Herbst 2003: Als US-Truppen den Irak besetzt halten, zeigt Freedom Fighters, wie ein Taktik-Shooter ausschauen kann, wenn er ausnahmsweise nicht auf Romanen von Tom Clancy basiert.
Freedom Fighters (entwickelt von IO-Interactive, dem dänischen Studio hinter der Hitman-Reihe) war für mich schon lange ein Geheimtipp auf dem GameCube, der mit einem so klugen wie unterhaltsamen Gameplay, ordentlicher Grafik und einem gewohnt exzellenten Soundtrack von Jesper Kyd aufwartete. Die narrative Seite des Spiels erschien im Vergleich allerdings weniger interessant: Freedom Fighters präsentiert uns eine Alternate History, in der die UdSSR den Zweiten Weltkrieg mit dem Abwurf einer Atombombe über Berlin beendet, bald darauf ganz Europa unter kommunistische Kontrolle gebracht und schließlich – in der Gegenwart – eine Invasion der USA gestartet hat, der letzten noch freien Nation. Auch wenn Freedom Fighters dieses Setting in Gestalt eines von den Sowjets besetzten Manhattan sehr stimmungsvoll umzusetzen weiß: originell und zeitgemäß schien das 2003 schon lang nicht mehr. Das kritisierte auch Martin Mirbach, Chefredakteur des damaligen Videospielmagazins meiner Wahl, der „big.N“: „Warum hat den Entwicklern bloß niemand gesagt, dass ihr Gedankenspiel spätestens seit dem grottenschlechten Kinofilm Die Rote Flut völlig ausgelutscht ist? Okay, besonders im großen Konsolenmarkt USA wird man damit auf den immer noch unter Volldampf fahrenden Patriotismus-Zug aufspringen und sicher gutes Geld verdienen.“
Unter dem Eindruck dieses Urteils, dem mein eigenes Spielerlebnis von vor mehr als zehn Jahren nichts hinzuzufügen hatte, überraschte mich die Perspektive, die Killscreen-Autor Ed Smith im letzten Jahr Sommer präsentierte: „The videogame that dared to question the War on Terror“ lautet der Name des Essays, dessen Kernthese ich sehr interessant fand, wogegen mich die Argumente, die sie belegen sollten, nicht komplett überzeugen konnten. Dass ihr eure Nachbarschaft gegen übermächtige Invasoren verteidigen müsst, klar. Aber darin ein Statement gegen den Irakkrieg sehen? Das schien mir zu viel des Guten. Bis ich Freedom Fighters nach mehr als einem Jahrzehnt noch einmal selbst in Angriff nahm – und ein paar Dinge erkannte, die mir damals entgangen waren.
Die Russen sind (mal wieder) da!
Freedom Fighters kam im Herbst 2003 auf den Markt, fast genau zwei Jahre nach den Anschlägen des 11. September also, bzw. ein halbes Jahr nach Beginn der amerikanischen Invasion im Irak. Auch wenn der Spieler in Freedom Fighters nicht gegen bärtige Islamisten ins Feld zieht, so tut das Spiel sein Bestes, als Ausdruck eines Post-Nine-Eleven-Patriotismus (miss)verstanden zu werden: Der Protagonist ist ein Klempner (nicht die einzige Parallele zu Super Mario, aber das soll das Thema hier nicht sein), der notgedrungen zum Führer einer Befreiungsfront avanciert, die das besetzte Manhattan zurückerobern und so die amerikanische Lebensart verteidigen soll. Am Ende jeder Mission steht das heroische Hissen der amerikanischen Flagge auf dem Dach des gerade zurückeroberten Postamts, Kraftwerks oder Kinos – ein „witziges Patriotendetail“ nannte das ein anderer big.N-Redakteur, Björn Seum in seinem Test in der schon genannten Ausgabe.
Die zu bekämpfenden Besatzer sind sowjetische Kommunisten. Ein Feindbild, das nicht nur deshalb aus der Zeit gefallen schien, weil der Kalte Krieg seit eineinhalb Jahrzehnten vorüber, sondern auch weil die Konkurrenz mal mehr, mal weniger unverblümt auf den Antiterrorzug aufgesprungen war (mit Ubisoft und ihren Tom Clancy-Umsetzungen an vorderster Front). Eine Beförderung der (ultimativ enttäuschenden) Verkaufszahlen dürften sich EA und IO-Interactive vom Rückgriff auf das in die Jahre gekommene Feindbild also kaum erwartet haben. Der Wunsch, sich eines politischen Kommentars enthalten zu wollen, wäre eine naheliegende Erklärung. Dass in Zeiten eines überhöhten US-Patriotismus aber bereits die konsequente Vermeidung der Antiterror-Thematik und nicht zuletzt die vollständige Nicht-Thematisierung der Attacke auf das World Trade Center – in einem Spiel, das in Manhattan spielt! – ein durchaus politisches Statement sein kann, ist eine andere Sichtweise. Tatsächlich geht Freedom Fighters aber noch viel weiter.
Revoluzzer, Contras und Besatzer
Bei näherer Betrachtung ist dem Spiel gar nicht daran gelegen, das Feindbild des bösen Russen zu re-animieren. Natürlich tragen eure Widersacher Uschankas auf den Köpfen und sprechen mit russischen Akzenten, aber diese Identitätsmarker sind genauso bloße Kostümierung wie eigentlich bedeutungslos ist, dass die Feinde Kommunisten sind: Chris Stone und seine Männer kämpfen nicht gegen die Einführung der Planwirtschaft, sondern gegen unverkennbar imperialistische Besatzer. Die haben, nachdem sie Europa unter Kontrolle und Südamerika unter ihren Einfluss gebracht haben, eines Morgens auch die Nachbarschaft des Protagonisten mit ihren mobilen Wachtürmen und Straßenblockaden „verschönert“. Schon während der Startsequenz fällt außerdem auf, dass die Sowjet-Invasion von keinem größeren militärischen Zusammenstoß begleitet wird. In IO-Interactives Alternate History ist die UdSSR als Supermacht offenkundig derart überlegen, dass sie ihre Besatzung fast über Nacht und ohne nennenswerte Gegenwehr vonseiten des amerikanischen Militärs vollziehen kann.
In ähnlicher Weise nahm das US-amerikanische Militär zwischen März und April 2003 den Irak ein. Beinahe so, wie das Regime unter Saddam Hussein schnell unsichtbar wurde und die irakischen Streitkräfte entgegen den Erwartungen kaum Widerstand leisten konnten oder wollten (wozu im Vorfeld erfolgte Bestechungen beigetragen hatten), so spielen in Freedom Fighters die Geschicke der gestürzten Regierung und des einheimischen Militärs nicht die geringste Rolle. Die amerikanischen „Freiheitskämpfer“, deren Führung der Spieler übernimmt, sind keine ausgebildeten Soldaten sondern Angehörige der unteren Mittelschicht, die Sprengstoff und Waffen von ihren Feinden erbeuten und in der Kanalisation leben müssen, während sie ihren übermächtigen Gegner im monatelangen Guerilla-Kampf zermürben. Die Sowjet-Propaganda nennt sie offen Terroristen, äußerlich haftet ihnen ein Che Guevara-hafter Revoluzzer-Charme an, und auch das Vokabular, das hier gebraucht wird, lässt die bolschewikische Revolution anklingen: Marx‘ Gespenst des Kommunismus wird hier zum „Freiheitsphantom“ und anstelle der Oktoberrevolution vollzieht ihr – im Kampf gegen die UdSSR – die „Winterrevolution“. Gleichzeitig ist die Darstellung der New Yorker Freiheitskämpfer aber auch von den sogenannten Contras inspiriert: Während der Reagan-Präsidentschaft auf nachweislich illegale Weise von den USA unterstützte Rebellen-Milizen in Nicaragua und Honduras, die im Kampf gegen eine ungewünschte Linksregierung auch Zehntausende Zivilisten töteten. Nicht selten wurden diese Contras ebenfalls „freedom fighters“ genannt und als solche inszeniert. IO-Interactive lassen also schon im vermeintlich unverfänglichen Titel ein dunkles Kapitel US-amerikanischer Außenpolitik anklingen.
