Ein Gastbeitrag von Aurelia Brandenburg
im Rahmen des Gastautoren-Specials GASTSPIELER II.

Mord, Totschlag und Intrigen! Wenn Politik digital spielbar gemacht wird, dann stirbt meistens irgendwer. Dabei wird es doch erst interessant, wenn der Spieler mal nicht die Fäden in der Hand hält.

Spielmechaniken, die politische Entscheidungen ermöglichen, gibt es wohl ohne Ende. Von „Civilization“ über „Crusader Kings“ bis hin zu RPGs, die einzelne Bausteine aus Strategiegrößen wieder aufgreifen und für sich verwenden. Die Frage danach, wie Politik jenseits von Krieg und direkter Gewalt für Spieler steuerbar gemacht wird, ist aber besonders dann interessant, wenn sie zwischen einzelnen und konkret benennbaren Personen stattfindet. In der „Civilization“-Reihe gehen Politik und Diplomatie in der Anonymität einer ganzen Nation unter, während die persönliche Ebene der Verhandlungen kaum eine Rolle spielt. Das liegt auch am Prinzip von rundenbasierten Strategiespielen, zieht sich aber sogar noch weiter bis zu RPGs, obwohl der verhandelnde Held oder die Heldin darin meistens klar benennbar wären. Dabei gäbe es eigentlich eine Reihe Alternativen.


„The Age of Decadence“: Selten waren Intrigen so schön

Eine dieser Alternativen bietet „The Age of Decadence“ an. Held dieses Spiels ist ein frei erstellbarer Protagonist, der wahlweise mit Gewalt oder Intrigen seinen Weg durch eine postapokalyptische Fantasy-Welt geht. Der Punkt: Das Spiel gibt nicht vor, ob der Held oder die Heldin dieser Geschichte Gewalt anwendet oder mit Engelszungen auf die NPCs einredet; sowohl das eine als auch das andere kann zum Erfolg führen. Die Kämpfe sind zwar fast immer zum Nachteil des Spielers angelegt, was diplomatische Lösungen etwas attraktiver macht, aber „The Age of Decadence“ bietet grundsätzlich beides gleichberechtigt an. Und selbst wenn dem nicht so wäre: Dass Politik und Intrigen in einem Rollenspiel so direkt und zentral spielbar gemacht werden, ist eher ungewöhnlich. Das richtige Wort zur richtigen Zeit, Wissen über Etikette und Geschichte und nicht zuletzt eine Portion Geschick – das sind plötzlich die Fähigkeiten, die ein Held gut gebrauchen kann. Und nachdem Erfahrungspunkte in „The Age of Decadence“ knapp, das Repertoire der Fähigkeiten aber reich ist, sollte man sich gut überlegen, welchen Weg man mit seinem Helden einschlagen will.

Erfolg oder Misserfolg der eigenen Aktionen hängt dabei zur Abwechslung einmal nicht nur am Skript der Geschichte, sondern an Spieleraktionen. Diplomatie wird vom netten Pluspunkt, den man eben mitnimmt, zum zentralen Bestandteil des Spiels erhoben. Bis hin zu ganzen Berufszweigen wie den Händlern oder Prätoren, die sich entscheidend darauf konzentrieren.

Gerade Erstere, die als so etwas wie die Puppenspieler hinter den Adeligen fungieren, dürften im besten Fall in einem gesamten Spieldurchgang keinen einzigen Kampf schlagen. Ein Händler ist gut darin, andere Leute zu manipulieren, die Herrschenden zu bezirzen und am Ende möglichst viel Gold in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Kommt es aber zur physischen Konfrontation, ist er so gut wie verloren. Um mit einem Händler in „The Age of Decadence“ weiterzukommen, sollte ich jede Gewalt vermeiden oder nur mit schlagkräftiger Unterstützung losziehen. Um zu verhindern, dass sich meine Heldin selbst die Hände schmutzig machen muss, bin ich dazu gezwungen, ein Netz an Manipulation und Intrigen zu spinnen. Eine Versprechung hier, ein geschickt gestreutes Gerücht da, und schon sind Vertreter oder Vasallen aller drei Adelshäuser Wachs in meinen Händen.

