Ein Gastbeitrag von Matthias Schillig
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Früher war nicht alles besser

Ich würde mir wünschen, die Menschen lernten entspannter miteinander umzugehen.

Man mag es in Anbetracht meiner jugendlichen Erscheinung kaum erahnen, doch ist es mir vergönnt, schon seit mehreren Dekaden auf diesem Erdenrund zu wandeln. Innerhalb dieser Zeit habe ich es vollbracht, bemerkenswert wenig nennenswerte Dinge zu vollbringen, was vor allem dem Umstand geschuldet sein mag, dass ich den Großteil meines bisherigen Lebens mit Videospielen verbracht habe. Die ersten virtuellen Abenteuer auf dem Sega Master System der Geschwister bestehend, breitete sich meine Interessensphäre schnell in alle Richtungen aus, krakengleich alle elektronischen Unterhaltungsplattformen umklammernd, welche nicht schnell genug aus meiner Reichweite entfernt werden konnten.

Nach vielen Jahren meines Lebens mag ich zynischer und anspruchsvoller geworden sein, doch ist meine Leidenschaft, trotz ihrer etwas anders gearteten Natur noch immer ungebrochen. Es weiß mich wahrlich zu faszinieren, wie sich das Medium der Videospiele weiterentwickelt hat, wie viele Möglichkeiten des Spielens heutzutage existieren und vor allem, welche immensen Anteile der Bevölkerung sich nun der virtuellen Unterhaltung hinzugeben pflegen. Eine Sache jedoch hat mich in der gesamten Zeit begleitet und statt langsam zu verschwinden, scheint derlei heutzutage noch wesentlich verbreiteter zu sein, als zu jenen Zeiten, in denen ich mein Alter in einstelligen Zahlen anzugeben vermochte.

Ich spreche von den extremen Grabenkämpfen zwischen einzelnen Gruppen von Videospielfans. Tatsächlich ist dieses Phänomen unter Menschen ja auch jenseits der Sphäre dieses Hobbys weit verbreitet, jedoch wirkt es in diesem Kontext in besonderem Maße bizarr, ja oftmals schlicht lächerlich.

Zu Zeiten meiner Jugend lernte ich als erstes den Ursprung der Konsolenkriege kennen, welcher zwischen Nintendo- und Sega-Fans ausgefochten und im Zuge der damaligen Werbung (welche ohnehin überaus kuriose Züge anzunehmen wusste) auch von der Industrie befeuert wurde. Nach dem Untergang eines Lagers ebbte das Ganze jedoch nicht ab, sondern wird nun zwischen Nintendo-, Sony- und Microsoft-Jüngern fortgeführt. Damit das Ganze nicht zu übersichtlich wird, mischen als neuer Widersacher nun noch die PC-Spieler mit, denen eine einzelne Feindfraktion nicht genügt, woraufhin sie sich mit allen Konsolenlagern anzulegen pflegen, wenn sie nicht bereits damit beschäftigt sind, untereinander zu entscheiden, wer über die größte symbolische Repräsentation seiner Genitalien verfügt. (In diesem Kontext sei angemerkt, dass wissenschaftliche Studien bewiesen haben, dass jede Nennung der so genannten „PC-Master-Race“ irgendwo auf dem Globus in einer explodierten High-End-Grafikkarte resultiert.)

Daneben bekämpfen sich Anhänger verschiedener Genres oder Fans, die den Namen des einzig wahren Spiels verteidigen müssen: Casual- gegen Pro-Gamer, Sportspielfan gegen Echtzeitstratege, Battlefield gegen Call of Duty.

Um dem Ganzen noch das letzte Sahnehäubchen aufzusetzen, ist es auch überaus beliebt, sich über aktuelle Trends zu beschweren und somit zu fordern, dass die Open-World/Linearität zu verschwinden habe, Shooter natürlich arcadig/realistisch zu sein haben, bei einem Spiel das Gameplay/die Handlung/die Grafik am wichtigsten ist, nur Triple-A-Produktionen/kleine Indiespiele wirklich ernst zu nehmen sind und überhaupt graubraune Trauerspiele/drogeninduzierte Farbenhöllen das Nonplusultra darstellen.

