Ehemals pünktlich zum US-Launch des GameCube im November 2001 geplant, führten die Terroranschläge des 11. September dazu, dass das Horrorspiel Eternal Darkness erst im Juni 2002 in den Handel kam – nach Austausch von zwei seiner zwölf Protagonisten.


I. It is the story of humanity.

Spielmechanisch eher konventionell und kommerziell wenig erfolgreich, waren Präsentation und Hintergrundgeschichte die Faktoren, die Eternal Darkness nicht nur zahlreiche Awards einbrachten, sondern auch eine Reputation als Kultspiel, die einige Fans bis heute auf einen Nachfolger hoffen lässt. Zu sagen, Eternal Darkness sei vom Cthulhu-Mythos des US-amerikanischen Horrorautoren H.P. Lovecraft inspiriert, wäre dabei noch untertrieben, auch wenn Konzepte wie Necronomicon oder Cthulhu nicht explizit bzw. nur unter anderen Namen auftauchen. Auf dieser Basis spinnt Eternal Darkness eine einigermaßen komplexe und historischen und literarischen Referenzen reiche Geschichte um eine uralte und dezidiert „böse“ Zivilisation oder „Rasse“, die Jahrtausende vor den Menschen die Erde bevölkert habe und nun, in der vermeintlich letzten Phase menschlicher Existenz auf Erden, auf ihre Rückkehr hinarbeitet: Dieses Ziel zu erreichen und den Lauf der Weltgeschichte in ihrem eigenen Interesse zu verändern, bedienen sich die sogenannten „Alten“ der Manipulation einzelner Individuen in Schlüsselpositionen. Von der nichtsahnenden Menschheit ungesehen, stellen sich Auserwählte aus unterschiedlichen Kulturen und zu unterschiedlichen Zeitaltern der Geschichte den Plänen der Alten entgegen.

Im Kern ein Horrorspiel und Action-Adventure, sind es vor allem zwei Aspekte, die Eternal Darkness von anderen Spielen seines Genres abheben: Zum einen das sogenannte Sanity-Meter – eine Anzeige neben den Leisten für Gesundheit und Magie, die den mentalen Zustand der Spielfigur repräsentiert, der seinerseits beeinträchtigt wird vom Grauen, dem die unvorbereiteten Helden in Gestalt ihrer nichtmenschlichen Widersacher ausgesetzt sind. Sinkt diese Anzeige, stellen sich unter anderem Halluzinationen ein, die nicht selten die „Fourth Wall“ zwischen Spiel und Spielerin durchbrechen, und die in der Lage sind, letztere mit ganz realen Schrecken aus der Ruhe zu bringen. Im Laufe der letzten 15 Jahre ist über dieses innovative (und erstaunlich selten kopierte) Feature bereits viel gesagt wurden – zuletzt etwa hier.

Ein anderes Alleinstellungsmerkmal von Eternal Darkness ist die Multiperspektivität seiner Erzählung und ihre zeitlichen bzw. historischen Ausmaße. Im Rahmen einer Geschichte, die 26 v. Chr. beginnt und 2000 n. Chr. endet, steuert die Spielerin insgesamt 12 Figuren, die sich mehr oder weniger unfreiwillig dem Bösen, das die menschliche Existenz bedroht, entgegenstellen – und zwar an vier verschiedenen Schauplätzen, in zwölf Epochen der Weltgeschichte. Jeder der vier Schauplätze wird demnach mindestens zweimal aufgesucht, in verschiedenen Jahrhunderten und während unterschiedlicher Phasen seiner Entwicklung. Das dürfte nicht nur geholfen haben, den Entwicklungsaufwand klein zu halten, sondern birgt einiges an Potential für die Handlung: Etwa dann, wenn an die Stelle einer frühmittelalterlichen Kirche die imposante gotische Kathedrale des französischen Amiens getreten ist, die ihrerseits im Ersten Weltkrieg zum Lazarett umfunktioniert wird.