Das Interessante ist gleichzeitig aber auch: „The Age of Decadence“, eines der wenigen Spiele, in denen Politik ohne direkte physische Gewalt so zum Dreh- und Angelpunkt der eigenen Geschichte wird, ignoriert fast vollständig einen gewissen sozialen Faktor, der zumindest auf narrativer Ebene dazu gehören müsste. Um eine Intrige zu spinnen, muss ich die Leute kennen, mit denen ich mich verschwöre. Wissen, was sie wollen und wo ihre Grenzen sind. Wissen, wie ich sie an mich binde und verhindere, dass sie mich bei der nächsten Gelegenheit verraten. In „The Age of Decadence“ dagegen ist davon sehr wenig zu spüren.

Die Handlung der Hauptquest des Spiels konzentriert sich entscheidend auf die drei verbliebenen Adelshäuser Aurelian, Daratan und Crassus, die alle schon bessere Tage gesehen haben, aber immerhin noch je eine größere Stadt kontrollieren. Mit jedem der drei Häuser können – naheliegenderweise – Bündnisse eingegangen oder Fehden ausgetragen, Freundschaften oder Feindschaften gepflegt, ihre Vertreter verraten oder unterstützt werden. Die Art der Beziehung hängt in erster Linie von mir in meiner Rolle als Spielerin ab. Klappt etwas nicht, liegt das daran, dass ich meine Heldin nicht richtig gelevelt oder die falsche Dialogoption gewählt habe. Genauso zeigen die Mächtigen keinerlei Interesse daran, mich an sich zu binden. Für das Medium Spiel typisch, liegen Macht und Aktion beim Spieler, auch wenn das in diesem Kontext der Logik widerspricht, nach der sich die Spielwelt sonst präsentiert.


Ein Kaiser mit schlechten Umfragewerten: „Divinity: Dragon Commander“

In diesem Licht wird die Politik, die „Divinity: Dragon Commander“ abbildet, umso interessanter. Dieses Spiel kombiniert verschiedene Mechaniken einer taktischen Karte, Schlachten in Echtzeit und Dialoge zu einer Geschichte rund um den unehelichen Sohn eines verstorbenen Kaisers und eines Drachen in Menschengestalt. Der Spieler muss – in der Rolle dieses Halbdrachens und Prinzen – nun den verwaisten und umkämpfen Kaiserthron von Rivellon besteigen und dabei seine Halbgeschwister besiegen.

Die Haupthandlung wird dabei in erster Linie von verschiedenen militärischen Erfolgen am Kartentisch vorangetrieben und zusätzlich bietet das Spiel aber auch noch einige Dialoge auf dem Luftschiff des Drachenkommandanten an. Hier versammelt sich nämlich eine Art vereinfachter Hofstaat um den neuen Kaiser, bestehend aus Generälen, Politikern und Beratern. Neben der genreüblichen Mentorenfigur, einem weisen Zauberer, findet sich hier auch je ein Vertreter der fünf Völker der Welt von „Divinity: Dragon Commander“, die im Grunde für verschiedene Parteien darin stehen. Die Untoten stellen meistens zutiefst religiöse bis fanatische Forderungen, die Elfen neigen zu eher linken Ideen, die Zwerge sind konservativ und kapitalistisch, den Echsen ist eigentlich nur Wissenschaft und Forschung wichtig und die Imps sind glücklich, sobald sie irgendetwas erfinden können und es vielleicht noch eine Explosion gibt. (Zugegeben, keine Ahnung, für welche politische Strömung die Imps stehen.)

