Der SPIELKRITIK „slowtalk“: Vier Leute sprechen über ein Thema – mindestens eine ganze Woche lang.
Ein Gespräch, das Zeit lässt – zum Recherchieren, Nachdenken und Formulieren. Die Hoffnung dabei: die Dynamik und Perspektivenvielfalt einer moderierten Diskussion mit der inhaltlichen Tiefe, der Genauigkeit und dem sprachlichen Niveau eines sorgsam formulierten Artikels zu verbinden.
Unserer neues Diskussionsformat ist immer noch im Aufbau und bietet Raum für weitere Verbesserungen – schreibt uns gern, wie euch das Konzept gefällt! Viel Spaß mit unserer Unterhaltung.

#01: sylvio

Liebe Leserinnen und Leser, liebe Gesprächsteilnehmer. Herzlich willkommen zur zweiten Ausgabe des SPIELKRITIK „slowtalk“! Unser Thema diesmal: „Veraltete Spielmechaniken: Kann gutes Gameplay altern?“

Etwas später als geplant, darf ich erneut drei eloquente und kompetente Gäste willkommen heißen, mit denen ich mich in den nächsten ein bis zwei Wochen unterhalten möchte. Ganz besonders freue ich mich, dass Fabian Fischer mit von der Partie ist: Der Ludologe und Game Designer bei Travian Games ist Spielkritik-Lesern noch nicht direkt bekannt; allerdings hat der eine oder andere Artikel von Fabian es bereits in unser Lesenswert geschafft und sein grundsätzlich empfehlenswerter Blog ist seit einiger Zeit in unserer Blogroll verlinkt. Hallo Fabian!

Fabian: Spannendes Thema, kompetente Runde – ich freue mich sehr, dabei zu sein!

Bereits zum zweiten Mal darf ich Patrick Pohsberg begrüßen, der schon am ersten Slowtalk mitgewirkt hat und den ich unter anderem deshalb erneut eingeladen habe, weil er als frühmorgendlicher Frühstückszocker alter SNES-Rollenspiele prädestiniert sein dürfte zu erklären, warum Leute sich Spiele „antun“, deren Spieltempo und Schwierigkeitsgrade derart aus der Zeit gefallen scheinen. Willkommen zurück Patrick!

Patrick: Einen Wunderschönen! Ich freue mich, wieder dabei sein zu können.

Komplettiert wird unser Quartett vom meinungsstarken Pascal Wagner von Indieflock.net und Polyneux.de, der genau wie Patrick bereits als Gastautor für Spielkritik in Erscheinung getreten ist. Für unser heutiges Thema qualifizierte sich Pascal nicht nur dadurch, dass er sich schon einige Gedanken gemacht hat zu ausgestorbenen Spielegenres (ein Unterthema, auf das wir evtl. auch zu sprechen kommen), sondern auch zu Yooka-Laylee, welches ich im Rahmen dieser Unterhaltung unbedingt ansprechen möchte. Hallo Pascal!

Pascal: Hallo! Schön, dass es hier zu dieser Diskussion eines mich doch sehr bewegenden Themas kommt!

Ich danke euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt und freue mich auf ein spannendes Gespräch!

#02: sylvio

“Veraltete Spielmechaniken” sind also das Thema der zweiten Ausgabe unserer Talkrunde. Den Anstoß dazu gab zum einen Zelda: Breath of the Wild, das wir im letzten Slowtalk schon besprochen haben. Breath of the Wild ist ein Spiel, das mit den Konventionen einer etablierten Spielereihe auf ziemlich radikale Weise bricht – offensichtlich deshalb, weil seine einst so „perfekten“ und perfektionierten Spielmechaniken im Laufe der Jahrzehnte Staub angesetzt hatten. Zum anderen habe ich an Yooka-Laylee gedacht, ein Indie-Game, das bewusst danach strebt, vermeintlich veraltete, fast vergessene Gameplay-Konventionen (nämlich die des typischen N64-Platformers) wiederzubeleben bzw. nachzubilden.