Die weiteren Schauplätze neben Amiens sind Rhode Island an der amerikanischen Ostküste (vermutlich eine Anspielung auf Lovecraft, der in diesem Staat geboren wurde), wo die Spielerin mehrere Generationen der Familie Roivas steuert, die im Zentrum der Handlung steht; ferner eine auf Angkor Wat basierende Tempelanlage im heutigen Kambodscha, welche lediglich zweimal besucht wird, und eine geografisch nicht vollkommen kohärent verortete Location im Nahen oder Mittleren Osten, der sogar vier Besuche abgestattet werden: 26 v. Chr. durch einen römischen Legionär, 565 n. Chr. durch einen persischen Schwertkämpfer, 1460 durch einen Architekten der Serenissima, und 1991 durch einen kanadischen Feuerwehrmann.


II. Entstehungsgeschichte

In Entwicklung war Eternal Darkness mindestens seit 1999 und ursprünglich für das Nintendo 64. Auf der E3 des Jahres gab Nintendo nicht nur den Vertrieb eines von Silicon Knights entwickelten Spiels bekannt, sondern auch, dass das kanadische Studio um Denis Dyack, das wenige Jahre zuvor mit Blood Omen: Legacy of Kain zu Anerkennung gelangt war, fortan als 2nd-Party-Entwickler direkt und exklusiv für Nintendo arbeiten würde. Im Detail wurde Eternal Darkness allerdings erst auf der E3 im folgenden Jahr vorgestellt, als auch der 31. Oktober 2000 als Erscheinungstermin genannt wurde. Doch wie einige andere späte N64-Produktionen auch, sollte Eternal Darkness zugunsten einer Veröffentlichung auf der Nachfolgekonsole zurückgehalten werden und im Herbst 2001 als Starttitel für den GameCube bereitstehen. Umstände, die weiter unten noch Thema sein werden, führten allerdings dazu, dass die Veröffentlichung sich ein weiteres Mal verschob: Letzten Endes kam das Spiel im Juni 2002 in den USA und im darauffolgenden November in Europa in die Läden.

Natürlich sollte nicht überraschen, dass Eternal Darkness im Verlauf dieser ungewöhnlich langen Entwicklungszeit und infolge seines Plattformwechsels einige Veränderungen erfahren hat: Im Unterschied zu Silicon Knights‘ anderem Langzeitprojekt Too Human blieben die Kernspielmechanik und die Grundzüge der Erzählung bei Eternal Darkness zwar weitgehend unverändert, in einigen Punkten allerdings sollte das Spiel sogar noch in der absoluten Spätphase seiner Entwicklung – Jahre nachdem es auf Messen bereits spielbar war – grundlegende Änderungen erfahren. Die offensichtlichste solche Änderung war das Entfernen zweier Protagonisten, die in älteren Messe-Demos und Beta-Versionen bereits sichtbar oder sogar spielbar waren. Ihre Entfernung erfolgte allerdings nicht aus Gründen der Machbarkeit, und auch nicht als Folge von terminbedingten Kürzungen. Im Gegenteil: Die letzte Releaseverschiebung des Spiels geschah in der Absicht, zwei der zwölf Spielfiguren durch zwei andere zu ersetzen und, damit einhergehend, etwa ein Viertel der Levels relativ umfassend zu überarbeiten.


III. No More Pork Eating Crusaders

III.a „a devout Knight Templar“

Der erste der beiden „verlorenen“ Protagonisten trug den Namen Joseph De Molay und war explizit als französischer Tempelritter deklariert: Im Figurenauswahlbildschirm der 2001er E3-Demo wird er als „a devout Knight Templar“ beschrieben. Laut Unseen 64 fußte sein Szenario auf dem Kampf gegen Muslime, was zur Narration von Eternal Darkness durchaus gepasst hätte: Den Mönch Paul Luther steuert man auf dem Höhepunkt der Inquisition, den Hintergrund für den letzten Besuch in Notre Dame d‘Amiens bildet der Erste Weltkrieg. IGN weißt ferner darauf hin, dass der Name der Figur auf den realen Jacques de Molay anspiele, den letzten Großmeister des Templerorders vor dessen Zerschlagung.