Alle paar Runden versammeln sich diese Berater im Thronsaal und einer von ihnen schlägt einen neuen Gesetzeserlass vor. Mal geht es um eine gesetzliche Krankenversicherung, mal um einen verpflichtenden Militärdienst, mal um die Legalisierung eines bewusstseinsverändernden Krauts. Und mal darum, ob die wichtigste Zeitung des Kaiserreichs, die „Rivellon Times“, gesetzlich dazu verpflichtet sein sollte, nur verbürgte Fakten zu drucken. Die Auswahl der Themen ist vielfältig und jedes Mal steht es mir theoretisch frei, zu entscheiden, was ich für richtig oder falsch halte. Theoretisch.

Tatsächlich können die Entscheidungen zu diesen Gesetzen direkte Folgen auf die Reichspolitik haben. Genauer gesagt: Die Beliebtheit des Drachenkommandanten bei den unterschiedlichen Völkern. Bei jedem Gesetzeserlass hat jeder Berater oder jede Beraterin eine ganz eigene Position. Mit jeder Entscheidung – je nachdem, ob ich auf sie höre oder nicht – steige oder sinke ich im Ansehen dieser Figuren. Und damit auch der Bevölkerungsgruppe, die sie vertreten. Mit einer einzigen Entscheidung alle Parteien zufriedenzustellen, ist unmöglich, stattdessen bin ich dazu gezwungen, eine ungefähre Balance zu schaffen.

Dieses Zustimmungssystem wird vor allem – abgesehen von der einen oder anderen verärgerten Bemerkung eines Beraters – dann wichtig, wenn es an die Planung des eigenen Kriegs am Kartentisch geht. Hier ist für jedes Gebiet eine Bevölkerungsmehrheit festgelegt, deren Zustimmung oder Ablehnung wiederum die Preise und Anzahl der Freiwilligen zum Rekrutieren der eigenen Truppen beeinflusst. Vereinfacht formuliert: Ein Krieg auf Boden, auf dem der Drachenkommandant unbeliebt ist, wird teuer.

Die Entscheidungsmacht wird dadurch in „Divinity: Dragon Commander“, im Gegensatz zu „The Age of Decadence“, dem Spieler wieder ein wenig entzogen. Wer das Ziel des Spiels erreichen und den Krieg um den Thron gewinnen will, wird zwangsläufig ein Stück weit von der Bevölkerung abhängig, die er beherrschen soll, symbolisiert durch die Vertreter und Vertreterinnen der einzelnen Gruppen.

Und dieses Prinzip zieht sich noch weiter durch den Hofstaat: Die vier Generäle des neuen Kaisers kommandieren nur stellvertretend für den Spieler dessen Armeen, bieten aber auch ein paar Dialoge auf dem Luftschiff an. Darin geht es normalerweise um die persönliche Beziehung zwischen ihnen und dem Drachenkommandanten, aber ab und zu nutzen die vier ihre Verbindung auch für Themen, die ihnen am Herzen liegen. Catherine, die früher selbst eine Königin in einem matriarchalisch regierten Land war, setzt sich zum Beispiel gegen eine Gender Pay Gap im Hofstaat ein und Scarlet will die Werke einer post mortem als lesbisch geouteten Künstlerin vor Zerstörung schützen. Im Dialog kann ich ihnen zustimmen oder ihre Anliegen als politisch zu heikel ablehnen, was sowohl Auswirkungen auf ihre Beziehung zu mir als Drachenkommandanten als auch auf dessen Beliebtheit bei manchen Beratern haben kann.

Aber nicht nur die Generäle können Einfluss auf den neuen Kaiser nehmen: Auch seine Frau kann einen eigenen Beliebtheitsbonus erzeugen. Schon allein durch ihre Heirat, die von dem Volk, aus dem sie stammt, positiv aufgenommen wird. Heiratet der Drachenkommandant die Elfenprinzessin, bedrängt sie aber gleichzeitig, die Traditionen ihrer Familie aufzugeben, verstimmt das wiederum den elfischen Botschafter und erzeugt einen Beliebtheitsmalus.


