Dass Star Fox Guard im April des letzten Jahres überhaupt erschienen ist, kam durchaus überraschend: Die Entstehungsgeschichte des Spiels reicht zurück bis ins Jahr 2014, als das Konzept als spielbare Demo auf der E3 präsentiert wurde. In dieser Phase trug es noch den Arbeitstitel Project Guard und wie auch beim zeitgleich vorgestellten, mittlerweile aber auch offiziell eingestampften Project Giant Robot war lange Zeit nicht klar, ob Project Guard tatsächlich auf den Markt kommen oder ob es bei einer bloßen Konzeptstudie zur Verdeutlichung der Möglichkeiten des WiiU-GamePads bleiben würde.
Fast zwei Jahre zogen ins Land, bis das kleine Spiel erneut auftauchte, was vermuten lässt, dass Nintendo einige Zeit lang selbst nicht genau wusste, was mit dem originellen Spielkonzept anzustellen sei. Inzwischen war auch Star Fox Zero angekündigt – das erste intern bei Nintendo entwickelte Star Fox seit Star Fox 64 und zugleich einer der letzten ganz großen Titel für die inzwischen im Sterben begriffene Konsole. Während einer Nintendo Direct-Präsentation im März 2016 enthüllten die Japaner die E3-Konzeptstudie noch einmal: Aus Project Guard war Star Fox Guard geworden, das einer limitierten Edition von Star Fox Zero beiliegen, aber auch separat erhältlich sein sollte.
Die Erwartungen an das Spiel schienen unterdessen gering. Die Lust auf Second-Screen-Spielmechaniken – falls es die überhaupt einmal gab – war dahin, was auch das Hauptspiel Star Fox Zero leidvoll erfahren musste. Zudem sah Star Fox Guard auf Screenshots und in Videos einfach nicht sehr einladend aus, sodass ihm kaum die Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, die es verdient gehabt (und in frühen Jahren der WiiU wohl auch erhalten) hätte. Denn welch packendes Spiel versteckt sich unter seinem tristen Schale! Star Fox Guard macht erfahrbar, wie die Sicherheitskräfte in einem Jurassic Park sich fühlen müssen, wenn die vermeintlich undurchdringlichen Verteidigungssysteme der Anlage Stück für Stück kapitulieren…
Don’t let any of them through!
Die Aufgabe des Spielers ist grundsätzlich immer die selbe: Beschütze eine labyrinth-artige Basis vor den Angriffen der unablässig anrückenden Roboterhorden, die es auf die Zerstörung des im Zentrum der Anlage lokalisierten Kerns abgesehen haben. Als einzige Verteidigungsmaßnahme stehen zwölf Überwachungskameras zur Verfügung. Jede davon ist mit einer Laserkanone ausgestattet und kann im Bereich der Basis frei platziert werden. Mit diesem überschaubaren Repertoire an Mitteln gilt es, möglichst viel der labyrinthischen Struktur im Blick zu behalten, um im Falle des Auftauchens von Feinden die Kontrolle der entsprechende Kamera zu übernehmen und die Angreifer mit gezielten Lasersalven auszuschalten. Logisch, dass im Missionsverlauf immer mehr Feinde aus allen Himmelsrichtungen auftauchen, was ein schnelles und taktisch kluges Hin- und Herschalten zwischen den zwölf Kameras unabdingbar macht. Ist eine endliche Zahl von Gegnern abgewehrt, gilt eine Mission als abgeschlossen.
So weit, so Tower-Defense-Standardkost. Der Clou an Star Fox Guard ist allerdigns die Art der Darstellung in Kombination mit der Steuerung. Das gestaltet sich so, dass auf dem TV-Bildschirm die Übertragungen aller zwölf Kameras in kleinen Fenstern dargestellt werden, während die Perspektive derjenigen Kamera, die der Spieler derzeit kontrolliert, in einem etwas größeren Fenster in der Bildmitte angezeigt wird. Auf dem GamePad-Bildschirm wird unterdessen eine schematische Draufsicht auf das Gesamtareal angezeigt, in der die analog zur TV-Ansicht durchnummerierten Kameras per Fingerdruck ausgewählt werden. Wird eine Kamera länger angetippt, ist es außerdem möglich, auch mitten im Spielverlauf ihren Standort zu wechseln. Das Zielen mit der gerade aktiven Kamera geschieht ganz klassisch über den linken Analogstick; gefeuert wird mit einem Druck auf eine beliebige Taste.
Mr. Robot vs. Big Brother
Spieltiefe und Abwechslung werden durch zwei Dinge garantiert: Zum einen die unterschiedlichen Gegnertypen, etwa drei Dutzend an der Zahl, die im Kampagnenverlauf behutsam eingeführt werden. Rund die Hälfte dieser Roboter können dem Kern der Basis nicht gefährlich werden, sondern verfolgen das Ziel, Kameras zu stören (etwa in dem sie wie ein Magnet deren Blick auf sich lenken) oder ganz auszuschalten. Die andere Hälfte der Gegner bewegt sich unentwegt in Richtung des Kerns und kommt ebenfalls in unterschiedlichen Formen daher: Einige Roboter sind langsam, können aber einige Treffer einstecken, andere bewegen sich besonders schnell, wieder andere sind nahezu unsichtbar. Erstaunlich tückisch sind aber auch die Gegner, die sich von den Wänden der zum Himmel hin offenen Basis nicht beeindrucken lassen und kurzerhand darüber hinweg springen statt den Korridoren zu folgen – und die so auch den Blickfeldern der Kameras entgehen, die vornehmlich auf Korridore und Durchgänge ausgerichtet sind.
Ein zweiter interessanter Spielaspekt sind die unterschiedlichen Spezialkameras, die im Spielverlauf freigeschaltet werden und von denen schlussendlich bis zu drei pro Mission platziert werden dürfen. Eine der ersten und wichtigsten ist die Slo-Mo-Cam: Nahe genug am Kern platziert, kann sie nicht nur größere Gegnerscharen im letzten Augenblick abwehren, sondern auch kleine und rasante Robotertypen verlässlich ausschalten. Die Freeze-Cam lässt Gegner zu Eis gefrieren, was den schönen Nebeneffekt nach sich zieht, dass ein einziger Beschuss einer regulären Kamera genügt, um auch die widerstandsfähigsten Gegner in ihre Einzelteile zersplittern. Eine der letzten Cams, die freigeschaltet werden, ist schließlich die X-Ray-Cam, die nicht nur durch Wände feuern kann sondern auch durch die ansonsten undurchdringlichen Metallschilde, die einige Roboter schützend vor sich halten.
Panikherz
Man ahnt es nun vielleicht schon: Bei Spielbeginn und tatsächlich über den Großteil seiner regulären Solo-Kampagne bietet Star Fox Guard ein Gameplay wie aus dem Lehrbuch, mit allen damit verbundenen Vor- aber auch Nachteilen. Das Spiel ist in allen Bereichen wunderbar durchdacht, hervorragend ausbalanciert und so sehr mit dem nötigen Feinschliff versehen, dass es über die gesamte Länge der Kampagne eigentlich keine Angriffsfläche für Kritik bietet. Andererseits ist das Gebotene aber auch weitestgehend erwartbar. Über die gelungene Kernspielidee hinaus sind Originalität und ins Staunen versetzende Exzellenz zunächst kaum vorhanden und mit minimalen Auflockerungen bleibt der Missionsverlauf stets der gleiche. Ich rechnete daher fest damit, dass das Spielprinzip von Star Fox Guard sich über stattliche 100 Missionen ziemlich bald erschöpfen würde.
Doch ich hatte die Rechnung nicht mit Nintendo gemacht: Zum einen entwickelt Star Fox Guard im späteren Spielverlauf, und spätestens in den extraschweren Bonusmissionen, die 50 Prozent des Spielumfangs ausmachen, doch noch so etwas wie wirkliche Genialität: ein herrlich hektisches, herrlich vielseitiges Chaos, bei dem Nintendo aus der begrenzten Zahl von Spielelementen durch kleine aber effektive Anpassungen einmal mehr das Maximum an Variation und Spieltiefe herausholt. Zum anderen vermag Star Fox Guard generell einen wunderbaren Sog zu erzeugen, der dem von Tetris und ähnlichen Puzzlegames sehr stark ähnelt: Statt herabfallende Blöcke in die richtig Position zu bugsieren, sind es hier die unablässig eintreffenden Gegnerhorden, denen mit schnellen Entscheidungen begegnet werden muss. Das erfordert einerseits exaktes Zielen, ist also eine Herausforderung an die motorischen Fähigkeiten des Spielers, andererseits die korrekte Einschätzung der gegenwärtig größten Gefahr, die als erstes beseitigt werden möchte.
Dabei kommt enorme Spannung auf. Denn man ist bis zuletzt eigentlich nie geschlagen: Fällt auch die Mehrzahl der Kameras aus, nähen sich die Gegner dem Kern auch aus den unterschiedlichsten Richtungen, so lässt sich mit schneller Auffassungsgabe und dem richtigen Geschick der Angriff oft doch noch abwehren. Auf der anderen Seite darf man sich seiner aber auch nie ganz sicher sein: Mag die Verteidigung auch noch so stabil erscheinen und alle Kameras intakt sein: Ein Moment der Unachtsamkeit, das Verpassen einer Bewegung am Rand des Blickfeldes, kann bereits genügen, um ein dringliches „Warning! Warning!“ aus den Lautsprechern des GamePads ertönen zu lassen (unbedingt den Sound einschalten, ansonsten fehlt diese lebensnotwendige Information) weil ein besonders fieser Gegnertyp (extraschnell oder unsichtbar) vorm Zentralkern auftaucht!
Data analysis complete.
Star Fox Guard ist stets ein gelungener Mix aus Strategie und Action und stellt dabei weitaus höhere Ansprüche an die Reaktionsfähigkeit des Spielers als die meisten anderen, eher taktik-fokussierten Tower-Defense-Games. Die Exzellenz des Spiels zeigt sich schließlich auch darin, dass es auf unterschiedliche Weise bewältigt werden kann: Sämtlichen Missionen gemeinsam ist, dass die Gegner innerhalb der selben Mission in stets der gleichen Reihenfolge und an den gleichen Orten auftauchen. Wer beim ersten Mal scheitert, kann somit beim nächsten Versuch vorausschauender agieren und wird mit jedem Mal ein bisschen besser vorbereitet sein. Star Fox Guard unterstützt diesen Lernprozess ganz aktiv, indem auch im Falle einer Niederlage die Möglichkeit bereithält, den exakten Laufweg des letztlich verheerenden Gegners nachzuverfolgen, sowie alle Feinde mit dem Zeitpunkt und Ort ihres Auftauchens in einer Tabelle zusammenfasst.
Ich habe mich dieser Hilfen zwar nur selten bedient, da sich mein eher hektischer Spielstil auf aufmerksames Beobachten und akkurates Zielen konzentrierte, doch können Perfektionisten und weniger geschickte Spieler die Informationen nutzen, um ihre Verteidigungsstellung zu vervollkommnen: Eine verbesserte Anordnung und Auswahl der Kameras können mindestens einen so großen Einfluss haben wie das Einprägen der feindlichen Angriffsmuster. Damit ist Star Fox Guard trotz seines überdurchschnittlichen knackigen Schwierigkeitsgrades insgesamt recht zugänglich und kann unterschiedliche Spielertypen zufrieden stellen.
Für Vorbehalte kann dann eigentlich nur noch die 2nd-Screen-Spielmechanik als solche sorgen. Ja, das Spiel wird sicherlich nicht „einfacher“ dadurch, dass man neben dem TV-Bildschirm auch noch den GamePad-Screen im Auge behalten und mit ihm interagieren muss. Das ist eine Herausforderung und es erfordert eine gewisse Eingewöhnung! Und auch wenn es auf Motion Controls komplett verzichtet, ist Star Fox Guard kein Spiel, dass man tiefenentspannt auf der Couch liegend spielen kann. Doch täte man dem Spiel Unrecht, es für diesen Ansatz zu bestrafen: Mit der 2nd-Screen-Spielmechanik ist rein gar nichts falsch – sie funktioniert sogar ganz tadellos. Und wo die Herausforderung in anderen, auf Geschicklichkeit fokussierten Spielen darin besteht, komplexe Tastenkombinationen zu meistern oder möglichst akkurat und schnell zu zielen, so liegt sie bei Star Fox Guard eben darin, die schlussendlich vierzehn(!) Einzelbildschirme im Blick zu behalten, während man auf dem Touchscreen strategische Positionierung betreibt und mit dem Analogstick auch kleisnte Gegner anvisiert. Die Steuerung und die Darstellung von Star Fox Guard stehen der gebotenen Herausforderung dabei nicht im Weg (wie das mitunter und vielleicht zu Recht Star Fox Zero vorgeworfen wurde) – ihre Bewältigung ist die Herausforderung und macht den Reiz des Spiels erst aus.
Und so werden Spieler, die sich auf Star Fox Guard einlassen, früher oder später über sich selbst staunen – wie sie noch zu Spielbeginn heillos überfordert waren, und wenige Stunden später virtuos zwischen der Fülle an Bedienelementen und Bildschirmen navigieren.
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