Bevor wir auf dem Schlachtfeld zeitgenössischen Game Designs möglicherweise die Orientierung verlieren, möchte ich mit einem historischen Beispiel einsteigen, das wir aus der Distanz betrachtet vielleicht besser beurteilen können. Mein erster Kontakt mit der Diagnose, dass ein Spiel „veraltet“ sei – und zwar nicht visuell oder akustisch, sondern spielerisch! – geschah 2002 und betraf das GameCube-Remake von Resident Evil. Obwohl das Spiel viel Lob und gute Wertungen erhielt, musste es sich in fast allen Reviews, die ich damals las, den Vorwurf gefallen lassen, dass es spielerisch veraltet sei: eine träge Steuerung und ein umständliches Inventarsystem wurden moniert, ebenso die wenigen, festen Speicherpunkte.

Ich war damals noch nicht in der Position, dass ich die Legitimität und die objektive Richtigkeit solcher Kritik hinterfragt hätte. Außerdem versprach sogar Capcom selbst, dass man sich dieser Punkte im nachfolgenden Resident Evil Zero annehmen und Inventar und Speichersystem neu gestalten wolle. Allerdings: Subjektiv nachvollziehen konnte ich die Kritik dann nich: Für mich, der ich mit dem Nintendo 64 aufgewachsen war, war dieses (mein erstes) Resident Evil mindestens genauso frisch und spielmechanisch ausgeklügelt wie einige Jahre später Resident Evil 4! Veraltet erschien mir das RE-Remake nie, und das meiste von dem, was kritisiert wurde, empfand ich im Gesamtkontext seines Game Designs effektiv und sinnvoll. Ich hielt das Spiel geradezu für vollkommen.

Fehlten mir da einfach die Erfahrung und das spielgeschichtliche Hintergrundwissen, um veraltetes Game Design dort zu erkennen, wo ich es vor mir hatte? Oder ist es vielleicht eher so, dass die genannte Diagnose, diese vorwurfsvolle Behauptung u. a. vonseiten der Fachpresse, auf einer inadäquaten Anwendung des Fortschrittsgedankens gründet, wie er im Diskurs um digitale Spiele so zentral und dominant ist, wie sicherlich bei keinem anderen Medium?


EINS: Manuelle Kamera – ”ständig habe ich mit diesem Minigame zu tun”

#03: pascal

Ich möchte auf deine Frage einfach mal mit meiner persönlichen Definition von “veraltet” antworten: Veraltet kann nur eine Spielmechanik sein, die ich bereits anderswo besser erlebt habe. Ich stimme dir also zu, dass es Erfahrung braucht, um sich an veralteten Mechaniken zu reiben.

Das ist bewusst ein absolut subjektives Kriterium. Aber oft stören solche Mechaniken, die man eigentlich besser machen könnte, überhaupt nicht, bis man selbst etwas besseres erlebt hat, ganz ähnlich deinem Resident Evil-Beispiel. Da du vorher kein besser umgesetztes ähnliches System kanntest, fandest du das Remake schlichtweg gut so, wie es war. In meiner Yooka-Laylee Review argumentiere ich ganz ähnlich: Wenn ich nicht durch Titel wie Ratchet & Clank an bessere Sprungmechaniken oder responsivere Kamerasteuerung gewöhnt worden wäre, hätten mich diese Punkte vielleicht gar nicht so gestört.

Sicher kann eine Spielmechanik auch objektiv veraltet sein. Ich würde zum Beispiel behaupten, die Kamera in 3rd-Person-Spielen nicht mit dem rechten Joystick steuern zu können, fällt hierunter. Das hat auch damals schon keinen Spaß gemacht, als man noch nicht wusste, dass es irgendwann möglich sein wird.

#04: sylvio

Stichwort Kamera! Da liegt mir etwas auf der Seele.

Für mich persönlich – und ich habe den Eindruck, dass ich mit dieser Meinung ziemlich allein dastehe – ist es aber auch recht befremdlich, dass (speziell bei 3D-Platformern) es schon seit der PlayStation-2-Ära als Defizit angesehen wird, wenn ich – bei einem Spiel, das mir die Möglichkeit dazu bietet – die Kamera selbst justieren muss.

Eines der ersten Spiele, bei dem das in größerem Umfang möglich war, war Super Mario 64. Und das Faszinierende ist: dort wurde das als besonderes Feature verkauft! Nicht „du musst die Kamera justieren“, weil die automatische Einstellung nicht gut genug ist, sondern „du darfst die Kameraperspektive frei wählen und das ist cool“.