Kontrollverlust des Spielers und Unberechenbarkeit von NPCs

Die Mechanismen der Politik eines großen Reiches sind damit in „Divinity: Dragon Commander“ selbstverständlich schon fast lächerlich simpel. Was aber spannend bleibt, ist, dass sich das Spiel die Mühe macht, dem eine zusätzliche Dimension hinzuzufügen. Dieser Ansatz eines Kontrollverlustes ist selten, weil Spiele sich normalerweise erzählerisch wie spielmechanisch eben um einen oder mehrere spielergelenkte Protagonisten drehen.

Ein ähnliches Gefühl der politischen Machtlosigkeit kann man auch in „Die Gilde 2“ vermittelt bekommen. Darin gilt es eine ganze Dynastie über mehrere Generationen zu steuern und bei dieser Gelegenheit reich und mächtig zu machen. Auf politischer Ebene bedeutet das, sich in den Stadtrat wählen zu lassen. Ohne gute Beziehungen und einen bekannten Namen ist das allerdings schwierig bis unmöglich, nachdem die NPCs, die bereits im Rat sitzen, auch die Amtsträger wählen. Ist die Spielerfigur nicht beliebt genug, wird also auch aus der Wahl nichts.

Die beiden einfachsten Wege, sich doch noch beliebt zu machen, sind Bestechung oder Einheirat in die Dynastien der anderen Amtsträger, wodurch sich auch wieder der Kreis schließt, dass in „Die Gilde 2“ politische Aktivität entscheidend von Reichtum und Prestige der Familie abhängt. Selbst dann kann es allerdings passieren, dass eine konkurrierende Familie das genauso tut und höher in der Gunst der Ratsherren und -damen steht, auch wenn ich noch so viel von meinem mühsam verdienten Gold in Bestechungsgelder investiert habe. Wieder wird mir ein bisschen Kontrolle entzogen.

Und noch mehr: Neben dem Kontrollverlust bedienen sowohl „Divinity: Dragon Commander“ als auch „Die Gilde 2“ noch etwas anderes, das gleichzeitig zentral für politische Systeme ist, wie sie in Settings dieser Art dargestellt werden: einen sozialen Aspekt. Um ihre Ziele zu erreichen, müssen Spieler virtuell netzwerken. Sie müssen NPCs auf ihre Seite ziehen, die sie vielleicht eigentlich nicht leiden können, andere mit Kompromissen ruhigstellen oder mit persönlichen Sympathien und Abneigungen kämpfen. „The Age of Decadence“ mag Intrigen spielerisch ins Zentrum rücken und ungewöhnlich spannend gestalten, aber es übergeht die Gelegenheit, die soziale Ebene darzustellen, die dem implizit innewohnen müsste. Und dabei hat uns doch „Game of Thrones“ eines gelehrt: Intrigen sind erst dann richtig spannend, wenn sie persönlich werden.


Die Autorin: Profil_Aurelia

Aurelia Brandenburg (@hekabeohnename)
Schreibt auf Geekgefluester.de.

Selbst gerade 21, hat Aurelia, die in Würzburg Geschichte und Digital Humanities studiert, schon die eine oder andere Epoche durchlebt. Sie hat eine Schwäche für das Mittelalter und Age of Mythology hat Schuld daran, dass auf ihrem Laptop schon früh alles lief, was ein irgendwie historisches oder Fantasy-Setting hatte. Heute irritiert Aurelia ihre Mitmenschen damit, dass sie die älteren Assassin’s Creed-Spiele, Skyrim und Dragon Age: Inquisition ein bisschen zu sehr liebt, den Witcher aber für überschätzt hält. Geschichte und Geschichten, Geschichte in Geschichten und die Erzählweise von Geschichten beschäftigen die erfahrene Bloggerin auch auf Ihrem Buch-, Film- und Games-Blog Geekgeflüster.


Mehr zum Thema: