Ein Gastbeitrag von Eric Retzlaff
Mehr zum GASTSPIELER Special erfahrt ihr hier.
Inhalt:
- Die Kunst- und Kulturdebatte
- Französische Spielekunst
– Éric Chahi: Another World
– Frédérick Raynal: Alone in the Dark
– Michel Ancel: Rayman - Gibt es eine französische Spielessenz?
– Liste der Entwickler und Publisher, alphabetisch - Kreative Freiräume vs. Kommerz
- Fazit
Um mich mal am deutsch-französischen Diskurs zu beteiligen, halte ich es für wichtig, etwas mehr Einblick in französische Videospiele zu geben. Warum? Weil es eigentlich nicht so viele gebündelte Informationen zu dem Thema gibt und die Sprachbarriere oft dafür sorgt, dass man sich im angloamerikanischen Sprachraum bestens auskennt, aber über Frankreich dann doch relativ wenig weiß. Auf das Thema bin ich über die StayForever Podcasts von Christian Schmidt und Gunnar Lott gestoßen, die immer wieder französische Spieler anschneiden. Also Butter bei die Fische und selbst was dazu beitragen!
Wir kennen sehr gut den französischen Film, der seit jeher einen hervorragenden Ruf genießt – gerade hier in Deutschland, wenn man nur an die letzten Jahre denkt: Willkommen bei den Sch’tis (Synchronisation: fabelhaft durch Christoph Maria „Stromberg“ Herbst), The Artist mit Oscar-Preisträger Jean Dujardin (u.a. auch in den OSS 117 Filmen zu sehen, synchronisiert von Oliver Kalkhofe) oder Überraschungshit Ziemlich beste Freunde. Doch wie sieht es nun bei den Videospielen aus?
Die Kunst- und Kulturdebatte
Frankreich hegt und pflegt seine kulturelle Identität. Das fängt an bei der Sprache (z.B. durch die Académie Française), geht über die Erweiterungen des Kulturbegriffs (z.B. 9ème Art: bande dessinée) bis hin zu den Einflüssen des „Savoir-Vivre“ (z.B. in kulinarischer Art und Weise). Und ja, auch Videospiele gehören zum Kulturbegriff dazu, wie die New York Times oder Le Monde 2006 erläutert haben:
“Call me the minister of video games if you want — I am proud of this,” the minister, Renaud Donnedieu de Vabres, said in an interview last month. “People have looked down on video games for far too long, overlooking their great creativity and cultural value.”
In Deutschland ist das Thema Videospiele eher verknüpft mit der „Killerspiel-Debatte“ oder den negativen Folgen wie der Suchtproblematik. Das hat in Deutschland Tradition (siehe Comics). Die Kulturgut-Debatte kommt da nur sehr schwer in Gang und meist bleibt es bei leeren Worthülsen. Immerhin gibt es positive Signale (z.B. das Binarium in Dortmund oder das Computerspielmuseum in Berlin), die lobenswert sind; aber auch nicht verheimlichen können, dass die deutsche Videospielkultur ein Nischendasein fristet, wie es wohl jetzt noch der Fall zu sein scheint.
Anders in Frankreich. Dort genießen Videospiele ein gesellschaftliches wie auch kulturelles Ansehen, wie die Comics schon seit Jahrzehnten zeigen: Videospiele sind (in Teilen) als Kunstform anerkannt und generell ist dies in der Gesellschaft auch so akzeptiert. Spielentwickler werden öffentlich wahrgenommen und ihre Werke immer wieder respektiert.
Michel Ancel, Frédérick Raynal (zu beiden kommen wir später noch) und Shigeru Miyamoto wurden so 2006 mit der Auszeichnung zum „Chevalier dans l’ordre des arts et des lettres“ (Etwa: „Orden der Künste und der Literatur“, entspricht ungefähr dem „Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland“) ausgezeichnet. Diese Form der Wertschätzung ist enorm wichtig und sie unterstreicht die Wahrnehmung des Mediums als das, was es sein kann: Eine kreative Form der interaktiven Kunst, die Film, Musik und Technik in sich vereint und etwas Neues schafft.
Natürlich tragen hierzu eigene, französische Spiele bei: Frankreich ist weltweit der zweitgrößte Hersteller von Videospielen nach den USA. D.h. auch ökonomisch hat man die Potenziale erkannt, die das Medium mit sich bringt: Die Industrie ist Arbeitgeber für Zeichner, Designer, Musiker, Programmierer und alle anderen, sehr kreativen Berufe, die man für die Produktion eines Videospiels benötigt.
Französische Spielekunst
Konzentrieren möchte ich mich auf beispielhafte Beiträge und dazu habe ich mir drei Titel herausgesucht, die sinnbildlich für viele weitere Spiele und Entwicklungen aus Frankreich stehen:
Titel: Another World (Dezember 1991) | Entwickler: Éric Chahi | Studio: Delphine Software International (DSI) |

Eric Chahi (ausgesprochen: Scha-ieh) ist bekannt für einen Spieleklassiker, der zur damaligen Zeit auf sehr viele Plattformen umgesetzt wurde (3DO, Amiga, Apple II, Atari ST, DOS, Classic Mac OS, SNES, Sega Mega Drive, Mega CD): Another World, in den USA veröffentlicht unter dem Namen Out of this World.
Mit Another World verbindet mich eine Hassliebe. Der Titel kann als „cineastisches Adventure“ beschrieben werden, wenn man es so nennen will. Es entspricht keiner wirklichen Genre-Definition (im Prinzip handelt es sich um ein Jump ’n Run) und transportiert eher ein „Erlebnis“, als ein Spiel. Ganz besonders, wenn man es mit den Spielen zur damaligen Zeit vergleicht.
Stirbt der Charakter (was permanent geschieht und damit die Spielzeit streckt), beginnt das Abenteuer vor dem letzten Checkpunkt, welche nicht übermäßig großzügig verteilt wurden. Erschwert wird diese Vorgehensweise durch eine hakelige Steuerung und (bewusst) frustrierend gestaltete Trial & Error-Passagen.
Was sich nun wie ein Verriss liest, steht bezeichnenderweise stellvertretend für viele französische Produktionen und deshalb ist Another World auch ein so gutes Beispiel: Sie haben oft ihre Schwächen und Mängel, entwickeln aber eine eigene Faszination und gehen neue (teils sehr) kreative Wege. Anders herum formuliert: Man verzeiht dem Spiel seine Unzulänglichkeiten, wenn man dafür entsprechend belohnt wird. Und das ist bei Another World dann der Fall, wenn man wie aus einem Guss durch das Spiel sprintet und ein visuelles Feuerwerk erlebt.