Natürlich gibt es Spiele, wo die Kamera per se nicht funktionieren will. Ich habe vor kurzem Second Sight gespielt, wo die automatische Kamera unbrauchbar ist, die manuelle Kamera aber auch nichts taugt. Nur bei Super Mario 64 empfinde ich es noch heute so, dass die passende Wahl der Kameraeinstellung durch den Spieler Teil der Spielmechanik und Teil der Herausforderung ist, die das Spiel an den Spieler stellt, und damit auch Teil dessen, was zum Spielspaß beiträgt! Mario 64 ist also von vornherein darauf ausgelegt, dass der Spieler die beste Perspektive selbst wählen soll und muss, und deshalb steht die Notwendigkeit dazu dem Gameflow auch nicht im Weg. Finde ich.

Ich bin mir übrigens nicht sicher, was du meinst: Was hat dir keinen Spaß gemacht? 3rd-Person-Spiele, bei denen du die Kamera nicht steuern kannst, oder eine andere Form der Kamerasteuerung als die über den rechten Analogstick?

#05: fabian

Beim Thema der manuellen Kamera  möchte ich mich auch direkt einklinken. Ich kann das nämlich mittlerweile tatsächlich nur noch schwer ertragen. Fast alle 3rd-Person-Spiele leiden meines Erachtens stark darunter. Ständig habe ich mit diesem Minigame zu tun, in dem ich meine Sicht auf die Spielwelt nachjustieren soll beziehungsweise muss. In der Regel versuche ich dabei auch noch, die Mechanik maximal zu exploiten, um Ecken zu schauen, obwohl ich vollständig in der Deckung bleibe und so weiter. Das eigentliche Kernspiel läuft dann teilweise bloß noch nebenher.

Ist die Mechanik „veraltet“? Vielleicht ganze Genres, die auf diese Form der Kameraführung setzen? In der öffentlichen Wahrnehmung offenbar (noch) nicht. Ich als Designer sehe da aber zunächst einmal sehr viel spielmechanischen Ballast, den man sofort bei „3rd-Person“ mit einkauft. Und der kann den Blick auf bessere Alternativen verdecken. Ein progressiver Designansatz würde erst gar nicht von solch umfassenden Konventionen ausgehen. Leider sind sie im jungen Medium Videospiel bislang aber noch sehr verbreitet.

#06: patrick

Also da muss ich aber nochmal einhaken bei Super Mario 64. Ich fand die Kamera des Spiels eigentlich immer recht gut. Und hier zu argumentieren, dass man selbst justieren muss, weil die Kamera das nicht gut genug selbst hinbekommt, finde ich auch schwierig. Denn immerhin war Super Mario 64 eins der ersten (das erste?) Spiele, die überhaupt eine (frei bewegliche) Kamera im dreidimensionalen Raum hatte. Natürlich hätte man hier auch eine feste Kamera verbauen können. Aber ich glaube, durch die Möglichkeit, selbst den Winkel zu bestimmen, wirkt die 3D-Welt noch viel imposanter.

#07: sylvio

Das ist ein Aspekt – ein anderer ist das filmische Flair, dass SM64 dadurch erhält: Anders als in den meisten Spielen seither ist die Kamera in Super Mario 64 nämlich ganz explizit als Kamera dargestellt, als vorgeblich physisches Objekt, das Perspektiven analog zu denen ermöglicht, die in Filmen verwendet werden.

Und bedenkt man, wie Videospiele gerade zur damaligen Zeit das Medium Film zum Vorbild hatten (an dieser Stelle fällt mir ein, wie das Club Nintendo Magazin damals den Effekt von Metal Mario mit den Flüssigmetall-Effekten aus Terminator 2 verglichen hatte), dann wirkt das nur konsequent und logisch. Andere Beispiele sind die damals inflationär genutzten Lens-Flares und die (stellenweise wohl bis heute fortbestehende) Konvention, das Bildformat in Zwischensequenzen auf 16:9 zu verengen.

Doch so interessant das Thema (manuelle) Kamera auch ist, ich schlage vor, dass wir nicht noch tiefer einsteigen, um uns nicht in Details zu verlieren. Was wir vielleicht festhalten können und womit ich die Brücke zurück zum Thema schlagen möchte: Auch wenn es manuelle Kamerajustierung heute noch gibt, und einige Spiele separate Foto-Modi etc. bieten, eine wirkliche Karriere als akzeptiertes Gameplay-Element war diesem Spielelement – trotz der in meinen Augen vielversprechenden Anfänge in Super Mario 64 – nicht beschieden.