In der Verkaufsversion ist Joseph de Molay nicht mehr enthalten. Ging ich zuerst davon aus, dass der venezianische Architekt Roberto Bianchi an seine Stelle getreten sei – da man in seinem Kapitel auf die Körper getöteter Kreuzritter stößt – stellte sich heraus, dass Bianchi tatsächlich schon zuvor geplant war und anfangs lediglich ein wenig anders aussah. In Wahrheit ist es der Nobelmann und Schwertkünstler Karim, der an Josephs Stelle getreten ist, und der demnach erst so spät zum Ensemble stieß, dass er auf älteren Artworks fehlt. Hintergrundinformationen zu seiner Person gibt es kaum, außer die, dass sein Abenteuer 565 n. Chr. in Persien handelt. Obschon im Umgang mit dem Schwert versiert, wirkt Karim nicht wie ein Krieger im engeren Sinne, sondern eher wie ein „Prince of Persia“, dem er auch äußerlich ähnelt, und der auf der Suche nach einem geheimnisumwitterten Schatz die Wüste durchwandert, in der Absicht das Herz seiner Geliebten zu gewinnen.

Laut Unseen 64 sollen Silicon Knights bzw. Nintendo, angesprochen auf Josephs plötzliches Verschwinden, zunächst behauptet haben, dass dieser als spielbarer Charakter nie geplant war, sondern ausschließlich für die Demo entwickelt worden sei. Diese Behauptung ist offensichtlich unwahr: Joseph besitzt nicht nur einen vollständigen Namen, ein eigenes Repertoire an Animationen und ein Charaktermodell von einem Detailgrad, der sonst nur Protagonisten vorbehalten ist – er war auch lange Zeit auf Artworks abgebildet, war auf Videomaterial der N64-Fassung zu sehen und fand wohl auch in Pressematerialien Erwähnung. Sogar ein eigenes Wallpaper hatte Nintendo ihm gewidmet.

Unsicher ist lediglich, ob er von Beginn an als Kreuzritter im Heiligen Land kämpfen sollte: IGN spricht Mitte 2000 zumindest noch von „a medieval knight exploring ghostly castles“ und das deutsche big.N-Magazin nennt ihn in Ausgabe 7-8/2000 auch nur einen „mittelalterlichen Ritter mit Schwert und Rüstung“. Sicher ist: Auf dem frühesten Bild- und Videomaterial der N64-Fassung ist ein Ritter zu sehen, der sich vom späteren Joseph deutlich unterscheidet, und auch die Architektur der Umgebungen mutet eher abendländisch als orientalisch an, wogegen der „neue“ Joseph auf dem GameCube in Umgebungen zu sehen ist, die eindeutig der Nahost-Location der Verkaufsversion entsprechen.

III.b „a Special Forces commando behind enemy lines“

Die zweite entfernte Figur ist ein Soldat: Unseen 64 beschreibt ihn als „United States Special Ops commando“, IGN spricht in einem zeitgenössischen Artikel – und vermutlich aus einer Pressemitteilung zitierend – von „a Special Forces commando deep behind enemy lines“. Darüber hinausgehend ist über den namenlosen Soldaten nichts bekannt, und obwohl er schon zu N64-Zeiten in Artikeln erwähnt wurde, konnte ich ihn auf Bildmaterial aus dieser Entwicklungsphase noch nicht ausmachen. In einem vergleichsweise jungen Trailer der GameCube-Version ist er allerdings zu sehen, was beweist, dass er recht spät im Entwicklungszyklus noch fest eingeplant war (auch sein Polygonmodell ist dort klar erkennbar auf GameCube-Niveau).

