Ein Gastbeitrag von Roberto Kracht
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Genau wie Filme, Bücher oder Musik werden auch Videospiele nicht von Robotern in irgendwelchen Fabriken erschaffen, sondern von Menschen, die das Werk durch ihre Persönlichkeit und ihre Erfahrungen nachhaltig prägen. Und spätestens jetzt, wo das Medium auch endlich anfängt, die inhaltlichen Ketten eines reinen Entertainment-Produkts abzuschütteln, sollte man eigentlich erwarten, dass auch die herausragenden Menschen hinter den Projekten als solche anerkannt werden, oder?
In den Neunzigern, als Videospiele die dritte Dimension eroberten und man allmählich begann, sie nicht mehr nur als reines Spielzeug für Kinder und „Freaks“ zu betrachten, rückten auch die Entwickler mehr ins Rampenlicht. Einer von ihnen war der junge John Romero. Zusammen mit dem Programmierer-Genie John Carmack und einem kleinen Team namens id Software hatte er DOOM geschaffen, das zu einem globalen Phänomen wurde und nicht nur andere Entwickler, sondern die gesamte Popkultur beeinflusste. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die ihren Erfolg eher im Stillen genossen, avancierte er daraufhin mit seinem exzentrischen Auftreten und einer guten Portion Charisma zu einer Art Rockstar der Videospielwelt. In Europa hatte man zum Beispiel Peter Molyneux, der zwar im Vergleich mit Romero geradezu bieder wirkte, aber vor Ideen nur so sprühte und der Welt mit einem ähnlichen Enthusiasmus von seinen Projekten erzählte.
Jener Enthusiasmus und der Hang dazu, den Medien und Fans mit beinahe kindlicher Freude von Ideen zu erzählen bevor überhaupt klar ist, ob sie es auch wirklich ins fertige Spiel schaffen, wurde ihnen dann auch zum Verhängnis. Nachdem die ersten Spiele nicht mehr die Erwartungen der Fans erfüllen konnten, sah man sie nämlich nicht als Künstler, die einen Blick in den kreativen Prozess gewährten, sondern als Vertreter, die ihnen mit falschen Versprechungen ein mieses Produkt aufschwatzen wollten. Da verwundert es auch nicht weiter, dass bis heute nur wenige Entwickler die öffentliche Galionsfigur ihres Studios sein wollen. Natürlich gibt es nach wie vor schillernde Persönlichkeiten wie etwa Hideo Kojima (u.a. Metal Gear, Policenauts), Cliff Bleszinski (u.a. Unreal, Gears of War) oder Hideki Kamiya (u.a. Bayonetta, Resident Evil 2), die sich von der Shitstorm-Kultur nicht beeindrucken lassen und vergleichsweise öffentlich leben und arbeiten, aber es sind eben doch nur wenige.
Die neuen Helden
Wer heute mit Games zu einem gefeierten Star werden will, der ist paradoxer Weise offenbar viel besser damit beraten, sie einfach nur zu spielen statt selbst welche zu erschaffen, denn die Spielergemeinde hat die sogenannten Influencer und eSport-Athleten zu ihren neuen Helden auserkoren. Die Meinungen von PewDiePie, Totalbiscuit, Gronkh und Co. wiegen bei den meisten Spielern viel schwerer als die Intentionen und Strapazen der Entwickler. Dass ihre Götter in der Regel deutlich mehr Entertainer als ernsthafte Kritiker sind, stört dabei nur die wenigsten. Ohnehin wird bei Influencern und Entwicklern offenbar gern mit zweierlei Maß gemessen. Wenn sich Entwickler wagen, in ihren Spielen auch mal schwierige Themen wie Politik, Sexismus oder queeres Leben anzusprechen, dann führt das nicht selten zu einem Aufschrei und Aufrufen zum Boykott, da man ihnen offenbar keine eigene Meinung zugesteht, vor allem nicht dann, wenn sie diese auch noch in ihrem Werk kundtun wollen. Bei den Influencern wird das öffentliche Verbreiten persönlicher Meinungen hingegen als Zeichen von Authentizität gewertet, oft selbst dann noch, wenn es sich um eher fragwürdige Äußerungen handelt. Man sieht sie weiterhin als die netten Typen von nebenan, die einfach nur Spiele spielen und eine ehrliche Meinung dazu abgeben, dass aber die Influencer längst selbst zu einem Produkt geworden sind, scheinen dabei viele zu ignorieren.