Freedom Fighters versucht sich demnach an einer vielleicht etwas zu smarten, zweifachen Subversion: Innerhalb der Spielhandlung halten eure Freiheitskämpfer der UdSSR den Spiegel vor – auf der Meta-Ebene ist der US-amerikanische Imperialismus der Bush-Ära das Ziel der Kritik. Eine Kritik, die vielleicht am deutlichsten zum Ausdruck kommt, wenn einer eurer CPU-Mitstreiter im Spielverlauf den Satz sagt: „Ich war noch nie ein großer Patriot, aber diese Flagge da oben wehen zu sehen, schnürt mir wahrhaft die Kehle zu!“ Gemeint ist natürlich die Flagge der Sowjetunion, die anstelle der (nun unter Todesstrafe verbotenen) US-amerikanischen die New Yorker Gebäude ziert. Hier klingt durch, wie gemäßigte Kräfte unter dem Eindruck einer oppressiven, fremden Militärmacht überhaupt erst radikalisiert werden. Denn auch das ist im Irak geschehen und hatte dazu beigetragen, dass die meisten (auch zivilen) Todesopfer erst nach Sturz Saddams, während der rund acht Jahre andauernden Besatzungszeit zu beklagen waren. Behält man das im Hinterkopf, erscheinen die Argumente, mit denen die Freedom Fighters die Bevölkerung zum Widerstand aufrufen, umso drastischer: Davon, dass alle Amerikaner „Freunde und Familie“ hätten, die „gequält, gefangen genommen und getötet“ worden seien, ist im späteren Verlauf die Rede, und dass es gelte, sich gegen die „Unterdrücker“ zur Wehr zu setzen.
Fun with Flags
Den Eindruck, nicht Invasor, sondern Vorkämpfer für die Freiheit zu sein – nicht nur der eigenen, sondern auch der der unterdrückten Völker der Welt! – hatte die amerikanische Führung auch im Irak („Operation Iraqi Freedom“), sowie in anderen Ländern im Rahmen der „Operation Enduring Freedom“ erwecken wollen. Nicht lange bevor „Freedom Fighter“ George W. Bush den Irak-Krieg am 1. Mai 2003 offiziell für beendet und gewonnen erklärte, war Bagdad gefallen: Medienwirksames Sinnbild des US-Erfolges, der Beendigung der Herrschaft des untergetauchten Hussein, und nicht zuletzt der Freiheit, die man der irakischen Zivilbevölkerung vermeintlich brachte, war dabei der Sturz der Saddam Hussein-Statue auf dem Firdos-Platz im Zentrum der Stadt, am 9. April 2003.
Ich erinnere mich gut an dieses Ereignis und die Symbolkraft, die davon ausging. Damals war ich 15 und war, wie wohl die meisten in meinem Alter in Deutschland, tendenziell gegen den Irak-Krieg eingestellt und hatte die Entscheidung von Bundeskanzler Schröder, sich daran nicht zu beteiligen, als richtig empfunden. Meine Antipathien gingen sicher nicht so weit, dass ich die USA scheitern sehen wollte, allerdings ging ich davon aus, dass die angeblich in Unterdrückung lebende irakische Bevölkerung von diesem Einmarsch wenig haben werde. Am 9. April verfolgte ich nun allerdings die Aufnahmen vom Firdos-Platz im Fernsehen: Infanteristen der US-Marines stürzten – augenscheinlich unter dem großem Jubel der irakischen Massen – die nur ein Jahr zuvor errichtete, zwölf Meter hohe Saddam-Statue. Um das zu bewerkstelligen banden sie ein Seil um das Monument, wobei sie dem Kopf der Statue überdies eine amerikanische Flagge überstülpten. Dass dies als zweifelhafte Botschaft verstanden werden könnte, erkannte man offensichtlich schnell: Wenige Momente später wurde die US-Flagge gegen die des Irak ausgetauscht, bevor die Statue schließlich – ganz ohne Flagge – dem Sockel entrissen wurde. In der Folge stürzten sich anwesende Iraker auf das Monument, schlugen ihm den Kopf ab und schleiften ihn durch die Straßen.
Das erschien nun in der Tat wie der lang herbeigesehnte Moment einer Befreiung: Ich wähnte mich in meiner Einschätzung widerlegt und ging nun davon aus, dass der Einmarsch doch sein Gutes gehabt und der Bevölkerung des Iraks die Chance auf eine bessere Zukunft gebracht habe. Allerdings wurden bald schon Zweifel an den Bildern laut, die auch die anfängliche Platzierung der US-Flagge nur noch als kleinen Fauxpas erschienen ließen. Bis heute ist nicht geklärt, in welchem Maße der Sturz der Statue und die Beteiligung der Massen bewusst inszeniert oder Aufnahmen zumindest geschönt waren. Sicher scheint aber, dass die Zahl der jubelnden Iraker jenseits des unteren dreistelligen Bereiches nicht lag – in einer 5-Millionenstadt wie Bagdad kann das kaum als Volksbewegung gelten. Was bleibt, ist die Symbolik, die auch deshalb so wichtig war, weil Hussein nicht aufzufinden und größere militärische Zusammenstöße ausgeblieben waren, d.h. weil ein sichtbares Zeichen des amerikanischen Triumphes nicht existiert hatte.