In der Verkaufsversion taucht allerdings auch dieser Soldat nicht länger auf. Sein Ersatz ist mit großer Sicherheit der kanadische Feuerwehrmann mit Namen Michael Edwards, da dessen Kapitel ebenfalls im Golfkrieg handelt. Allerdings ist seine Aufgabe eine ungleich zivilere: Der Spezialist soll die brennenden Ölfelder in Kuwait unter Kontrolle halten. Von einer schweren Explosion erfasst, verschlägt es Michael schließlich in den selben unter Wüstensand begrabenen Tempel, den schon drei Figuren vor ihm erkundet haben. Gleich zu Beginn stößt er dort auf die toten Körper zweier Elitesoldaten und nimmt deren Waffen an sich – ein Indiz dafür, dass Silicon Knights an der Spielmechanik des Kapitels so wenig wie möglich ändern wollten.


IV. 9/11 und seine Folgen

Beide Figuren, die den späten Änderungen zum Opfer gefallen sind, waren also für den Nahost-Schauplatz vorgesehen, der im fertigen Spiel nach wie vor enthalten ist. Dass weltpolitische Ereignisse die Ursache für die erfolgten Anpassungen sind, scheint daher offensichtlich und obwohl 2002 noch bestritten, hat Game Director Denis Dyack dies später auch zugegeben:

Im September 2001 müssen Silicon Knights sich gerade in der Crunch-Phase der Entwicklung befunden haben – eventuell war das Spiel sogar schon fertig – als die Anschläge des 11. September eine gesamtgesellschaftliche Schockwelle verursachen, wie zuletzt allenfalls noch das Ende der Sowjetunion. Die Erschütterungen betrafen nicht nur Politik, Wirtschaft und Gemeinwesen – auch auf Kultur und Kunst hatten sie einen derart einschneidenden Effekt, dass einige Kritiker in diesem Ereignis das Ende der Postmoderne sehen wollten.

Fast zeitgleich war der GameCube in Japan erschienen. In den USA war die Veröffentlichung für den November geplant – und Dyack möchte uns wissen lassen, dass Eternal Darkness – ohne die Notwendigkeit der Post-9/11-Anpassungen – zum Konsolenlaunch bereit gestanden hätte. Noch bevor das angepasste Spiel im Juni 2002 tatsächlich in die amerikanischen Geschäfte kam, hatte die Invasion in Afghanistan stattgefunden (was u.a. auch Rockstar dazu veranlasst hatte, die Afghanistan-Location des zweiten Smuggler‘s Run kurzerhand zu Georgien umzudeklarieren). Und weniger als neun Monate nach der Veröffentlichung von Eternal Darkness sollte der Einmarsch in den Irak folgen (ein Ereignis, das natürlich noch viel näher an den ursprünglichen Settings von Eternal Darkness gewesen wäre; vgl. dazu auch Freedom Fighters von IO Interactive, das den US-Patriotismus der Zeit auf subversive Weise aufgreift, um den Irakkrieg zu hinterfragen).

Unklar ist trotzdem, welcher Gedankengang den Änderungen konkret zugrunde lag. Wahrscheinlich, dass es schlicht die Absicht war, sämtliche politischen Implikationen so gut es ging zu vermeiden. Das wäre typisch für Nintendo, die spätestens zu SNES-Zeiten für ihre rigiden Richtlinien in Hinblick auf Gewalt, Sex, Politik und insbesondere auch Religion berüchtigt waren. Dergestalt galten diese zu GameCube-Zeiten zwar schon lange nicht mehr, aber es ist eben doch ein Unterschied, eine Sache zuzulassen oder ein Produkt mit derartigen Inhalten selbst auf den Markt zu bringen. In dieser Hinsicht sollte Nintendo mit Eternal Darkness ohnehin neues Terrain betreten: Es war das erste M-rated („mature“) Spiel, das von Nintendo of America selbst vertrieben wurde.* Ohne diese besondere Sensibilität möchte mir nämlich nicht ganz einleuchten, welche Art negatives Echo Denis Dyack erwartet hatte, wenn er der EGM in Hinblick auf die Änderungen erklärt: „It‘s not that we had done anything negative – at all – but the environment just wasn‘t ready for it“.

Nichtsdestotrotz lässt sich wohl sagen, dass Silicon Knights mit der Darstellung einer US-Eliteeinheit und eines Kreuzritters ein Spannungsfeld betreten hätten, dessen weitere Entwicklung im Herbst 2001 kaum abzusehen war, und das sich im Verlauf der kommenden Jahre in der Tat in ein regelrechtes Minenfeld verwandeln sollte. Bei der Darstellung eines Kreuzritters im vorderen Orient oder eines US-Soldaten im Irak schwingen bestimmte Konnotationen fast zwangsläufig mit – und da spielt es keine große Rolle, welches der genaue Verlauf der Handlung letztlich gewesen wäre.

*GoldenEye 007 erhielt seinerzeit ein Teen-Rating und den Vertrieb von Perfect Dark und Conker‘s Bad Fur Day (beide M) hatte Rare selbst übernommen.


V. Kreuzritter, alt und neu

Nun war der Golfkrieg 1991 weder ein Krieg gegen religiöse Fundamentalisten noch gegen eine Terrororganisation, und ein erneuter Militärschlag gegen den Irak war im Herbst 2001 noch kaum abzusehen. Dennoch leuchtet ein, dass vor dem Hintergrund eines bevorstehenden militärischen Engagements im Nahen/Mittleren Osten die Darstellung eines US-Soldaten in einem Golfkriegs-Szenario gewisse Assoziationen bedienen würde, nicht zuletzt da sich Ressentiments in der Folge von 9/11 keineswegs auf Afghanen beschränkten, sondern vor allem Araber trafen.

Doch wieso musste es den Kreuzritter Joseph de Molay treffen, zumal dieser seit der ersten öffentlichen Präsentation von Eternal Darkness in vorderster Riege der Spielfiguren stand? Vielleicht überraschend, kann die Darstellung eines Kreuzritters sogar als noch heikler angesehen werden als die eines US-Soldaten, und das mindestens aus zweierlei Gründen. Etwa gebrauchte US-Präsident George W. Bush bereits am 16. September 2001, nur wenige Tage nach den Anschlägen auf das World Trade Center, den Begriff „crusade“, was auch bei Nintendo of America die Alarmglocken zum Läuten gebracht haben dürfte. Bemerkenswert ist auch, dass sogar al-Qaida-Führer Osama bin Laden bereits in den 90ern von einem „Kreuzzug gegen den Islam“ sprach und entsprechend zum Kampf gegen „Juden und Kreuzritter“ aufrief.

Die Metapher des Kreuzritters (mit dem Tempelritter als seiner wohl prominentesten Variante) ist also bei unterschiedlichsten Parteien in Gebrauch: Islamfeinde bedienen sich seiner Darstellung seit langem und sehen ihn selbstverständlich positiv konnotiert („I’ll see your Jihad and I’ll raise you one Crusade“ ist ein prominentes Meme). Und auch im rassistischen Ku-Klux-Klan finden Versatzstücke seiner Symbolik Anwendung (eine Zeitung der Organisation trägt gar den Titel The Crusader). Um unterdessen zu sehen, dass der Kreuzritter auch als Feindbild noch lebendig ist, muss man nicht einmal bis zu den nicht-christlichen Kulturen des Nahen Ostens blicken: Auch in Polen sind Kreuzritter – konkreter: die Ritter des Deutschen Ordens – ausgesprochen negativ besetzt und werden spätestens seit Aleksander Fords gleichnamiger Verfilmung (1960) des Romans „Die Kreuzritter“ (Krzyżacy) von Henryk Sienkiewicz mit den Grausamkeiten des Nationalsozialismus assoziiert.

Unabhängig davon hat sich der Tempelritter vom – historisch noch erklärbaren – Symbol einer (christlichen) anti-islamischen Gesinnung in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem wesentlichen Symbol von (nicht länger notwendigerweise als christlich verstandenen) White Supremacy-Bewegungen entwickelt: Im Sinne eines Kampfes gegen die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ identifizierte sich so auch der norwegische Terrorist Anders Breivik mit einer „modernen“ Form des Kreuzrittertums (und überdies ganz konkret mit König Sigurd I, der den norwegischen Kreuzzug im 12. Jahrhundert anführte) – und das obwohl Breivik sich selbst gar nicht als Christ sondern als „Odinist“ sah.

