Fantasie der Entwickler entsprungen. Mit ihren zahlreichen breiten Geraden ist gerade die Strecke „Wien“ die wohl entspannteste aller Strecken, auch wenn es durch den engen Park hindurch etwas stressig werden kann.
Wir haben allerdings noch den Titel des Spiels im Hinterkopf: AUTOBAHN Raser. Wo sind denn diese Autobahnen geblieben? Einerseits bezeichnet Davilex die zweispurigen Straßen in den Städten als Autobahnen, daneben gibt es insgesamt nur drei echte Autobahnstrecken. Das lässt die Namensgebung dezent obsolet erscheinen.
Abenteuerlich sind die Strecken aber allemal, was auch daran liegt, dass sie nicht wie bei jedem x-beliebigen Rennspiel über breite oder schmale Straßen führen, sondern auch durch Parks, Gassen, Einkaufspassagen oder im Fall von Dortmund sogar durch einen Bahnhof hindurch. Da kann man durchaus die Gelegenheit nutzen, Gegenstände wie Bänke oder Mülleimer umzufahren, was allerdings nur einmal möglich ist; danach verschwindet wie von Geisterhand die Kollisionsabfrage.
Ärger da, Ärger weg
Größere Ärgernisse gibt es in Autobahn Raser II kaum. Lediglich einige Streckenabschnitte verfügen über fiese unsichtbare Mauern, die sich erst mit einem lauten Knall und großem Schaden bemerkbar machen. Manchmal unverständlich ist auch die Tatsache, dass einige große Gegenstände wie Straßenlampen sich ohne Geschwindigkeitsverlust und ohne Schaden zu nehmen umfahren lassen, wogegen eine große Ampel über eine härtere Art der Kollisionsabfrage verfügt.
Ein wirkliches Schadensmodell kennt das Spiel allerdings nicht, es ist im Vergleich zum Vorgänger sogar noch vereinfacht worden: Ein Balken soll den Schaden symbolisieren, ansonsten fährt sich das Auto so, als hätte es keinen Kratzer abbekommen. Nur wenn der Balken voll ist, wird man vom Spiel zum gescheiterten Rennende katapultiert. Im ersten Teil machte sich hoher Schaden wenigstens noch akustisch bemerkbar und wenn das Auto restlos kaputt war, kam die Straßenwacht und behob den Schaden wieder.
Der größte Schwachsinn vom Vorgänger wurde Gott sei Dank nicht übernommen: das Tanken. Denn egal, welches Auto man auch hatte, alle schluckten gleichviel Benzin und mussten zufälligerweise an exakt denselben Stellen tanken. Stattdessen gibt es jetzt sinnvolle Quick-Service-Stationen, die den Schaden reparieren und den Turbo wieder aufladen, der als Tuningteil ebenfalls wieder dabei ist. Wie gewohnt kann man den Motor aufrüsten, bessere Reifen aufsetzen, das Getriebe ausbessern oder die Bremsen verstärken. Wer bessere Reifen aufsetzt, verbessert deutlich das schwammige Handling der Fahrzeuge, das ansonsten als riesiger Schwachpunkt erschienen wäre. Dennoch sollte man bei hohen Geschwindigkeiten aufpassen, denn selbst nach erfolgtem Tuning sind die Fahrzeuge noch immer nicht ganz sauber manövrierbar.
Heutige Relevanz
Schon damals konnte Autobahn Raser II nicht mit der starken Konkurrenz mithalten. Ganz oben spielte „Need for Speed: Brennender Asphalt“ mit, und selbst dessen Vorgänger („Need for Speed III: Hot Pursuit“) konnte Autobahn Raser II locker schlagen. Ganz vorn konnte man Davilex‘ Spiel also nicht sehen, aber es war immerhin besser als der erste Teil. Die Engine wurde verbessert, die Zahl der Autos größer und die Strecken waren deutlich abwechslungsreicher geworden. Zwar hat man nach knapp vier Stunden Spielzeit alles gesehen und auch der Wiederspielwert ist als relativ niedrig zu bewerten, dennoch ist das Gebotene gerade für einen notorischen Macher von eher unterdurchschnittlichen Spielen ein überraschend gutes Produkt.
Bis auf die deutschen Schauplätze, die in Rennspielen bis heute ziemlich rar sind, bietet Autobahn Raser II dennoch keine wirklichen Highlights. Es ist ein im Großen und Ganzen solides Rennspiel, das sehr einsteigerfreundlich daherkommt und gerade Familien einige Stunden Unterhaltung bieten kann. Rennspiel-Profis stören sich vor allen Dingen an nicht vorhandenen Kleinigkeiten und am Fehlen von Killerfeatures, die über den „Du-hast-schon-alles-was-willst-du-noch“-Status hinaus beschäftigen würden. Man kann sich Autobahn Raser II trotz alledem einmal anschauen und ergründen, was die Deutschen an diesem Spiel so geliebt haben.
Kevin Puschak ist 23 und lebt in Duisburg. Auf seinem Youtube-Kanal kepu94 erkundet er seit 2010 die Welt der PC-Technik und Videospiele von gestern.