Virtueller Elitismus

So unübersichtlich die oftmals durchaus verbissen geführten Kämpfe der einzelnen Lager untereinander sind, so lassen sie sich letztlich doch auf ein simples Prinzip herunter dampfen: Den Elitismus, d.h. die Annahme, selbst einer höherwertigen Gruppe anzugehören. Daraus resultiert die Annahme, dass es einem nicht nur frei steht, auf den geistlosen Plebs hinab zu sehen, sondern diesem auch lautstark mitzuteilen, dass nur der eigene Weg der korrekte ist und dass die verblendete Mehrheit sich den eigenen Wünschen unterzuordnen hat, da man ja wesentlich besser darüber Bescheid weiß, was gut und richtig ist. Tatsächlich geht es in den wenigsten Fällen wirklich um Inhalte, sondern lediglich darum sich selbst als höherwertig anzusehen oder jedoch eigene Präferenzen anderen aufzuzwingen, um daraus resultierend das Pensum subjektiv erfahrener Lust zu steigern. Kurzum: „Ich bin besser als du.“ oder „Die anderen sollten sein wie ich, damit ich mehr Spaß habe“.

Für mich persönlich muteten diese verbitterten Kämpfe um Banalitäten – wir sprechen hier immerhin über Videospiele und nicht politische Umwälzungen – immer extrem seltsam und unverständlich an. Dies mag daran liegen, dass ich es in meinem Leben stets vermieden habe, mich Gruppen anzuschließen und entsprechend daran gewöhnt bin, dass meine Meinung und Präferenzen im generellen Diskurs keine Relevanz besitzen. Im Kontext der Videospiele habe ich stets auf allen mir zur Verfügung stehenden Plattformen gespielt und frönte Spielen verschiedenster Genres. Tatsächlich hege auch ich starke Vorlieben und Abneigungen, welche ich durchaus auch kundzutun pflege. Allein mir ist hierbei stets bewusst, dass diese subjektiv und nicht auf die Allgemeinheit anzuwenden sind. In den meisten Fällen stehe ich mit meiner Meinung allein da. Doch kann ich mich damit arrangieren, sofern mir diese zugestanden wird.

So sehr ich Videospielen auch zugetan bin, so wenig kann ich es nachvollziehen, in ihrem Namen ernsthafte Konflikte zu führen und regelrechte Agenden zur Veränderung der Videospiellandschaft führen zu wollen.

Die Absurdität des Ganzen wird ersichtlich, wenn man die Grundlogik auf einen anderen Bereich der Banalität anwendet. Man stelle sich einmal vor, Menschen würden sich mit einer ähnlichen Hingabe hassen, weil eine Gruppe blaue Autos bevorzugt und die andere rote oder wenn Menschen, welche eine Gangschaltung nutzen, als neue Herrenrasse/Packvolk gelten. Alle teilen die grundlegende gleiche Leidenschaft, bekriegen sich jedoch in Fragen der Details.

Im Zuge meines Studiums begegnete mir in diesem Kontext ein psychologisches Konzept, welches vereinfacht besagt, dass man am meisten jene zu hassen vermag, die einem selbst extrem ähneln und die nur in unwesentlichen Punkten von einem abweichen, wohingegen man gänzlich andere Menschen als exotisch ansieht und diesen freundlicher gesinnt ist.

Ohne mir anmaßen zu wollen, an dieser Stelle eine psychologische Analyse vorzunehmen, sehe ich in den Konflikten zwischen Videospielfans tatsächlich gewisse Parallelen zu Konfessionskriegen zwischen Katholiken und Protestanten oder banalen Unterschieden zwischen kulturellen Gruppen, welche in einem ganzen Völkermord enden können. Da man einander so sehr ähnelt und nur in Nuancen voneinander abweicht, ist man auf diese Weise dazu befähigt, umso vehementer die eigene Position zu verteidigen.

Selbstreflexion und ihre Folgen

Doch wie soll man nun weiter verfahren? Jenen, die sich ausschließlich um des Streitens willen mit anderen anlegen, kann nicht wirklich geholfen werden. Sie bedienen sich lediglich des Vehikels der Videospiele um ihr eigenes Unvermögen in gewalttätige Bahnen zu lenken. Ein Hooligan interessiert sich in den wenigsten Fällen für Fußball.

Meine Worte gelten all jenen Verbesserern virtueller Welten und digitalen Revoluzzern, die es sich zur Aufgabe machten, der Welt die Gnade ihrer Erleuchtung zuteil werden zu lassen. All jene sollten sich zunächst einmal darüber klar werden, worum es in letzter Instanz geht – Videospiele. Im Zentrum steht eine vergnügliche, verglichen mit anderen Bereichen des Lebens jedoch überaus banale und bedeutungslose Tätigkeit. Wäre es nicht wesentlich effizienter, die offensichtlich vorhandene und überbordende Energie in produktivere Konflikte zu investieren, welche das Leben der Menschen besser zu machen imstande sind?