Ein besonders provokantes Phänomen ist schließlich der Gebrauch des Kreuzritters bzw. Tempelritters in Form des (selbstverständlich inoffiziellen) Militärpatches des „Pork Eating Crusader“, der bereits seit einigen Jahren unter Soldaten verschiedener Nationen im Irak und in Afghanistan kursiert:

Natürlich ist festzuhalten, dass die ursprüngliche Darstellung eines Kreuzritters und eines Soldaten in Eternal Darkness zu solchen Auswüchsen keine Verbindung aufwies. Tatsächlich ist sogar davon auszugehen, dass Joseph de Molay, im Moment des Begegnung mit den alptraumhaften Kreaturen der „Alten“, seine Vorstellungen vom richtigem und falschem Glaube erheblich erschüttert gesehen hätte. Und natürlich sind die historischen Kreuzfahrer – bei aller Notwendigkeit, romantische Verklärungen zu vermeiden – mit zeitgenössischen Formen von Islamophobie und Rassismus nicht zu vergleichen, und der einzelne US-Soldat nicht mit einem postmodernen Imperialismus gleichzusetzen. Doch sollte Eternal Darkness in absehbarer Zukunft seine lang schon überfällige Wiederveröffentlichung erleben, dann lässt sich wohl spätestens heute von Glück sprechen, dass das fertige Spiel das Potential zu derartigen Assoziationen gar nicht erst mitbringt.


VI. Kompetente Zweitbesetzung

Interessant ist aber auch, auf welche vermeintlich neutraleren, ergo „unpolitischeren“ Figuren Silicon Knights letztlich auswichen: Mit der Entscheidung zugunsten des Feuerwehrmanns Edwards verhinderte man nicht nur, dass man das Golfkriegs-Szenario komplett hätte aufgeben müssen, sondern hatte eine Figur, deren Tätigkeit uneingeschränkt positiv konnotiert ist, die im Angesicht der Heldenverehrung von Feuerwehrleuten, die am World Trade Center im Einsatz waren, aber auch als patriotisches Symbol gesehen werden kann, vorausgesetzt, dass die Spielerin ein solches sehen möchte. Dass Michael Edwards Kanadier ist, verhindert unterdessen das Ziehen allzu klarer Verbindungen zum 11. September.

Etwas subversiver wirkt da schon das Ersetzen des Tempelritters durch einen ganz und gar unpolitisch agierenden Schwertkämpfer aus Persien, mittels dem der Widerstand gegen die „Alten“ überdies auf einen weiteren Kulturraum ausgedehnt wird. Bei näherer Betrachtung vermeidet man politische Implikationen aber auch hier so gut es nur geht – weil Karim eben Perser ist, und nicht Araber, und nicht zuletzt weil man seine Geschichte in das vor-islamische, sechste Jahrhundert verlegt hat (was nebenher zur Folge hat, dass gewisse architektonische Details der von ihm erkundeten Umgebung nach meinem Verständnis anachronistisch sein dürften).


VII. Bemerkenswerte Sensibilität?

Eternal Darkness ist unzweifelhaft ein Produkt seiner Zeit, das in den frühen Stadien seiner Entwicklung zwar keine offensiven Vorbehalte gegen den islamisch geprägten Kulturraum propagiert haben dürfte, das Bilder eines euroamerikazentrischen Weltbildes allerdings unkritisch aufgriff und reproduzierte, ohne dabei die Empfindlichkeiten anderer Kulturen zu berücksichtigen. In dem Augenblick, als die Beziehungen zwischen Kulturen/Religionen einen heftigen Schlag erlitten, stellte sich diese, in gewisser Hinsicht naive Heransgehensweise als Problem dar.