Die meisten Influencer sind natürlich auf Youtube und erreichen dort die meisten ihrer Fans. Entwicklerpersönlichkeiten teilen sich hingegen vor allem über Blogs, Interviews und Twitter mit, weshalb ich den Kurznachrichtendienst für einen kleinen Vergleich der Reichweiten von Entwicklern und Influencern herangezogen habe:
Natürlich ist dies nur eine kleine Auswahl an Gaming-Persönlichkeiten, die auf Twitter ihre Meinungen kundtun, aber man sieht, dass die Influencer hier klar die Oberhand haben. Selbst ein rein deutscher Youtuber wie Gronkh erreicht (zumindest auf Twitter) offenbar weit mehr Leute als Entwickler-Legenden wie John Carmack oder Cliff Bleszinski, die wiederum eine relativ große Reichweite haben, wenn man sie mit ihren Kollegen vergleicht.
Im Auge des Shitstorms
Während erfolgreiche Schauspieler, Musiker und Autoren auf den roten Teppichen dieser Welt gefeiert und vom Publikum bewundert werden, können die Schöpfer von Videospielen oft schon froh sein, wenn sie die Veröffentlichung ohne Morddrohungen überstehen. Für viele Spieler sind die Menschen hinter dem Spiel nämlich erst dann von Bedeutung, wenn es ein Problem gibt, oder besser gesagt, wenn etwas nicht so ist, wie der Spieler es will. Doch selbst dann nehmen sie die Entwickler nicht etwa als das wahr, was sie sind, nämlich menschliche Wesen. Wesen, die auch mal Fehler machen und die neben ihrer Arbeit als Entwickler vielleicht auch noch ein Privatleben mit Familie haben. Vor allem aber nehmen sie die Entwickler nicht als Künstler wahr, die ihre eigenen Ideen und Träume verwirklichen oder gar Kritik an Politik und Gesellschaft üben wollen, statt einfach nur ein Produkt an glückliche Kunden zu verkaufen.
Da stellt sich natürlich die Frage, wie diese wachsende Anti-Entwickler Kultur eigentlich entstehen konnte, denn gleichzeitig sind Spiele ja heute beliebter als jemals zuvor. Die Antwort darauf könnte vermutlich gleich mehrere Artikel füllen, aber ich glaube, ein Teil davon findet sich in ebenjenem Aufstieg in den Mainstream. Obwohl Spiele heute viel komplexer sind und die Mehrheit der Spieler nach wie vor keinen blassen Schimmer vom Entwicklungsprozess hat, betrachtet man sie nicht mehr als etwas „Magisches“, sondern meist als gewöhnliches Unterhaltungsprodukt. Und es kritisiert sich eben viel leichter, wenn man die Arbeit der Entwickler für gewöhnliches Handwerk statt für Zauberei hält. Hinzu kommt, dass sich die Spieler durch das Internet und vor allem die Sozialen Netzwerke viel leichter Gehör verschaffen und sich vernetzen können, was sowohl zu konstruktivem Feedback und Mundpropaganda führen als auch in Shitstorms ausufern kann. Von der Hölle, die wir Steam-Foren nennen, will ich hier gar nicht erst anfangen. Ein weiteres Puzzleteil ist sicher auch die moderne Hype-Kultur der Branche. Mit millionenschwerem PR Budget wird so manches Spiel da ganz gezielt zum nächsten digitalen Messias aufgebauscht, um die Vorbestellungen und Launch-Verkäufe in die Höhe zu treiben, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass dieses Spiel mit den Erwartungen des Publikums mal zu einem Bumerang werden könnte.
Etwas mehr Respekt, bitte
Ich will nicht sagen, dass die Spieler heute die falschen Götzen anbeten oder die Influencer nicht auch das Medium oder besser gesagt die Kultur um das Medium herum positiv beeinflussen können, aber sollten die Kritiker und Kuratoren eines Mediums wirklich einen höheren Stellenwert als die Künstler genießen? Natürlich gibt es schwarze Schafe, die mit ihrem Projekt durchaus zu Recht untergegangen sind, nachdem sie sich mit einem Influencer angelegt haben, aber dieser immense Einfluss auf Erfolg und Misserfolg eines Entwicklers trifft eben nicht immer nur Teams, die „es verdient haben“. Auf jeden Fall sollte die Spielergemeinde endlich damit aufhören, die einen als ehrliche Kumpels von nebenan zu betrachten und hinter jedem fehlerbehafteten Spiel gleich gewissenlose Betrüger zu vermuten. Etwas mehr Empathie, Respekt und selbstständiges Denken wäre angebracht, aber daran scheint es ja leider auch außerhalb unserer kleinen Nerd-Blase zu mangeln.
Der Autor: 
Roberto Kracht (@polygonien)
Schreibt auf Polygonien.de und fungiert als Co-Admin von SEGA-DC.de.