Das Spiel vermittelt eine solch faszinierende, surrealistische Atmosphäre, der man nur schwer widerstehen kann: Der Stil der Grafik (eine Mischung aus Zeichnungen, Polygonen und Rotoskopie), der tolle Soundtrack von Jean-Francois Freitas (nur auf CD), die Animationen, die sonderbare Welt: All das motiviert enorm und man will immer wissen, wie es denn nun weitergeht. Zumindest einen Durchlauf sollte man als Spieler gespielt oder gesehen haben, wenn man weniger frustresistent ist. Another World wurde in zwei Anniversary-Editions wiederveröffentlicht: Einmal zum 15-jährigen Jubiläum und schließlich in einer „definitiven Fassung“, der „20th Anniversary Edition“, die es für wenige Euro digital zu kaufen gibt. Another World ist visuell und artistisch gesehen ein immer noch beeindruckender Titel, der 2012 vom Museum of Modern Art in seine Sammlung aufgenommen wurde.
Chahi selbst ist ein sehr zurückhaltenden Entwickler. Er betont in vielen Interviews und Diskussionen um sein Spiel, dass die Bilder für sich sprechen sollten und er gar nicht viel dazu sagen kann und will. Allerdings sollte Another World anders sein, als andere Spiele um die 80er/90er-Wende: kein Arcade-Titel mit Highscore-Jagd, keine Energieleisten, Levels, Punkte, keine statischen Genre-Konventionen. Another World sollte „nur“ interaktiv eine Geschichte in einer fiktionalen Welt erzählen und Atmosphäre vermitteln. Das hat es geschafft.
Nach Another World erschien der (leider nur) US-exklusive Nachfolger Hearth of the Alien auf Sega CD, zusammen mit einer verbesserten Variante von Another World. Chahi selbst war allerdings nicht mehr involviert. Er veröffentlichte nach viel zu langer Entwicklungszeit den spirituellen Nachfolger Heart of Darkness (1998), der eine ähnliche visuelle Wucht entfaltet, aber nicht mehr den Zeitgeist der 3D-Welle von damals traf. Wer es heute spielt, merkt, wie wenig es gealtert ist und es lohnt sich, auch hier einen Blick reinzuwerfen.
Interessant ist, dass immer wieder Flashback (1992, Paul Cuisset) dem Another World-Universum zugezählt wird. Genau wie Another World ist Flashback bei Delphine erschienen. Es nutzte ein ähnliches Gameplay (eine etwas indirekte und langsame Steuerung, fehlendes Scrolling) und ebenfalls Rotoskopie für die Erstellung verschiedener Grafiken.
Flashback hat allerdings keine Verbindung zu Another World, ist jedoch das vielleicht rundere Spiel. Es hat den Status als „bestverkauftes französisches Videospiel“ und ganz besonders empfehle ich die Sega Mega Drive Versionen (Modul oder auf CD), da es sich auf dem SNES nicht so ganz flüssig spielt. Das Remake von 2013 empfinde ich dagegen als überflüssig und als seelenlose Technikdemo, der es an Feinschliff und Charme fehlt, obwohl Cuisset selbst mitgewirkt hat.
Auswirkungen auf: Interactive Movies, Quick Time Events und in Teilen auch Survival-Horror
Beeinflusst durch: Karateka (1985), Dragon’s Lair (Amiga, 1989), Prince of Persia (1990)
Titel: Alone in the Dark (Dezember 1992) |
Entwickler: Frédérick Raynal |
Studio: Infogrames |

Die Vorreiterrolle von Alone in the Dark sollte man nicht unterschätzen, auch wenn es durchaus einige Macken hat; allen voran die sehr gewöhnungsbedürftige Steuerung und die bereits hier auftauchenden Perspektivenprobleme, die ein Markenzeichen des Genres werden sollten: Feste Hintergründe und auf Polygonen basierte Objekte, Personen und Gegner.
Alone in the Dark ist ein Klassiker und darf sich rühmen, den „Survival Horror“ erst so richtig serienreif präsentiert zu haben. Die Atmosphäre ist bedrückend, der Einfluss von Horror-Filmen offensichtlich und der Sound von Philippe Vachey überwältigt mit atmosphärischen Klängen (Orgel, Violinen, Klavier, Trompetenklänge…), die den filmischen Ursprung unterstreichen.
Das Faszinierende an Alone in the Dark ist die Technik: Polygone wurden damals nur sehr selten verwendet. Doch der technische Ansatz, Polygone mit vorgefertigten Hintergründen zu kombinieren, ermöglichte mehr Details und gute Animationen. Dazu wurde aus cineastischen Gründen (und wie schon bei Another World) auf ein Onscreen-Display verzichtet. Während der Entwicklung wurde zudem angedacht, die gerade von Infogrames erworbene Call of Cthulhu-Lizenz zu verwenden. Dies wurde aufgrund der nicht vorhandenen RPG-Elemente wieder verworfen, aber der Einfluss von H. P. Lovecraft ist zum Glück geblieben.
In der Nachbetrachtung ist es offensichtlich: Die Auswirkungen auf Capcoms Resident Evil waren enorm und Shinji Mikami bestätigte den prägenden Einfluss 2014 in einem Interview für die französische Zeitung Le Monde: Ohne Alone in the Dark wäre Resident Evil wohl ein Shooter geworden (in welcher Form auch immer). Aber auch Alone in the Dark hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem 1989 erschienenen Sweet Home (NES, Umsetzung des gleichnamigen Films, mehr dazu hier). Und jenes Sweet Home entstand unter Mitarbeit von Tokuro Fujiwara (Capcom), der später mit Shinji Mikami Resident Evil produziert hat.
Erwähnenswert wäre in diesem Zusammenhang noch Dynamix‘ Project Firestart (C64, 1989, stark beeinflusst durch James Camerons Aliens, mehr dazu hier), wobei dieses auch als Inspiration für Another World gedient haben könnte („cinematic action/adventure“). Wie man es nun dreht und wendet: Die Grundinspiration aller genannten Titel kommt aus dem Filmbereich. Die filmischen Erlebnisse machten Angst und das war gut so, denn damit konnte sich so etwas wie ein „Survival-/Adventure-Horror“ entwickeln. Es kann als gewisse Hommage gedeutet werden, dass Resident Evil 7 (Capcom, 2016) wieder zu den Wurzeln des Genres zurückgekehrt ist: Sowohl Capcoms neuestes Werk als auch das erste Alone in the Dark spielen in einem alten Herrenhaus in Louisiana. Zufall ist das mit Sicherheit nicht.
Aufgrund des Erfolgs entstanden gleich zwei weitere Teile (1993 und 1994) und die Alone in the Dark-Trilogie ist heutzutage in einem Paket auf Plattformen wie GOG erhältlich.
Frédérick Raynals eigene Geschichte ist übrigens etwas anders gelaufen. Er hatte nur Einfluss auf Teil 1, war mit dem Endprodukt, der generellen Wertschätzung und bestimmten technischen Entscheidungen unzufrieden und gründete nach Alone in the Dark sein eigenes Studio: Adeline Software International.