Freedom Fighters greift diese Symbolik und den besonderen Flaggen-Fetisch der US-Amerikaner auf und macht ihn so sehr zum Zentrum seiner Spielstruktur, dass er ins Absurde verkehrt und letztlich ironisch gebrochen wird. Jede Mission in Freedom Fighters endet mit dem Einholen einer sowjetischen und dem Hissen der amerikanischen Flagge auf einem vormals von den Sowjets besetzten Gebäude. Ganz so, als ob die Freiheit in dem Augenblick zurückkehrte, in dem das Sternenbanner wieder auf dem Postamt, der Feuerwache oder der High School weht, während alle anderen Aktionen – die Befreiung von Gefangen oder die Zerstörung von Helikopter-Landeplätzen – dem Protagonisten zwar Sympathiepunkte bringen oder den Gegner schwächen, aber nie das Ende einer Mission markieren. Die Leere der Symbolik zeigt sich sogleich darin, dass in dem Moment, als die Flagge endlich am Mast weht, trockene Missionsstatistiken aufpoppen – keine Nationalhymne, keine stolzen Patrioten, die Stärke demonstrieren.
Unkalkulierbar: der Spieler
In narrativer Hinsicht scheitert Freedom Fighters trotzdem – und zwar an der zu großen Subtilität seiner Kritik. Eine Subtilität, die zugleich verständlich ist: Freedom Fighters war nicht als Nischentitel konzipiert; das Spiel war (mehr noch als Hitman) von Electronic Arts vertriebener Big-Budget-Mainstream, und eine offenere Kritik an der amerikanischen Außen- und Antiterrorpolitik hätte unter dem Eindruck des damaligen gesellschaftlichen Klimas einen kommerziellen Flop bedeuten können. Wahrscheinlich ist, dass Freedom Fighters – auch ohne Araber und Islamisten – ganz bewusst auf der Patriotismus-Welle mitzuschwimmen beabsichtigte und dass es das mit seinem Freiheits-Motiv, dem Schauplatz Manhattan und vielen, vielen amerikanischen Flaggen aus der Distanz betrachtet auch ganz bravourös tut. Im Sinne einer wirkungsvollen Kritik ist das natürlich auch nicht dumm, erreicht es so doch zunächst einmal ein Publikum, dessen Ansichten von der Message des Spiels abweichen und die so, eventuell, hinterfragt werden können.
Nur wie erfolgreich kann dieser Ansatz sein, wenn sogar ein Martin Mirbach die enthaltene Kritik nicht sieht und dem Spiel am Ende genau den Patriotismus ankreidet, den es eigentlich kritisieren möchte? Auch wenn ich mir sehr sicher bin, dass eine genauere Beschäftigung mit seiner Narrative die hier dargelegte Deutung offenbart, so lässt Freedom Fighters in der Praxis eben beide Lesarten zu. Die Kritik am Irakkrieg zu sehen, ist alles andere als zwingend. Damit öffnet das Spiel, entgegen aller Intentionen, reaktionären, nationalistischen Deutungen natürlich Tür und Tor: Wer unter der Eindruck aufgewachsen ist, dass alle Russen böse Kommunisten sind, in der Folge von 9/11 einem übersteigerten Patriotismus frönt, und privaten Waffenbesitz und Bürgerwehren als durchaus begehrenswert kennen gelernt hat, der wird die in Freedom Fighters angelegte Kritik kaum als solche erkennen und seinen patriotische Gesinnung womöglich nur bestätigt sehen.
Ist Freedom Fighters also zu raffiniert oder nicht raffiniert genug? Vielleicht scheitert es am Ende einfach daran, in einem Medium realisiert zu sein, welches Gut und Böse stets so klar voneinander getrennt darstellt und dem der bewusste politische Kommentar so fremd ist (oder war), dass seine Rezipienten gar nicht erst auf die Idee kamen, hinter IO-Interactives Russen etwas anderes als Russen zu vermuten. [sk]
Freedom Fighters:
IO Interactive / Electronic Arts 2003
GameCube, PS2, Xbox, Windows
Musik: Jesper Kyd; Writer: Morten Iversen
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Puh, ist echt lange her, dass ich Freedom Fighters gespielt habe und mir ist vor allem der amüsante Multiplayer in Erinnerung geblieben. Irgendwie kann ich mir (mit meinen schwammigen Erinnerungen) gar nicht so recht vorstellen, dass IO Interactive es wirklich (u.a.) als Kommentar zum Irak-Krieg konzipiert hat. Unabhängig davon aber ein interessanter Blick auf diesen leider längst vergessenen Shooter.
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