Ein Klassiker: Roberto lebt in Berlin, hat was mit Informatik gelernt und macht nun was mit Medien. Mit mehr als 4.000 Spielen in seiner Steam-Library und weit mehr als 1.000 in Kartons und Regalen, hat der Endzwanziger die wohl größte Spielesammlung von allen, die ich kenne. Auf Polygonien.de rückt er vor allem die weniger bekannten, die verschollenen und kleinen unabhängigen ins Rampenlicht. Wenn er gerade nicht videospielt und sammelt, spielt der Vater von zwei Katzen Fußball und hört gern harte Rockmusik. Co-Admin der größten deutschsprachigen Dreamcast-Seite ist er obendrein.
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Dies kann ich nur in Gänze unterschreiben. Der Umstand, dass es im Videospielbereich nach wie vor einen solch extremen Hass gibt, zeigt leider auch, dass die Werte in unserer modernen Gesellschaft definitiv falsch gewichtet sind. Man stelle sich vor, der wütende „Nerd-Mob“ würde seine Energie auf die Anprangerung echter Missstände verwenden, anstatt wieder einmal Morddrohungen an Videospielentwickler zu schicken.
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Amen.
Konsumieren ist leider nun mal leichter als selbst Erdenken und Entwickeln. Schon zynisch: Die Influencer haben allein nur deshalb die Zeit dafür, die Spiele zu spielen, die sie dann auseinandernehmen, weil sie nicht die Zeit erübrigen müssen, sie selber zu kreieren. Das Problem kennen wir aber auch aus anderen Medien: Erinnern wir uns nur an Walsers „Tod eines Kritikers“ :)
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Im Übrigen finde ich die Kanalisierung der Wut-Energien in eine gesellschaftlich (für alle) relevantere Richtung – wie Nocthurn es vorschlägt – eine hervorragende Idee! Kann da nicht jemand mal eine Maschine zu erfinden? :)
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Ein schöner Artikel, der mir auch die mir fast völlig unbekannte Influencer-Szene etwas näher gebracht hat. Die Statistik finde ich außerordentlich interessant!
Ich glaube allerdings, dass neben den schon genannten Gründen auch der Fokus der Industrie (und damit des Marketings, und damit der Konsumenten) auf Franchises bzw. IPs anstelle der Schöpfer eine Rolle spielt. An den Shitstorms würde eine Umkehr dieser Praxis vermutlich nicht direkt etwas ändern (weil die, im Unterschied zu den „normalen“ Fanboys, vermutlich auch dann keinen Respekt vor einem Schöpfer hätten, wenn sie ihn denn kannten). Außerdem kann man in der gegenwärtigen relativen Unbekanntheit der Schöpfer auch einen Vorteil sehen, nämlich den, dass sie abseits etwaiger Shitstorms relativ ungestört ihre Arbeit machen und ihr Privatleben leben können. Andererseits können das die meisten Star-Schriftsteller aber auch – obwohl ihre Namen größer als die Buchtitel auf den Covern stehen. Insofern ist Popularität und Startum, wie man es aus der Film- und Musikindustrie kennt, aber auch von Romero, ohnehin nicht gleichzusetzen.
Und natürlich muss man auch bedenken, dass Videospiele nur selten von Einzelpersonen, sondern von immer größeren Teams erschaffen werden. Mitunter gibt es diese Kult um einzelne Studios ja auch. Ich habe allerdings den Eindruck, dass er in den letzten 20 Jahren, seit ich Spiele spiele und darüber lese, eher abgeflaut ist. Hier mag auch eine Rolle spielen, dass es immer mehr Studios gibt und dass die Strukturen der Industrie generell ziemlich schnelllebig sind, aber die Fixierung auf IPs scheint auch immer stärker zu werden.
Eine Spätfolge dieses Studiokults ist wohl auch, dass viele der ganz kleinen Indie-Entwickler, d.h. solche, die allein oder zu zweit an einem Spiel arbeiten, nichtsdestotrotz dazu tendieren, sich den Namen eines „Entwicklerstudios“ zuzulegen statt unter ihrem Personennamen aufzutreten.
Doch zurück zur großen Industrie. Abgesehen von den schon genannten Ausnahmen scheint den Directors und Producers hier allzu oft die Rolle des Erfüllungsgehilfen zuzukommen, statt die des schöpferischen Kreateurs. Er steht dann vor der Aufgabe, dem ihn anvertrauten Franchise zugleich (!) treu zu bleiben und es zu revolutionieren. Die meisten Spieler merken dann nicht einmal, wenn bei der Fortsetzung des geliebten Franchises der Director gewechselt hat, etc. Das ist aber nicht nur der Ignoranz der Spieler zuzuschreiben, sondern auch die Schuld der Publisher sowie der Fachpresse, deren Mainstream den Beitrag einzelner Entwicklerpersönlichkeiten so gut wie gar nicht kommuniziert.