Raynal entwickelte daraufhin Spiele wie Little Big Adventure (1994), dessen Nachfolger (1997) und das „Zwischenprojekt“ Time Commando (1996). Gerade die beiden Little Big Adventure-Teile sind bis heute Klassiker des Genres, die mit viel Charme und einer kreativen Welt ganze Blog-Artikel oder Podcasts füllen können (siehe auch StayForever, Folge 48). Es würde diesen Rahmen hier definitiv sprengen.
Auswirkungen auf: Survival-Horror und Spiele wie Resident Evil oder Silent Hill
Beeinflusst durch: Horror-Filme, 3D-Entwicklung, H. P. Lovecraft’s Cthulhu, Edgar Allan Poe, Sweet Home (1989), Project Firestart (1989)
Titel: Rayman (Juli 1995) |
Entwickler: Michel Ancel |
Studio: Ubisoft |

Rayman ist vielleicht einer der schillerndsten Charaktere und Titel, die aus französischen Landen erschienen sind. Das Spiel ist im Gegensatz zu vielen seiner französischen Kollegen spielerisch ausgefeilter, d.h. es spielt sich flüssiger und ohne steuerungstechnische Unzulänglichkeiten. Was wohl sehr dem heutigen Ubisoft CEO Serge Hascoët anzurechnen ist (siehe Gamasutra-Interview von 2011), da sich Ancel eher als Künstler sieht, weniger als „Gameplay-Polierer“. Das merkt man, vor allen Dingen im Vergleich zu den Miyamoto-Hüpfern.
Rayman ist dazu wirklich schwer (jedoch nie unfair) und entspricht damit nicht dem kindlichen Ersteindruck, den die Grafik vermittelt. Diese Kombination aus der spaßigen Hüpfmechanik und der bunten, kreativ-künstlerischen Welt ist vielleicht mit der Grund, warum die Serie bis heute so populär ist.
Interessant ist die Entwicklungsgeschichte des Spiels selbst: Ancel hatte Rayman ursprünglich 1992 für den Atari ST begonnen (anfangs noch allein, Quelle), danach sollte eine SNES CD-Version folgen, die bekanntlich niemals erschien. 2016 veröffentlichte Ancel Screenshots dazu; das ROM gibt es nach meinem Kenntnisstand noch nicht online, was allerdings nur eine Frage der Zeit sein dürfte.
Die Entwicklungsodyssee wurde nach dem Scheitern der Atari- und SNES-Fassungen auf den Jaguar übertragen, wobei während der Entwicklung auch noch PlayStation und Saturn bedient werden sollten. Vermeintlich sich in Entwicklung befindliche 32X- oder 3DO-Versionen wurden höchstwahrscheinlich noch Ende 1994 fallen gelassen.
Für den Jaguar wurde es zuvor noch als exklusives Zugpferd vermarktet, aber aufgrund von Marktproblemen (der Jaguar lag 1995 deutlich hinter den Erwartungen zurück) und Amortisationsgründen schnell auf die 32-Bit-Konkurrenz portiert, wo es jedoch ein wenig anachronistisch wirkte: Es war ein reines 2D-Jump ’n Run, nutzte keinerlei 3D-Effekte und konnte damit kaum Vorteile von PlayStation und Saturn nutzen.
Heute wirkt es dagegen kaum gealtert und spielt sich wie ein kunterbuntes 16-Bit-Spiel, das mir persönlich nur etwas zu schwer geworden ist. Trotzdem bezaubert die Welt weiterhin, der Soundtrack ist klasse und technisch ist die bunte Rayman-Welt einfach nett anzuschauen. Bis heute wurde der Titel unzählige Male portiert, im Frühjahr 2016 folgten iOS und Android (kostenlos). Wer heute noch reinschauen möchte, sollte sich auch die GOG-Version Rayman Forever anschauen, die mit den entsprechenden Musik-Dateien sinnvoll erweitert werden kann.
Die weiteren Rayman-Spiele sind teilweise noch beeindruckender als der Erstling und auf jeden Fall einen Blick wert: Rayman 2 – The Great Escape erschien Ende 1999, erntete sehr viel Zuspruch, bot eine beeindruckende 3D-Welt und Rayman 3: Hoodlum Havoc folgte dann 2003 auf PS2, Xbox, Gamecube und PC. Allerdings ohne Beteiligung von Ancel, der sich einem anderen Projekt widmete: Beyond Good & Evil (2003), über das man weitere Seiten füllen könnte und das bis heute leider keinen Nachfolger erhalten hat.
Danach wurde es wieder still um Raymans Jump ’n Run-Künste. Bis 2011: Da erschien das grandiose Rayman Origins, dass die alte 2D-Tradition wieder aufleben ließ und mit Legends (2013) sogar noch getoppt wurde. Entwickelt mit der eigenen UbiArt-Engine, die diese fantastischen Full-HD-2D-Welten mit Leben erfüllt. Bis heute ist Rayman mit seinen unzähligen Spin-Offs eine Erfolgsgeschichte französischer Entwickler-Arbeit und Pflicht für jeden Videospielfan.
Auswirkungen auf: 2D-Jump ’n Runs Design, 2D-Art-Style
Beeinflusst durch: Comics, Fantasy-Welten wie aus Legend of the Mystical Ninja oder Zelda – A Link to the Past (Quelle, Original in französisch)
Gibt es eine französische Spielessenz?
Es ist spannend an den wenigen Beispielen zu sehen, wie französische Spiele wirken und mit welchen technischen und künstlerischen Ansprüchen sie an das Medium herangegangen sind. Der Einfluss ist immer wieder aus den Filmen zu sehen, die natürlich einen großen Einfluss auf die Branche an sich hatten (siehe interaktive Filme, Hideo Kojima, etc.).
Die Liste mit Beispielen ließe sich natürlich beliebig erweitern. Mit Michel Ancel, Frédérick Raynal und Eric Chahi sind nur ein paar Ikonen genannt. Es lohnt sich, in den Titellisten der Entwickler und Publisher aus Frankreich zu blättern und mehr Schätze zu entdecken. Einige Titel gibt es zum Nachspielen bei GOG (Cryo, Delphine, Adeline…), andere sind leider (wie so oft) in die spielerische Vergessenheit geraten, weil sie nicht mehr auf modernen Plattformen gespielt werden können.
Liste französischer Entwickler und Publisher, alphabetische Reihenfolge:
- Adeline Software International (1993-2004, seit 1998 No Cliché): Wie oben schon erwähnt bekannt für die Little Big Adventure-Spiele und die beiden Toy-Spiele (Commander, Racer).
- Arkane Studios (1999 bis heute): Sehr erfolgreich mit seiner Dishonored-Serie. Zuvor schon mit Arx Fatalis oder Dark Messiah: Might and Magic in Erscheinung getreten.