Fabian, hier finde ich deine Wortwahl so interessant: das Gefühl, mit einem „Minispiel“ zu kämpfen, während das „Kernspiel“ nebenher läuft. Aber so ein Gefühl, das habe ich nicht bei modernen Kamerasystemen (vielleicht spiele ich auch zu selten die entsprechenden Spiele) sondern ganz arg beispielsweise beim Crafting! Crafting als Gameplay-Element hat in den letzten, ich würde schätzen 10 Jahren, eine unheimliche Karriere durchgemacht, und da möchte ich die Frage aufwerfen: Wieso ist denn dieses dröge „Minigame“ Crafting akzeptiert oder wird sogar erwartet, ein „Minigame Kamera“ aber nicht? Wieso sind Sammel-Quests nach Ubisoft-Formel modernes Game Design, wogegen die Sammelei eines Yooka-Laylee als Reise in die Vergangenheit empfunden, beworben und kritisiert wird?

Liegt es einfach daran, dass die Spieler von heute lieber Individualisten als Regisseure sind? Lieber Arbeiter als Entdecker?


ZWEI: Fleißarbeit und fixe Formeln – “eine der ersten zyklischen Wiederholungen in der Spielmechanik”

#08: fabian

Grundsätzlich werden bei der breiten Masse der Spieler und auch Entwickler ja sowohl die manuelle Kamera als auch die Ubisoft-Formel inklusive Crafting akzeptiert. Die Sichtweise, dass es sich dabei um Minigames handelt, die vom Kern der Spielerfahrung ablenken, ist eher die Ausnahme. Ich persönlich würde aber sagen, dass man diese Dinge nur dann einbauen sollte, wenn sie selbst den Kern ausmachen – wenn ich also beispielsweise einen Kameramann spiele (und deine Anmerkung zu SM64 ging ja in diese Richtung) oder eben einen Handwerker. Ansonsten stören sie mich in der Regel doch eher.

Interessant ist, dass die Ubi-Formel zuletzt auch öffentlich immer mehr in die Kritik geraten ist. Spieler und Kritiker werden ihr scheinbar langsam überdrüssig. Möglicherweise liegt das daran, dass es sich dabei um ein bestimmtes spielmechanisches Gesamtpaket handelt, während beispielsweise die Kameraführung zunächst mal als „bloß“ visuelles Element als nicht so wichtig erachtet wird. Und tatsächlich kann ich ja aus dem Startpunkt „3rd-Person“, auch wenn er meines Erachtens wie erwähnt durchaus einige Implikationen für die Spielregeln mit sich bringt, noch sehr verschiedene Spiele machen. Die Open-World-Formel um Sammeln und Crafting hingegen gibt ganz direkt vor, was ich als Spieler die meiste Zeit konkret tun werde. Zwei nach dieser Formel designte Spiele werden sich also – abgesehen vom Anstrich – ziemlich ähnlich sein.

Dazu kommt dann natürlich, dass es fragwürdig ist, wie interessant die dieser Formel zugehörigen Mechanismen überhaupt sind. In vielerlei Hinsicht wird da ein ziemlich psychologischer Blickwinkel eingenommen. Spieler sollen durch konstante Belohnungen bei der Stange gehalten werden. Ob die individuellen Aktionen beziehungsweise Entscheidungen an sich spannend sind, ist zunächst zweitrangig. Und wie du es angedeutet hast, Sylvio, schimmert da durchaus eine kapitalistische Philosophie durch: „Investiert Zeit, arbeitet eure Aufgabenliste ab und ihr bekommt etwas heraus!“ Das funktioniert bei der breiten Masse verlässlicher als auf ihre intrinsische Motivation zu setzen. Von außen betrachtet gilt diese Form des Spieldesigns momentan wohl eher als „modern“ denn „veraltet“. Ich würde mir jedoch wünschen, dass sie sich in näherer Zukunft mit dem Erwachsenwerden des Mediums als gescheitertes Experiment entpuppt, das langfristig kein valides Modell darstellt.