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An Filmen arbeiten aber auch sehr viele Leute, wenn man es ganz genau nimmt ;) Allerdings hatte ich das natürlich auch schon im Hinterkopf und vor allem die Tatsache, dass die Entwickler halt in der Regel nicht selbst in ihren Werken zu sehen oder hören sind. Schriftsteller jedoch für gewöhnlich auch nicht und trotzdem gibt es dort Stars. Eine einfache Erklärung gibt es also offenbar nicht, aber vielleicht versucht ja mal jemand, das weiter zu ergründen.
Deinen Eindruck, dass es immer mehr Studios gibt, kann ich nicht teilen. Klar, es gibt unendlich viele Indies, aber die Anzahl größerer Studios ist, zumindest gefühlt, in den letzten Jahren eher gesunken. Sowohl Sony als auch MS haben viele Studios geschlossen, die in der letzten Generation noch ihre Konsolen mit Exklusiv-Titeln belieferten und mittelgroße Studios und Publisher sind reihenweise verschwunden, weil man anscheinend nur noch mit Blockbuster oder Indies überleben kann, für alle Projekt dazwischen gibt es wohl keinen Markt mehr.
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Hmm. Eigentlich hatte ich das irgendwo geschrieben, dass an Filmen ebenfalls, oder erst recht, eine ganze Menge von Leuten beteiligt sind. Irgendwie muss ich den Halbsatz da versehentlich wieder gelöscht haben… Du hast natürlich Recht. Dennoch ist der Fokus auf IPs in der Filmindustrie noch längst nicht so stark wie in der Spieleindustrie, obschon die Tendenz – vielleicht auch durch die Spieleindustrie beeinflusst? – auch dort mehr und mehr zu beobachten ist. Außerdem werden Star-Schauspieler selbst wie Marken inszeniert, weshalb, wie ich schon sagte, ein simpler Wechsel von IP zu Schöpfer das Problem noch nicht lösen würde.
Du magst schon recht haben was die Zahl der Studios anbelangt. Mein Vergleich beruhte auch eher auf den spätern 90ern. War aber ohnehin nur ein Gefühl. Oder es liegt daran, dass die Studios generell kurzlebig sind. Denn auch wenn sie geschlossen oder zusammengelegt werden, die Entwickler verschwinden ja nicht einfach, sondern fangen woanders an, in neuen Studios, etc. Insofern hab ich – rein subjektiv – auch den Eindruck, dass Studios generell weniger lang Bestand haben. Eine Restrukturierung da, eine Gruppe von Entwicklern die kündigen um ein eigenes Studio zu gründen dort… Co-Produktionen, die sich nicht einem einzigen Studio zuordnen lassen, oder Studios die – wie man es aus der Filmindustrie kennt – nur für ein einziges Projekt aufgebaut und dann wieder aufgelöst werden… Da scheint mir ziemlich viel im Wandel, was (um auf meine Ursprungsthese zurückzukommen) dazu führt, dass dieser Studiokult, den ich noch in den 90ern und den frühen 2000ern als sehr stark empfand, nicht mehr gedeihen kann.
Dass zwischen Blockbuster und Indie kaum noch ein Markt existiert, das kann ich unterschreiben. Und das macht es für Einzelpersönlichkeiten natürlich auch schwierig. Im AAA-Bereich werden sie von der Macht des Franchises unterdrückt, während die Indie-Szene diesen Star-Status kaum hergeben kann.
Ich hab es mir schon vor einiger Zeit zur Regel gemacht, die zu befolgen ich mich bessern sollte, dass ich, wann immer ich über ein Spiel spreche, versuchen möchte, maßgeblich daran beteiligte Personen auch namentlich zu erwähnen. Würde man bei Büchern, Musik fast immer machen und auch bei Filmen ist es Gang und Gäbe, zumindest den Regisseur zu nennen. Meine Idee dahinter ist einfach erstmal die, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, das Individuen hinter diesen Entwicklungen stecken, Leute, die ihre eigenen Werdegänge und Vorstellungen mitbringen.
Früher in der GEE gab es immer umfangreiche Interviews mit Entwicklern wie Warren Spector, American McGee, etc. Die fand ich unheimlich spannend, weil dort kaum über einzelne Spiele gesprochen wurde, sondern die Entwicklerpersönlichkeit im Mittelpunkt stand. So etwas macht natürlich nur bei den Leuten wirklich Sinn, die eine gewisse Popularität schon mitbringen. Dennoch: mehr davon!
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