Dennoch wäre es natürlich möglich gewesen, Eternal Darkness mit seinem ursprünglichen Ensemble in die Läden zu bringen. Nicht wenige Spiele der Epoche greifen den Post-9/11-Patriotismus als narratives Element auf. Der Taktik-Shooter Conflict: Desert Storm etwa, erster Teil einer zeitweise erfolgreichen Reihe, kam im September 2002 auf den Markt, und auch der Umstand, dass ein Militärschlag gegen den Irak in den Folgemonaten immer wahrscheinlich wurde, hielt Publisher SCi-Games nicht davon ab, im April 2003 – auf dem Höhepunkt des zweiten Irakkrieges – eine GameCube-Umsetzung nachzuschieben. Mit Desert Storm-Soldaten ließ sich also nach wie vor Geld verdienen – und mit Tempelrittern ohnehin, wie sich am Beispiel von Knights of the Temple: Infernal Crusade erkennen lässt, das im März 2004 zunächst für den GameCube, wenig später auch für Windows, PS2 und Xbox in den Handel kam (allerdings ausschließlich in Europa). Das von Starbreeze in Schweden entwickelte und von TDK vertriebene Hack-and-Slay-Action-Adventure weist erstaunlich viele Parallelen zu Eternal Darkness auf – von der Spielmechanik bis hin zum Horrorsetting – und war ausreichend erfolgreich um eine Fortsetzung nach sich zu ziehen. Und auch das mittelalterliche Strategiespiel Stronghold: Crusader konnte im September 2002 vollkommen unbehelligt auf den Markt kommen.

Eternal Darkness ist einen anderen Weg gegangen. Bedenkt man, dass die Entscheidung zur Verschiebung des Titels – weg vom wichtigen Konsolen-Launchfenster – und zur kostenintensiven Überarbeitung keine Kleinigkeit war (Dyack: „We were very disappointed about all of this, and we really got beaten by the press over that delay.“), dann müssen Nintendo (oder Silicon Knights) diese Änderungen wohl nicht nur als weise sondern in der Tat als unbedingt notwendig erachtet haben. War die zeitliche Nähe zu den Anschlägen einfach zu groß, um irgendeine Darstellung eines Konfliktes in der arabischen Welt zu erlauben? War Nintendo übervorsichtig und übersensibel? Vorausschauend? Nintendo-typisch perfektionistisch?

In der Tat zieht Dyack in seinem Statement in der EGM den Bezug zu Shigeru Miyamotos berühmter Aussage: „People will forget that a great game was late, but they‘ll never forget that a game is bad“, was so verstanden werden kann, dass man im ursprünglichen Ensemble tatsächlich eine Art qualitatives Defizit sah. Dass Silicon Knights gerade auf die narrative Seite ihres Spiels Wert legten, ist offenkundig. Wurde man durch die Folgen des 11. September also für den eigenen Euroamerikanismus sensibilisiert? So idealistisch das auch klingt, tatsächlich spricht für diese Möglichkeit, dass man dass man im Zuge der ohnehin erforderlichen Änderungen die Chance genutzt hat, an zwei weiteren „Schwachstellen“ zu arbeiten: Mit Michael Edwards hat man endlich einen afroamerikanischen Charakter ins Spiel gebracht, mit Karim einen aus dem heute islamischen Kulturraum – und somit eine ethnische Diversität, die den nach wie vor vorhandenen Euroamerikazentrismus des Spiels zwar nicht beseitigt, aber erheblich abschwächt, was das Konzept eines vereinten Kampfes der Menschheit gegen das Böse gleich viel glaubwürdiger erscheinen lässt.

Damit haben Silicon Knights mit ihren (verständlicherweise schmerzhaften, denn der Kreuzritter war ein Lead-Charakter) Änderungen am Ensemble nicht nur den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen der Zeit Rechnung getragen. Sie haben Eternal Darkness – sozusagen im Vorbeigehen – auch zu einem vermutlich schlüssigeren und somit besseren Spiel gemacht. Welche Auswirkungen die Änderungen sonst noch hatten – auf das, was man die unterschwellige Botschaft von Eternal Darkness nennen könnte, wie auch für das Spielgefühl in einem Horrorspiel – wird Thema eines weiteren Artikels auf SPIELKRITIK.com sein. [sk]