#09: pascal

Zur Kamera muss ich nun doch noch einmal einhaken, der Punkt den ich machen wollte, ging nämlich etwas unter: Anders als vor allem du, Fabian, empfinde ich die frei justierbare Kamera als einen unglaublichen Fortschritt. Spiele ohne solche – und damit meine ich speziell welche, in denen sich die Kamera mit der Spielfigur dreht – hielt ich schon damals, als ich die freie Kamera noch nicht kannte, für sehr mühsam. Die bessere Lösung war da meiner Meinung nach die feste Kameraeinstellung, wie sie etwa Character Action Games auf dem Höhepunkt ihrer Zeit perfektioniert haben – ich denke da an die festen Kamerapositionen eines Devil May Cry 3 oder God of War 2. Der Vorteil aus spielerischer Hinsicht hier, vor allem für Sprungpassagen: Abstände bleiben immer gleich, sind einschätzbar und für den Entwickler dadurch ebenso gut designbar wie für den Spieler bezwingbar. Die frei justierbare, eigens steuerbare Kamera bietet dies nicht, gibt jedoch vor allem dem Spieler die Möglichkeit, seine Perspektive so zu ändern, wie es ihm am vorteilhaftesten ist – was du, Fabian, als Exploiten bezeichnet hast, halte ich für einen wichtigen Aspekt vieler actionlastiger 3rd-Person-Spiele. Meine anfängliche Kritik bezog sich auf das ungeliebte Stiefkind zwischen fester Position und eigener Kontrolle.

Mit der Ubisoft-Formel sprecht ihr aber einen sehr interessanten Effekt an: Kommt es nur mir so vor, dass wir es dabei mit einer der ersten zyklischen Wiederholungen in der Spielmechanik zu tun haben? Abgesehen von der Open World und dem Türmeklettern besteht diese Formel ja wie ihr bereits schriebt aus Sammeln auf ein Ziel hin, eine Art des Fortschritts, die heute eben als sehr modern gilt. Aber hat Banjo-Kazooie das nicht auch getan? Gab es den Trend zum Zu-Viel-Sammeln nicht bereits in den 90ern und 2000ern, bevor er wieder abebbte? Und kaum zehn Jahre später wird er uns als “the next big thing” erneut präsentiert, um dann im Mainstream so richtig durch die Decke zu gehen.

#10: sylvio

Genau auf diese Parallele wollte ich in meinem letzten Beitrag auch schon hinaus. Auf der anderen Seite glaube ich aber, dass das Sammeln in zeitgenössischen Open Worlds eine andere Qualität hat, als das Sammeln in Banjo-Kazooie. Hier Fleißarbeit, für die man oftmals nur den Icons auf der Karte folgen braucht, dort rätsellastiger Erkundungstrip.

…anderes Beispiel für eine zyklische Wiederholung: Seit Dark Souls sind schwere Spiele plötzlich wieder angesagt! Sterben, das mehrfache Wiederholen längerer Levelabschnitte, und die Notwendigkeit, Gefahren auswendig zu lernen – alles wieder da! Die vermeintlich immer weiter fortschreitende Ver-Casualisierung des AAA-Sektors scheint gestoppt – ja sogar Zelda ist plötzlich wieder fordernd. Wann gab es das zuletzt?

#11: fabian

Bemerkenswert finde ich an dieser Stelle, dass die beiden Beispiele in komplett entgegengesetzte Richtungen laufen. Das Sammeln ist zwar heute wieder da, dient aber zumeist eher als verlässliche Fleißarbeit für Jedermann und nicht – wie früher vielerorts – als (zusätzliche) Herausforderung für Veteranen.

Dark Souls auf der anderen Seite entdeckt die Herausforderung als Kern interessanter Interaktivität wieder. Die Renaissance des Roguelike-Genres inklusive all der neuen Sprösslinge (“Roguelites”, “Roguelike-likes”) schlägt in die gleiche Kerbe. Sie stellen sich dröger Fleißarbeit und trivialen Aktionen ganz direkt entgegen und teilen dem Spieler durch ihren Schwierigkeitsgrad ganz direkt mit: “Du bist wichtig! Deine Entscheidungen sind bedeutsam!” Das könnte man jetzt als Repetition oder gar Rückschritt sehen, denn früher waren Spiele ja auch fordernd. Andererseits entwickelt sich nur durch diese Iteration eine Kunstform weiter: Neue Elemente werden in allen möglichen Richtungen ausprobiert, etablieren sich oder werden wieder verworfen. Was funktioniert, das bleibt – und wird wieder neu kombiniert.