Man verstehe mich nicht falsch. Mir ist mitnichten daran gelegen, den generellen Diskurs zu unterbinden und eine Ära ewiger Harmonie auszurufen. Vielmehr möchte ich auf etwas hinweisen, was ich selbst erst im Laufe meines Lebens erlernen musste.

Auch wenn ich mit tiefster Inbrunst einen Gedanken hege, so bleibt dieser stets der eigene, selbst wenn ich ihn noch so lauthals postuliere. Menschen, welche von sich behaupten, die einzige Wahrheit zu kennen, sind immer verdächtig und besitzen nie die Kenntnis eben jener. In diesem Sinne soll die blinde Wut in eine Interaktion münden. Nicht im Erzwingen, sondern im Erkenntnisgewinn durch die Diskussion muss die Zukunft liegen. Um jedoch eine solche produktiv führen zu können, ist es nötig, sich der rechten rhetorischen Mittel zu bedienen, auf Generalisierungen zu verzichten und kenntlich zu machen, dass man lediglich die eigene Perspektive darzulegen versucht. Wie anders klingt doch „Meiner Meinung nach sind MOBAs nicht spannend.“ im Vergleich zu „MOBAs sind per se nicht spannend.“

Um diesen Grad der rhetorischen Finesse erreichen zu können, bedarf es jedoch einer letzten Sache, eines bemerkenswerten Geheimnisses, das zu suchen mich viele Jahre meines Daseins beraubte, bis es mich letztlich ein weiser Einsiedler hoch oben auf einem einsamen Gipfel lehrte…

Gelassenheit

Machen wir uns doch noch einmal deutlich, dass wir alle teilhaben an einer einzigen großen Leidenschaft, einem gemeinsamen Interesse, dem ein jeder von uns aus anderen Gründen nachgehen mag, das uns jedoch vereinen sollte und nicht trennen. Gönnt dem anderen seinen Spaß und versucht nicht alles Abweichende mit dem Hammer der Generalisierung platt zu hauen. Es ist doch bedeutungslos, welche Plattform, welches Genre oder welches Spiel der einzelne bevorzugt, sofern er Freude daran zu finden vermag. Denn in letzter Instanz sind Videospiele vornehmlich Konsumprodukte zum Zwecke der Unterhaltung. Entsprechend ist es doch sehr unsinnig, Kritik an dem Umstand zu üben, dass die besonderen Merkmale eines Titels dazu führen, dass er sich gut verkauft und Menschen Spaß an der Interaktion mit Selbigem finden, auch wenn man selbst keinen Zugang dazu finden mag. In dem breit gefächerten Feld der Videospiele steht es einem jeden frei, sich eine Nische nach eigenen Vorlieben einzurichten. Diese Freiheit kann jedoch nur gewährleistet werden, wenn man auch anderen eben jene Wahlmöglichkeit zugesteht.

Dabei ist es durchaus normal, nicht Teil der Mehrheit zu sein. Aus eigener Erfahrung kann ich nur erneut betonen, dass dies das Leben nicht schlechter macht. Elitäres Denken dient letztlich nur dazu, das eigene Ego zu streicheln und Generalisierungen führen nirgendwohin.

Und so wünsche ich mir, dass die Videospieler lernen, entspannt miteinander umzugehen und die immense Heterogenität zu feiern, anstatt diese in eine Homogenität nach eigenen Präferenzen umwandeln zu wollen. Denn letztlich ist es doch die Heterogenität, aus der der Fortschritt erwächst, den wir uns alle herbeisehnen.

Also sprach Nocthurn (aus seiner bescheidenen subjektiven Perspektive, lediglich persönliche Präferenzen wiedergebend): Steigt nieder von euren Podesten und ergeht euch in einem weiten Ozean der Möglichkeiten!


Der Autor: 

Matthias „Nocthurn“ Schillig (@Nocthurn) img_0577profil
Schreibt auf Xeperium.

Daheim im beschaulichen Sondershausen im Norden Thüringens, mit Lovecraft, Poe und Nietzsche im Bücherregal, und Metal in allen Schattierungen von Schwarz im Musikspieler, ist der etwas enigmatische Matthias aka. Nocthurn unser Mann für alles Dunkle. Jahrgang 1986, hat Matthias Politikwissenschaften und Philosophie studiert und über Videospiele zum literarischen Schreiben gefunden. Einige seiner sprachgewaltigen Fantasywelten lassen sich auf seinem Blog entdecken, daneben auch ein Tagebuch zu No Man’s Sky, in dem er beide Interessen gekonnt miteinander verbindet. Matthias hat eine Schwäche für Videospielsoundtracks und spielt am liebsten Strategie- und Rollenspiele.