- Arkedo (2006 bis heute): Kleines, feines Studio um Designer Aurelien Régard, der mit mit den Spielen Nervous Brickdown, Big Bang Mini und Hell Yeah! viel Spaß verbreitet hat. Der neueste Titel, Top-Down-Racer The Next Penelope wurde ohne Hilfe von Arkedo veröffentlicht, die als Marken seither nicht mehr in Erscheinung getreten sind.
- Computer’s Dream (1984-1997, ab 1993 Haiku Studios): Kleines Entwicklungsstudio, bekannt geworden mit den beiden Cyberpunk-Adventures B.A.T. (Bureau of Astral Troubleshooters) und B.A.T. II – The Koshan Conspiracy. Wurde danach in Haiku Studios umbenannt, die als einzigen Titel das tolle Down in the Dumps entwickelt haben, das (neben den B.A.T.-Titeln) einen digitale Re-Release verdient hätte! Also eigentlich fast alles von denen. ;-)
- Cryo Interactive (1990-2002): Gegründet von ehemaligen Exxos-Mitarbeitern, entwickelte sich Cryo zu Frankreichs „Render-Spezialist“ mit vielen PC-Titeln wie Raser-Trash MegaRace, Dune (nicht Dune II) oder dem faszinierenden und ehrgeizigen Dreams to Reality, welches allerdings (irgendwie typisch) an seiner spielerischen Qualität krankte. Dazu die Myst-Clones wie Atlantis oder Versailles 1685, die teilweise in Zusammenarbeit mit der Réunion des musées nationaux et du Grand Palais des Champs-Élysées (zu deutsch: Vereinigung der Nationalmuseen und des Grand Palais des Champs-Élysées) entstanden sind und den kulturellen (Spiele-)Anspruch unterstrichen (also eher Serious Games oder „spielerisches Infotainment“). Warum war das eigentlich nie ein Ansatz z.B. für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz? :-)
- Delphine Software International (1988-2004): Schon ausführlich genannt wurden Another World und Flashback, erwähnenswert ist auf jeden Fall die sehr spaßige Moto Racer-Serie.
- Dontnod Entertainment (2008 bis heute): Stilisiert DONTИOD ist ein relativ junges Unternehmen, das mit Hilfe von ehemaligen Ubisoft-, Electronic Arts- und Criterion Games-Mitarbeitern gegründet wurde und die beiden Titel Remember Me und Life is Strange veröffentlicht hat. Remember Me zeigt ein visuell sehr faszinierendes Cyberpunk-Paris des Jahres 2084. Erfolgreicher ist jedoch das Episoden-Adventure Life is Strange geworden, das auch in der Spielepresse mehr zu überzeugen wusste.
- Eden Games (1998-2013): Fahrspaß mit V-Rally und Test Drive Unlimited, dazu der eher bescheidene Neuanfang von Alone in the Dark (2008). Wurde 2013 leider wieder geschlossen.
- ERE Informatique (1981-1989, ab 1988 unter dem Label Exxos): Einer der ersten Entwickler in Frankreich und bekannt für das faszinierende (und furchtbare komplizierte) Captain Blood oder das niedliche Bubble Ghost.
- Infogrames (1983-2009): Primär als Publisher bekannt, u.a. durch Spiele wie North & South, Alone in the Dark oder das famose Outcast (Appeal S.A.). Über letzteres könnte man ebenfalls seitenweise Geschichten schreiben, StayForever hat dazu einen tollen Podcast aufgenommen, der gut in diesen frankophilen Beitrag passt, da die belgische Videospielwelt recht übersichtlich ist.
- Kalisto Entertainment (1990-2002): Entwickelten z.B. Nightmare Creatures, 4 Wheel Thunder oder 3D-Grafikkarten „Benchmark“ Ultim@te Race Pro, der vielen 3D-Grafikkarten als Demo beilag.
- Loriciels (1983-1995): Mit der wichtigste Entwickler für den Amstrad CPC (bei uns Schneider CPC).
- Microids (1985 bis heute): Erfolgreich geworden mit den Adventures Syberia und Still Life. Gerade in einer Zeit, wo es um das Adventure-Genre sehr ruhig war, beeinflussten die Spiele das Genre positiv. Spielerisch mit Schwächen, gerade, was die Steuerung angeht, aber visuell und artistisch gesehen beeindruckend.
- Nadeo (2001 bis heute): Das TrackMania-Team rund um Firmengründer Florent Castelnérac entwickelt wahrscheinlich bis in alle Ewigkeiten erfolgreiche TrackMania-Nachfolger. ;-)
- Quantic Dream (1997 bis heute): Gegründet von David Cage, der einen sehr cineastischen Ansatz mit Titeln wie Fahrenheit, Heavy Rain oder Beyond Two Souls verfolgt. Sozusagen die Fortentwicklung der interaktiven Films.
- Titus (1985-2004): Zweifelhaften Ruf haben sie mit Eric Caens Superman-Game für das N64 geerntet, ansonsten sind sie noch bekannt für Titel wie Prehistorik Man (Amiga) oder Automobili Lamborghini (N64).
- Toka (1995-2003): Mit den Arcade-Racing-Clones Burning Road (Vorbilder Daytona, Ridge Racer) und dem Sequel Explosive Racing (Vorbild Destruction Derby) wurden erste Ausrufezeichen gesetzt, die sich dann allerdings in Trash-Orgien wie Sky Surfer oder Hidden Invasion fortsetzten.
- Ubisoft (1986 bis heute): Mittlerweile ein börsennotierter Spielegigant, der mit Ubisoft Paris, Ubisoft Québec, Ubisoft Annecy und Marken à la Splinter Cell, Assassin’s Creed, Ghost Recon oder Just Dance den Massenmarkt aufmischt. Dazu kommen wir gleich noch einmal.
Diese Liste hat natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und skizziert bestenfalls in Ansätzen die vielfältigen Aktivitäten rund um „Spiele aus Frankreich“. Um die vorangegangene Frage wieder aufzunehmen, welche Essenz man mit den Spielerlebnissen verbindet: Es ist natürlich eine sehr individuelle Frage. So gab es immer wieder technische Pannen und spielerische Unzulänglichkeiten, die von einer „Laissez-Faire-Mentalität“ begleitet wurden. Das führte oftmals zu Management- und Existenzproblemen (falsche Auswahl der Plattform wie z.B. das stark unterstützte Mega-CD, das Festhalten am Amiga, ein wenig zugkräftiges Marketing…).
Aber dafür führte dies auch zu sehr großer Kreativität, wie man an vielen Beispielen sieht: Design, Geschichten, Stil, Musik und Charaktere und deren Welten haben viele Schnitzer ausgemerzt und einen sichtbaren Gegenpol zu japanischen oder amerikanischen Produktionen gesetzt. Hier wurde oft Mut zum Risiko gelebt und das hat zu außergewöhnlichen Titeln geführt. Das „typisch Französische“ lebt somit weiter und ist in der starken Kommerzialisierung der letzte Jahre vielleicht nur etwas untergegangen.