DREI: Komfort und Zugänglichkeit – und die “Fokussierung auf den Kern einer Spielerfahrung”

#12: patrick

Ich für meinen Teil finde die Sammelquests in aktuellen Spielen meist eher mühselig und oft auch zu groß angelegt. In “alten” Spielen hatte ich schon noch den Drang, alle versteckten Münzen zu finden und den letzten, geheimen Raum zu entdecken.

Wenn ich mich recht erinnere, gab es “früher” aber auch meist nur ein sammelbares Objekt pro Level. Diese Unterteilung in Abschnitte hat den Sammeldrang meiner Meinung nach auch nochmal ein Stück weit gepusht, denn ein “Oh, nur noch 5 Münzen in dem Level und 7 in dem anderen” motiviert mich irgendwie mehr als “Puh, noch 20 Münzen, 36 Kristalle und 15 Fackeln, die *irgendwo* im Spiel versteckt sind”.

Aber das hängt wahrscheinlich auch zu einem gewissen Grad mit dem allgemeinen Problem zusammen, dass man damals keine große Auswahl an Spielen hatte, und aus den Titeln die man besaß das meiste herausholen wollte.

#13: sylvio

Guter Punkt, das ging mir damals ganz ähnlich. Ungeachtet aller Entwicklungen, die Spiele selbst durchgemacht haben, fehlte mir heute vermutlich schlicht die persönliche Motivation, einen Platformer der N64-Ära ohne Lösung etc. anzugehen, wie ich das damals noch getan habe. Wie Fabian schon sagte, sind deren Sammelaufgaben keine entspannte Fleißarbeit, sondern oft bockschwere Herausforderungen. Ich erinnere mich, welche Zeit und Mühe ich mit Banjo-Kazooie oder Diddy Kong Racing verbracht habe, die ich mir nur ausgeliehen hatte, und sie trotzdem nie beendet, geschweige denn zu 100% komplettiert habe – einfach weil sie so schwer waren. Ende 2001 borgte ich mir von einem Freund dann Banjo-Tooie, was sicher kein schlechteres Spiel ist als sein Vorgänger, aber ich konnte nicht mehr die notwendige Hingabe aufbringen, mich in ein derart verschachteltes Exploration-Spiel zu vertiefen. Warum? Weil neben dem N64 mittlerweile ein PC mit Play the Games Vol. 4 stand – und plötzlich war meine Mangelwährung nicht mehr Geld sondern Zeit!

Ein Problem bei heutigen Sammelquests sehe ich darin, dass Aufwand und Nutzen meist in keinem sinnvollen Verhältnis stehen: Als Belohnung gibt’s dann irgendein Alternativkostüm oder eine Waffe, die nutzlos ist, weil man das Spiel dann ohnehin längst durchgespielt hat. Früher erhielt man ganze Levels, Welten! Aber Spielanteile von beträchtlicher Größe nur den besten Spielern zugänglich zu machen – das traut sich bei den heutigen Entwicklungskosten kaum noch einer.

Ich kann aber auch dieses „Platinieren“ allein zum Selbstzweck nicht verstehen. Okay, wenn ein Spiel wirklich richtig gut ist, möchte ich es auch mal zu 100% abschließen. Aber ich seh‘ das trotzdem nur als optional an. Dass viele Leute offenbar von Vornherein auf das Ziel hin spielen, 100% zu erreichen (ohne dass sie dafür eine große Belohnung erwarten dürften), ist für mich ein schwer verständlicher Anachronismus in einer Epoche, in der wir von Spielen und Spielumfang eigentlich erschlagen werden.

Oder geht das überhaupt nur “uns” so? Ich kenne tatsächlich Leute – klassische Durchschnittspieler, keine Casuals – die heute noch so Sachen fragen: “Kommt mal wieder ein gutes Spiel raus?”

#14: fabian

Wobei ich da auch nicht glaube, dass es der Weisheit letzter Schluss ist, einfach ein Spiel genau wie früher zu machen. Damit greift man vielleicht Nostalgiekäufe ab und kann natürlich immer noch gute Spiele machen, aber voranbringen wird man das Medium wohl nicht. Gerade in Sachen Zugänglichkeit und Komfort sind viele moderne Titel doch deutlich weiter. Warum nicht diese Vorzüge mit ernstzunehmenden Herausforderungen kombinieren?