Zeitgenössische Wertungen (Quelle: mobygames.de):
- PC Games (November 1999): 69%
- PC Joker (November 1999): 63%
- GameStar (November 1999): 63%
- PC Player (Dezember 1999): 60%
- Power Play (November 1999): 58%
- Gamesmania.de (1999): 40%
Richtig genialer Test, war glaub mein erstes AR. War damals witzig, kaufte es glaub bei der Software Pyramide, gabs die da schon oder kam die erst später. War auf jedem Fall ein Stapel Spiele nur die CD Hülle mit der CD, Minihandbuch in der Hülle für glaub 10 DM oder waren es schon 5 Euro. War spaßig damals, eines meiner ersten Rennspiele. Aber hatte keine Langzeitmotivation. Ich spielte immer nur die Einzelrennen. Opel war oder Opal oder so.
Die Schadensanzeige mit dem Balken, störte mich am Spiel, sehr billiges Schadensmodell.
Haben Rennspiele nicht an sich geringe Spielzeiten, kann mich dran erinnern das mich NFS Underground außer dem Zweispielermodus nach 3 Stunden schon langweilte. Vielleicht wars aber nur das falsche Spiel für mich.
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wurde, wenn ich mich recht erinnere, von anfang an billig verscherbelt, sicher ein grund für den erfolg… kenne es auch nur im jewelcase.
hab die seite übrigens mal nominiert:
http://reviewdatshit.net/2017/11/10/blogger-recognition-award
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An dieses „Meisterwerk“ kann ich mich auch noch dunkel erinnern. Irgendwie kam das damals auch in meine Hände, aber das flog nach wenigen Rennen direkt in die hinterste Ecke des Schranks. Reale Straßenzüge waren ja damals wirklich noch eine große Ausnahme, aber wenn man das mal mit dem nur ein Jahr später erschienenen MSR vergleicht, wirkt es schon echt steinzeitlich. Von den vielen anderen Problemen ganz zu schweigen. Schon erstaunlich, dass es trotzdem gefühlt hundert Teile davon gibt.
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Die Reihe war echt kurios: Qualitativ nicht gerade der Bringer aber trotzdem hat es irgendwie Spaß gemacht. Ich glaube, das lag zum Teil an den „deutschen“ Settings, man hatte immer so das Gefühl einer verbotenen Fantasie nachzugeben, wenn man sich auf deutschen Straßen wie ein Elefant im Porzellanladen benahm. Es war irgendwie weniger anonym als die fremden Strecken in anderen Spielen.
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Ich glaube auch, dass das einer der Gründe für den Erfolg der Reihe ist. Der Wiedererkennungswert, das Gefühl von Heimat und Vertrautheit, das sich auch dadurch einstellt, dass man quasi mit Trabant oder Smart die Straßen unsicher machen kann.
Das ist einfach nicht so „abgehoben“ wie andere Rennspielen und allein deshalb etwas besonderes, weil man das in anderen Spielen so selten sieht oder gesehen hat. Evtl. spielen dabei sogar ähnliche Gefühle eine Rolle, wie die, die Leute zum Spielen eines Landwirtschaftssimulators etc. bringen, dieser Wunsch nach „echtem Leben“ im Virtuellen.
Oder was meint der Autor des Artikels dazu?
Kevin, du erwähnst diese besondere Faszination der Deutschen für das Spiel ja, aber hast du auch eine Vermutung woher sie kommt?
Und war das Spiel bzw. das Konzept in Deutschland überhaupt erfolgreicher als anderswo? Denn, um Wikipedia zu zitieren:
„Davilex veröffentlichte zudem europaweit in ähnlicher Form und mit ähnlicher Betitelung versehene Spiele, so z. B. A2 Racer in den Niederlanden, London Racer bzw. M25 Racer in Großbritannien und Paris-Marseille Racing in Frankreich.“
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Glaube die Faszination kann man so erklären: einerseits ist der Titel sehr einprägsam und selbst absolute Computereinsteiger und „Sänk ju for träveling wis deutsche Bahn“-Sprecher konnten mit dem Titel was anfangen. Und da ist wie gesagt der Wiedererkennungswert der Strecken, gibt ja ziemlich wenige Rennspiele mit Strecken, die nur in Deutschland angesiedelt sind. Man darf außerdem den relativ niedrigen Preis nicht vergessen, der lt. Wikipedia bei schlappen 50 DM lag, während die großen Titel ca. 90 DM gekostet haben.
Die „Raser“-Reihe war ohnehin die beliebteste aus dem gesamten Spiele-Portfolio, welches Davilex zu bieten hatte. Zumindest das englische Pedant namens „London Racer“ wurde lt. englischer Wikipedia über 600.000 mal verkauft. Wie es bei Davilex zuhause (A2 Racer) oder in Frankreich (Paris-Marseille Racing) aussah, weiß ich leider nicht, wird aber sicher ähnlich erfolgreich gewesen sein. Wobei man aus Frankreich viel weniger Davilex-Spiele kennt.
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