Kreative Freiräume vs. Kommerz
Ubisoft ist so ein schillerndes Beispiel für folgende Problematik: Man kann nur dann Spiele entwickeln, wenn man mit ihnen verdient. Ist man zu klein und erlebt man einen Flop, kann das die Existenz aufs Spiel setzen. Wird man zu groß, verliert man in gewisser Weise seine Identität und die Beziehung zu den Spielern.
Im Fall von Ubisoft ist das offensichtlich: Für den Massenmarkt gelten strenge Regeln. So ist auch Ubisoft aus den Kinderschuhen entwachsen und hat dabei den naiven Charme von damals verloren. Dieser lebt vielleicht im Indie-Bereich weiter, aber wohl kaum in Großkonzernen wie Ubisoft. Generell ist das Unternehmen nicht mehr als Freund der Spielercommunity bekannt, aber es ist nun mal Arbeitgeber für viele, viele Personen, die an Videospielen arbeiten.
Ubisoft hat seinen Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg und in gewisser Weise auch für sein Überleben gesichert, indem es seine Präsenz in Nordamerika massiv ausgebaut hat: Seit 1997 mit Ubisoft Montréal und der damit erfolgreichen Verknüpfung von Frankreich und dem französischsprachigen Teil Kanadas und 2000 durch die Übernahme des US-Entwicklers Red Storm Entertainment.
Das hatte für die Gesamtstrategie drastische Konsequenzen: War Anfang der 2000er noch Platz für Michel Ancels Meisterwerk Beyond Good & Evil und den meiner Meinung nach völlig unterschätzten Comic-Shooter XIII (von Elisabeth Pellen, warum durfte sie danach eigentlich keine Spiele machen oder wollte sie nur nicht mehr?) überwogen danach Tom-Clancy-Lizenztitel wie Splinter Cell, Rainbow Six (alle Red Storm Entertainment) und Prince of Persia mit den noch erfolgreicheren Assassin’s Creed-Teilen bis heute (Ubisoft Montréal, u.a. von Jade Raymond).
Auch in Deutschland war man auf Beutezug, um das europäische Engagement auszuweiten: 2001 wurde der deutsche Entwickler Blue Byte (Die Siedler-Serie) aufgekauft. Und nach dem Erfolg von Cryteks Far Cry (2004) entschloss sich Publisher Ubisoft, die Lizenz künftig selbst zu nutzen und vergab die Entwicklung an sein Montréaler-Studio.
Die Stadt Montréal ist heute das Zugpferd der kanadischen Spieleindustrie. Frankreich hat es damit geschafft, den frankophonen Teil des Landes für seine Spieleproduktionen zu gewinnen und den Austausch zwischen Nordamerika und Europa zu beflügeln. Mit den bekannten Konsequenzen: Bis heute warten wir (und wohl auch Michel Ancel) auf einen Beyond Good & Evil-Nachfolger. Der passt wohl nicht mehr in die Strategie, Marken ganz im Stile von anderen Verkaufsschlagern wie Call of Duty, FIFA und Co. Jahr für Jahr auszuschlachten.
Natürlich ist meine Kritik daran ein wenig polemisch und ich täte den Produktionen unrecht damit, wenn ich sie auf ein rein kommerzielles Interesse reduzierte, zumal ich mit diversen Titeln großen Spaß hatte. Aber es ist schwierig geworden, hier noch von „französischen Spielen“ zu sprechen. Spaß machen sie vielen Menschen, es sind nur kaum mehr Autorenwerke, die davon leben, einen persönlichen Einfluss erkennen zu lassen, die Ecken und Kanten mitbringen und gelegentlich unkonventionelle Wege gehen, um neue Welten und Geschichten zu entwerfen. Das ist dann tatsächlich die Aufgabe der Indie-Entwickler geworden, hier für Innovationen zu sorgen. Vielleicht merkt die Branche ja auch, dass sie wieder mehr Kreativität benötigt, um spannend zu bleiben. Wer weiß…
Fazit
Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Überblick verschaffen und die meiner Meinung nach essentiellen Titel und Personen näher bringen. Es gibt viel zu entdecken und es macht Spaß, sich auf die Spiele einzulassen. Auch heute noch, trotz diverser Frustmomente in Sachen Spieldesign und Steuerung. Es ist faszinierend zu sehen, wie sich die französische Branche aus ihren Anfängen entwickelt hat und es bleibt eine Handschrift erkennbar, die uns sicherlich noch in kommenden Projekten begegnen wird. Spätestens, wenn Rayman wieder hüpft, Beyond Good & Evil 2 erscheint oder uns noch unbekannte Titel überraschen werden. Somit meine Empfehlung zum Schluss: Flasche Rotwein entkorken, Baguette mit Käse belegen und ausprobieren. Auch das ist eine Möglichkeit, das „Savoir-Vivre“ hautnah zu erleben.
Der Autor: 
„Flat“ Eric Retzlaff (@retrostage)
Schreibt auf RetroStage.
Mit dem C64 gestartet, lebt Eric sein Hobby bis heute. Egal ob Konsole, Handheld oder PC – im Mittelpunkt stehen für Eric die Erfahrungen, die Spiele wie Super Mario Kart, Jagged Alliance 2 und Dreamfall: The Longest Journey ihm bieten. Als Informationswissenschaftler strebt er aber auch danach, immer Neues zu erfahren, mit viel Akribie Hintergründe aufzudecken und so die Geschichten hinter den Spielen ans Licht zu bringen. Stößt der Baden-Württemberger also auf eine Infolücke im Netz und lässt die Zeit es zu, wird gebloggt und gezockt – und so ist seine RetroStage längst zu einer echten Fundgrube an Querverbindungen und fast vergessenen Anekdoten zu Retro-Klassikern der 80er und 90er geworden.
Vielen Dank für diesen wunderbaren, vielschichtigen und spannenden Artikel. Um beim französisch zu bleiben: Chapeau!
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Ein schönes Sammelsurium ist dir gelungen. Informativ, durchtränkt mit viel Hintergrundwissen und gespickt mit deiner eigenen Meinung. Es hat sehr viel Spaß gemacht diesen Beitrag zu lesen. :) Danke!
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Schön, dass dir der Beitrag gefallen hat.
Btw.: Aus aktuellem Anlass: https://www.youtube.com/watch?v=kKxc9kUtRMk, der dt. Trailer übrigens auch mit den Original-Sprechern und Manfred „Bruce Willis“ Lehmann: https://youtu.be/CYpuIovYI3Q
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Ein sehr schöner Beitrag zu einem bislang wenig beachteten Aspekt der Spielewelt und natürlich mit vielen Hintergrundinfos, also genau das, was ich schon an deinem Blog so schätze.