In Sachen Sammelaufgaben könnte man da aus jüngster Vergangenheit Super Mario Run anbringen. Zunächst wirkt es sehr casual, fast wie ein typischer „Autorunner“. Es ist sehr leicht zu begreifen, und die Level bloß zu beenden, ist kein Problem. Steigt man jedoch tiefer ein und konzentriert sich auf die unterschiedlichen „Münzpfade“ in den Levels sieht die Sache anders aus. Sie sind zwar auch – ganz ohne Wiki oder Komplettlösung – stets relativ leicht ersichtlich, verlangen dem Spieler jedoch alles an Akrobatik, Timing und Wissen über den Levelaufbau ab. Zugänglichkeit und Spieltiefe Seite an Seite!

Diablo 3 steht für eine ähnliche Entwicklung, indem Dinge wie Heiltränke, Stadtportale oder Identifikation über Schriftrollen abgeschafft wurden. Die Skills der Charaktere können nachträglich jederzeit beliebig verändert werden, statt immer wieder neu anfangen zu müssen. Auch wenn einige alteingesessene Hardliner damit unglücklich sind, handelt es sich objektiv einfach um Verbesserungen in Sachen Zugänglichkeit, ohne dass Kernelemente des Spielprinzips (Kampfsystem, Loot, Experimentieren mit Skillsets) über Bord geworfen würden. Im Gegenteil bleibt dem Spieler nun sogar mehr Zeit und mentale Kapazität übrig, um sich auf diese Elemente zu konzentrieren. Diese Fokussierung auf den Kern einer Spielerfahrung ist vielleicht das, was ich an einem Konzept als “fortschrittlich” bezeichnen würde, unnötigen oder gar schädlichen Ballast hingegen als “veraltet”.

#15: pascal

Ich kann durchaus verstehen, dass das Komplettieren an sich für viele Leute Belohnung genug ist. Ich selbst platiniere gern Spiele, die mir aus irgendeinem Grund viel bedeuten. Teilweise, um noch mehr Zeit mit dem Spiel verbringen zu können, teilweise aus einer Art Respekt heraus, und weil ich hinterher mit positiv verknüpften Erinnerungen darauf zurückschaue. Ob es am Ende eine Rüstung für meine komplette Federsammlung gibt und ob diese nützlich ist oder nicht, kümmert mich wenig.

Zusätzliche Levels und Welten hingegen halte ich eigentlich für gute Belohnungen, wenn sie nicht hinter zu hohen Hürden weggeschlossen sind. Nier etwa übertreibt es maßlos, wenn es von mir möchte, jede existierende Waffe eingesammelt zu haben, um das richtige Ende zu sehen. 3rd-Person-Platformer haben da traditionell eigentlich eine sehr gute Balance getroffen. Jak & Daxter und die Ratchet & Clank-Reihe benutzen oft ein Collectibles-System, um weitere Welten freizuschalten. Dabei wird der eigene Fortschritt aber nie so weit aufgehalten, dass es stört. Yooka-Laylee hingegen versucht genau das Gleiche, versteckt die nötigen Sammelobjekte aber in zu leeren Welten hinter zu nervigen, repetitiven Aufgaben. Das führt im Kreis; wenn die jetzige Welt schon so leer und uninteressant ist, wieso sollte ich sie durchkämmen, um ein möglicherweise genauso schlechtes neues Level zu öffnen? Ein Abweichen vom alten System hätte hier gut getan. Denn wie Fabian sagte: Kern des Spiels wären lustige Hüpfpassagen und spannende Erkundungen gewesen – würden sie nicht durch belastende Sammelaufgaben abgelöst und überschattet.

#16: sylvio

Dann haben wir es allerdings zunächst einmal (mal wieder) mit einer schlecht umgesetzten Spielmechanik zu tun, und nicht notwendigerweise mit einer veralteten. Nur, lasst uns doch einmal versuchen, uns der Frage weiter anzunähern, wann und warum… […Fortsetzung folgt…]


Die zweite Hälfte unserer Unterhaltung könnt ihr HIER lesen. Außerdem freuen wir uns auf eure Meinungen zum Thema und zum Format im Kommentarbereich.