Sieht man mal vom heutigen Ubisoft ab, dann ist die französische Spieleszene tatsächlich irgendwie etwas anders, aber leider hat das (zumindest gefühlt) in den letzten 1-2 Jahrzehnten doch stark nachgelassen. Ich hätte daher auch nicht gedacht, dass sie weltweit der zweitgrößte Produzent sind. Zählen dazu dann auch Studios, die z.B. zwar zu Ubisoft gehören, aber in einem anderen Land liegen (Kanada etc.)?
An Alone in the Dark kann ich mich noch gut erinnern. Das habe ich zwar auch mit rund 10 Jahren Verspätung gespielt, aber es hat mich trotzdem total begeistert. Frederick Raynal war ja auch für meinen DC-Liebling Toy Commander verantwortlich und kürzlich kehrte er mit 2Dark ins Horror-Genre zurück. Bei Another World und Rayman muss ich leider zugeben, dass ich die bis heute nicht weit gespielt habe, aber das sollte ich wohl mal nachholen :)
Die fanzösische Indie-Szene scheint den Geist der Pioniere auch fortführen zu wollen. Besondere Projekte sind da z.B. das Adventure Event[0] von Ocelot Society (Test bei mir auf dem Blog), das imposante 2.5D Cyberpunk-Adventure The Last Night von den Soret Brüdern (http://oddtales.net/), das Mouse-venture Ghost of a Tale vom Dreamworks-Veteran Lionel Gallat aka SeithCG (http://www.ghostofatale.com/) oder die Arbeiten des Klondike Collective (http://klondike.fr/).
PS: Für die Liste hätte ich mir auch noch das Pariser Studio Darkworks gewünscht, die zwar immer etwas glücklos waren, aber mit AitD 4, Cold Fear und I am Alive ein paar interessante Titel ablieferten.
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Danke dir für deine guten Ergänzungen! Vor allen Dingen The Last Night muss ich mir mal näher anschauen!
Wenn ich schon Cyberpunk lese muss ich wissen, worum es geht…
Und Darkworks habe ich tatsächlich nicht mehr auf dem Schirm gehabt, obwohl ich das doch recht passable Cold Fear damals auf der Xbox gezockt habe. So entdeckt man es wieder!
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Nochmals vielen Dank für diesen imposanten und interessanten Artikel! Sehr gut gefällt mir auch, dass du bei den drei Beispieltiteln auch auf die leitenden Entwickler näher eingehst, sowie die Liste der französischen Entwickler und Publisher, die so einige Überraschungen für mich bereit gehalten hat. Dass Frankreich eine bedeutende Videospieltradition besitzt, ist mir zwar seit N64-Zeiten schon bekannt (weil es wohl hin und wieder im Club Nintendo Magazin durchdrang) aber über Infogrames und Ubisoft ging meine bewusste Wahrnehmung dann doch kaum hinaus. Quantic Dream und David Cage beispielsweise: Obwohl ich das eine oder andere Spiel dieses Entwicklers gespielt habe, ist mir nicht wirklich bewusst gewesen, dass sie aus Frankreich kommen. Oder die Trackmania-Reihe, die mich selbst zwar nie länger als fünf Minuten fesseln konnte, in meinem Freundeskreis aber einmal ziemlich beliebt war – da hätte ich nicht einmal vermutet, dass sie französischen Ursprungs sein könnte (und hätte in diesem Fall vielleicht sogar auf Deutschland getippt, irgendwie wirkt das Spiel so deutsch, haha).
Meine Unkenntnis ist vielleicht auch ein Beleg dafür, dass französische Spiele in jüngerer Zeit nicht mehr wirklich als französische Spiele erkennbar sind, was du im Artikel ja auch ansprichst. Ubisoft verbinde ich heutzutage tatsächlich eher mit Kanada oder nehme ich, seit Studios in Bukarest oder Shanghai dazugehören, einfach als internationalen Konzern wahr. Dennoch finde ich es faszinierend, dass Frankreich überhaupt eine so distinkte Spieleindustrie mit einer so langen und komplexen, eigenen Geschichte hat bzw. hatte!
Im internationalen Vergleich ist das nämlich alles andere als selbstverständlich: Da haben wir den amerikanischen Einfluss zum einen und den japanischen zum anderen. Bei britischen Entwicklern scheinen mir ein eigener Stil und eine eigene Tradition wenig ausgeprägt, und ich kenne mich mit den Gründen dafür nicht aus, aber vielleicht kann man darin eine Parallele zum britischen Film sehen, der vielleicht gerade wegen der (auch sprachlichen) Nähe zur USA nicht den Grad an Eigenständigkeit entwickelt hat, wie es in vielen anderen europäischen Ländern geschah. Einem eigenen Stil am nächsten kam womöglich noch Rare, die viel britischen Humor und englische Verschrobenheit selbst in ihre ernsthafteren Spiel haben einfließen lassen.
Und auch sonst orientiert man sich in Europa fast immer am amerikanischen Vorbild. Und so kommen tolle Spiele heute auch aus Skandinavien, der Ukraine und Polen, und diese Spiele mögen auch lokal gefärbt sein, aber eine wirklich eigenständige Videospielgeschichte wie in Frankreich existiert da nicht wirklich.
Die – leider gar nicht mehr so ruhmreiche Ausnahme – davon ist Deutschland. Darüber gab es kürzlich eine gelungene Reportage von Auf ein Bier, die wir im Hörenswert auch verlinkt hatten. Ich denke, gerade in den 90ern war die deutsche Spieleindustrie wohl genau so kulturell eigenständig wie die franzöische, aber letztlich auch sehr insular, und ist heute im internationalen Vergleich fast bedeutungslos. Du sprichst in Bezug auf Frankreich von Management- und Existenzproblemen, und einer falschen Auswahl der Plattformen. Probleme, die auch die deutschen Entwickler hatten, auch weil die sich ihrerseits zu stark auf den PC fokussierten.
Und obwohl du eine Wechselwirkungen zwischen französischen und deutschen Entwicklern ansprichst – Blue Byte ist wohl das beste Beispiel – erstaunt es mich doch in negativer Weise, dass offenbar bis heute keine stärkere Bindung zwischen den Entwicklern und Publishern hier und dort besteht, und ich frage mich, was dafür die Gründe sein könnten, zumal sowohl der Kulturaustausch als auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich in anderen Bereichen ja exzellent funktioniert?
Und schaut man sich außerhalb Europas um, in China oder Korea, da sieht man dort zwar einen durchaus eigenen Mix aus japanischem und amerikanischem Spieldesign, gespickt mit einigen Eigenheiten, die generelle Entwicklungen der Industrie antizipierten, aber ein Äquivalent zum „typisch Französischen“ in französischen Spielen fehlt dann trotzdem.
Möglicherweise ist es in der heutigen, fast komplett durchglobalisierten Spieleindustrie auch einfach zu spät, als dass sich ein eigener, regionaler Stil noch einmal entwickeln könnte? Auf der anderen Seite glaube ich, dass das zumindest im Indie-Sektor gerade geschieht: Und zwar in Skandinavien zum einen und Lateinamerika und Spanien zum anderen. Das finde ich gerade eine sehr spannende Entwicklung.
Um noch einmal auf deinen Artikel zu sprechen zu kommen… Klar, dass deine Liste der Entwickler und Publisher nicht vollständig sein kann, aber das Fehlen eines ehemaligen Schwergewichts hat mich doch erstaunt: Vivendi!
Gameloft fiele mir auch noch ein…
Ich weiß, wie viel Zeit und Mühe du in den Artikel gesteckt hast, und daher mag es vielleicht etwas unpassend sein, nach mehr zu fragen. Aber falls du irgendwann einmal die Lust dazu haben solltest: Über eine Fortsetzung würde ich mich freuen! Zumindest der Hauptteil mit den drei Beispieltiteln legt den Schwerpunkt ja doch eher auf die frühen Neunziger, und ich fände es unheimlich interessant, ähnliche Spiele- und Entwicklerportraits aus der jüngeren Geschichte zu lesen, etwa zu Quantic Dream, Outcast (auch hier hatte ich keine Ahnung dass Franzosen dahintersteckten) und Dontnod.
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Ich denke, Vivendi ist ein besonderer Fall, der nicht wirklich in eine Reihe mit den bereits genannten „echten“ Studios und Publishern passt. Soweit ich mich erinnere, war das ja immer nur ein großer Konzern, der in alle möglichen (Medien-)Richtungen investierte. Natürlich hatten die eine Zeit lang viele bemerkenswerte Lizenzen in der Hand und fungiert bei diversen Hits als Publisher, aber ich glaube, sie haben nie wirklich selbst etwas erschaffen. Ein ähnliches Beispiel wäre vielleicht noch ZeniMax, die auch nur eine Art Dachkonzern über Bethesda sind und im Hinblick auf das kreative Schaffen eigentlich wenig bis gar keinen Einfluss haben. Korrigiert mich bitte, falls ich mich da irre.
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Da gebe ich dir weitestgehend Recht und muss auch einen Fehler meinerseits eingestehen! Also einerseits gab und gibt es ja den riesengroßen Vivendi-Mutterkonzern. Der ist tatsächlich in allen möglichen Bereichen aktiv. Was ich meinte, das ist Vivendi Universal Games. Aber dein Einwand macht Sinn, da die ihre Spiele offenbar entweder unter dem Blizzard- oder Sierra-Label veröffentlicht haben. Komischerweise hab ich das in Hinblick auf Sierra gar nicht so wahrgenommen. Simpsons: Hit & Run oder Scarface, beide von Radical Entertainment entwickelt (noch ein kanadisches Studio), hätte ich als „Vivendi“ Games bezeichnet, nicht als Sierra Games. Und wenn ich mich recht erinnere, gab es auch auf der Games Convention nie einen Sierra-Stand, sondern den von Vivendi. Daher bin ich davon ausgegangen, dass sie einen direkteren Einfluss auf die Entwicklung gehabt hätten.
Mein größerer Fehler ist aber der, dass ich Vivendi Games überhaupt als französischen Publisher angesehen habe! Im Unterschied zum Vivendi-Mutterkonzern war Vivendi Universal Games allerdings in Los Angeles ansässig! Und da es sich sowohl bei Sierra als auch bei Blizzard ebenfalls um amerikanische Konzerne handelt, ist somit an Vivendi Games abgesehen vom vollkommen internationalisierten Mutterkonzern tatsächlich nichts Französisches dran… ^^
Immerhin ist das von mir erwähnte Gameloft tatsächlich Französisch. Ist mir übrigens durch ihre starke Unterstützung der WiiWare damals bekannt; Wild West Guns war ein spaßiges Game und dieses TV Show King sogar recht erfolgreich.
Noch eine Anmerkung zu Eden Games: Laut Wikipedia wurden die kurz nach ihrer Schließung durch Atari als unabhängiges Studio von ehemaligen Angestellten erneut gegründet und sind in dieser Form heute noch aktiv. Und schaut man sich ihre Website an (http://www.edengames.com/), dann betrachten sie sich offenbar nicht nur dem Namen nach als direkte Weiterführung.
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Vivendi… Oh, das ist so ein Konstrukt, aber ihr habt es genauso aufgelöst, wie ich es auch sehe. :-)
Eden Games müsste man tatsächlich noch mit „bis jetzt“ bezeichnen, da das Studio tatsächlich weiter Games unter dem Namen Eden veröffentlicht: https://en.wikipedia.org/wiki/Eden_Games
Was Gameloft angeht: Ich habe sogar einen Bekannten, der dort arbeitet und sie sind wohl sehr erfolgreich (4000 Mitarbeiter!), nur nicht in dem Gebiet, den ich im Blick hatte (PCs, Konsolen,…). Im übrigen ist Hauptanteilseigner Vivendi.
Mit Gameloft selbst habe ich allerdings so gut wie kaum Erfahrungen sammeln können. Ist einfach nicht meine Spielewelt (obwohl ich einen nVidia Shield Portable habe). Müsste man aber auf jeden Fall im Artikel nennen, da gebe ich dir recht und sie sind so ein Beispiel, warum Frankreich ziemlich viel und erfolgreich auf dem Markt mitmischt.
Grundsätzlich:
„Möglicherweise ist es in der heutigen, fast komplett durchglobalisierten Spieleindustrie auch einfach zu spät, als dass sich ein eigener, regionaler Stil noch einmal entwickeln könnte?“
Ich glaube, das ist tatsächlich ein Problem im Massenmarkt. Hier werden einfach die kleinsten gemeinsamen Nenner gesucht und dafür entwickelt. Auf Kosten von Kreativität und Individualität.
Man sieht eben auch, wie die Branche sich entwickelt hat. Früher waren es eben noch „Autorengames“, die sehr von der Herkunft und ihrem Umfeld geprägt waren: Auf welche Technik hatte man Zugriff? Welche Personen haben mitgewirkt? Welcher Markt sollte bedient werden?
Das ist natürlich heute komplett anders und ich denke, diese Zielgruppe und diese Essenz wird nur noch im Indie-Markt verbreitet bleiben. Anders wie beim Film, wo genau „der französische Film“ auch noch massenmarktkompatbiel ist. Bei den Spielen scheint man sich für zwei Märkte zu interessieren: Japan und „den Westen“ mit USA und Europa, die meist gleichgesetzt werden.
Es gibt dann noch so bestimmte Einflüsse für regionale Märkte, ich denke da an die „Simulatoren“ wie den Landwirtschafts-Simulator und Konsorten, die ja sehr auf den deutschen Markt abgestimmt werden, aber bei den AAA-Titeln ist es eigentlich nur noch möglich, für einen globalen Markt zu entwickeln. Man sieht es ja auch schön bei AitD: Es hat sich immer mehr an Resident Evil angeglichen und letzteres hatte ja überhaupt keinen Fokus mehr auf Japan, sondern eben die USA.
Was mir allerdings bei all der Kommerzialisierung auch aufgefallen ist: Mit Assassin’s Creed (und auch im Vorgänger Prince of Persia) hat man ein wenig „Kunst und Kultur“ mit einfließen lassen (allein schon die Darstellung von Florenz). Das hat ein wenig was von „Adventure und Action vor geschichtlicher Kulisse“ im Stile eines Guido Knopp (spielerische Vorbilder wie Uncharted und Tomb Raider sind natürlich offensichtlich), aber es ist ein angenehmer Kontrast zu den doch sehr abgenutzten WW-, Terroristen- und Future-Wars-Konzepzen – die man ja bei Ubisoft selbst ohne Unterlass bedient.
Wo ich allerdings weiterhin meine Hoffnungen setze, sind die fantastischen Welten, die von Kreativität und Ideen leben (also mehr so die Welt von Michel Ancel). Frankreich hat einen starken Fokus auf Design und Ästhetik (siehe Remember Me), da hoffe ich, dass es in Zukunft weitere Beispiele geben wird.
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Muss gestehen: Coktel Vision () und die Gobliiins-Serie vergessen (https://en.wikipedia.org/wiki/Gobliiins)… Lief bei mir unter Sierra.
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Hab ich weiter oben noch bemängelt bzw. bedauert, dass die großen französischen Games-Unternehmen kaum Studios in Deutschland unterhalten, lese ich gerade das:
„Computerspiel-Unternehmen Ubisoft macht Standort in Berlin auf: 500 Leute eingestellt – Deutsche Hauptstadt hat sich gegen Wien druchgesetzt“
Mehr: http://derstandard.at/2000056197683/Computerspiel-Unternehmen-Ubisoft-macht-Standort-in-Berlin-auf?dst=t.co
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Ein toller Artikel mit vielen hervorragenden Spielen. Es hat Spaß gemacht, den zu lesen. Einzig die Indieszene vermisse ich da ziemlich. Da gibt es ganz wunderbare Sachen aus Frankreich. Schade, dass dieser Aspekt nicht so richtig zur Geltung gekommen ist. ;)
Ubisoft ist für mich übrigens von den Big Playern immer noch einer meiner Lieblingspublisher. Die sind sicher nicht perfekt und mich nervt diese „Ubisoft-Formel“ schon manchmal ziemlich. Aber unterm Strich bin ich doch ziemlich zufrieden mit dem, was die mir als Spieler bieten. Die Szenarien der AC-Spiele sind nach wie vor immer wieder sehenswert und eine Bereicherung für die Spielwelt.
Far Cry hat mich zumindest mit Primal sehr motiviert. Wieder so ein tolles und vor allem nicht komplett ausgelutschtes Setting. Darin ist Ubi wirklich allererste Sahne.
Was mir aber auch sehr gut gefällt, ist der Casual-Bereich des Unternehmens. Just Dance ist zum Beispiel super und ganz toll für die ganze Familie. Die Your Shape Spiele habe ich auch damals wie verrückt gespielt. Bei allen Ecken und Kanten, ist mir dieses Unternehmen trotzdem bis heute sehr symhathisch. Gerade wegen so Projekten wie Child of Light und Far Cry Primal. Ich vermeide es einfach, alles von Ubisoft zu spielen, da mir die Spiele sonst zu monoton wären, wegen der berühmten Formel.
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Child of Light ist große Klasse! Das ist mir der Ubi Art Engine von Rayman gemacht und rockt,obwohl es so gar nicht mein Genre ist (eigentlich gar nicht).
Mein Fokus ist etwas auf die Vergangenheit gerichtet, von daher konnte ich den Indie-Bereich nicht so richtig in den Fokus setzen, zumindest mit Aurelien Regard habe ich das Thema aber versucht anzuschneiden. Auf jeden Fall etwas, was nachgereicht werden sollte! :-)
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Puh, ich respektiere eure Meinungen, aber Child of Light war für mich so eine riesige Enttäuschung. Das erwähne ich vor allem deswegen, weil ich mich auf das Spiel so sehr gefreut hatte (und auch wegen der UbiArt-Engine gewisse Erwartungen). Für mich hat an dem Spiel leider gar nichts zusammengepasst: Der schöne Look und die ungewöhnliche Atmosphäre – und dann so ein gewöhnliches, nervig-kleinteiliges Kampf- und Levelsystem, fast schon die berüchtigte Ubi-Formel, das dazu so gar nicht passen wollte. Aber vielleicht hab ich auch nur zu früh aufgegeben (nach ca. 5 Stunden oder so). Ich möchte dem Spiel auf jeden Fall noch einmal eine Chance geben, wenn ich weniger beschäftigt bin.
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Also ich habe es (retail, YEAH!) auf der Vita gespielt. Und ich habe es mir NUR gekauft, weil es UbiArt war und Retail. Denn Runden-RPG ist für mich Schlaftablette hoch 10. Ich komme mit dem Genre einfach nur schwer klar, einzig Chrono Trigger habe ich durchgepaukt. Und Child of Light war so bezaubernd, nach 3 Tagen hatte ich es durch und war soooo positiv überrascht!
Und das nach dem EDGE-Verriss mit 5/10 und negativen Kommentaren von einigen RPG-Fans. Für mich wars großartig!
Allerdings sei in diesem Kontext ergänzend gesagt: Ubisoft Montréal war dafür zuständig. Wieder mal ein franco-kanadisches Beispiel. ;-)
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Was ich auch noch nennen will, hier in den Kommentaren: https://en.wikipedia.org/wiki/PAM_Development
PAM Development! Bin da nämlich ein großer Fan von Top Spin auf der Xbox und bekannt auch für Mr. Nutz (http://www.mobygames.com/game/genesis/mr-nutz/credits).
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Und weil es so gut passt: https://www.tagesschau.de/ausland/interview-frankreich-wahl-103.html
Bruno Bonnell, Ex-Infogrames-Chef (Producer von Alone in the Dark, V-Rally, zig Comic-Umsetzungen für SNES, Mega Drive und Co.) ist nun in die französische Politik eingestiegen. Wir erinnern uns an:
http://www.mobygames.com/developer/sheet/view/developerId,634/
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PS: Und natürlich: Ancel mit der Ankündigung von Beyond Good & Evil 2: https://www.youtube.com/watch?v=cbwUJ468u14
Hoffen wir mal, dass es was wird. :-)
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