Das Jahr 2016

Mit 2016 nähert sich ein Jahr seinem Ende, das in den Augen vieler von Ereignissen bestimmt war, die guten Grund zum Pessimismus bieten. Dass demgegenüber kein Mangel bestand an eindrucksvollen, oftmals innovativen und nicht selten kontroversen Spielen, ist ein Umstand, der den Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung in ihrer Gesamtheit ganz selbstverständlich nicht aufwiegen kann, der vor diesem Hintergrund aber auch nicht ohne Bedeutung ist: Die in den letzten zwölf Monaten erschienen Spiele und ihre Rezeption im Besonderen sind auch deshalb so interessant, weil sie mit all ihren Widersprüchen und ihren zahllosen gegenläufigen Entwicklungen ein Spiegelbild gesellschaftlicher Diskurse und Veränderungen im Kleinen sind.

Nach meinem Empfinden dürfte das Jahr 2016 mit Blick auf die seit Januar erschienenen Spiele und auch ohne scharfe Paradigmenwechsel innerhalb der Videospielkultur (wie sie mit einer zunehmenden Ausdifferenzierung des Mediums ohnehin zunehmend unwahrscheinlicher werden) zu den interessantesten dieses Jahrzehnts zählen. Dieser erfreulichen Entwicklung entgegen läuft die fortgesetzte Dominanz einer etablierten wie beschränken Form des Journalismus über Spiele, die den Entwicklungen, die das Medium in den vergangenen Jahrzehnten genommen, und dem kulturellen und gesellschaftlichen Stellenwert, den es erreicht hat, schon lange und in stetig zunehmendem Maße nicht mehr gerecht wird, die stattdessen charakterisiert ist durch überholte Prioritätensetzung und einem unkritischen und passiven Umgang mit den Mechanismen der Spieleindustrie zum einen und einer insularen Konsumentenspezies zum anderen.

Es ist mehr als nur bedauerlich, wie gerade der institutionalisierte Spielejournalismus daran scheitert, die ebenso notwendige wie real existierende Weiterentwicklung des Mediums konstruktiv zu begleiten und wie er dieser Entwicklung im Sinne einer Weiterentwicklung immer häufiger sogar im Weg steht – sei es aus falscher Bescheidenheit und in Unkenntnis des eigenen Einflusspotentials, oder sei es in der profanen und kurzsichtigen Absicht, eine alteingesessne Leserschaft zu befriedigen, die als die selbsternannten Hüter einer konservativen Vorstellung dessen auftreten, was Spielejournalismus zu leisten hat, und einer Form huldigen, die als historisch erwachsener Rezensionstypus sehr wohl ihre Legitimation hat, die in der gegenwärtigen Epoche der Videospielgeschichte aber weder die einzige, noch die einzig richtige sein kann – und ganz besonders nicht die, der die Kulturform Videospiel gegenwärtig am dringendsten bedarf.

In Anbetracht dessen macht es gleichwohl optimistisch, dass sich – doch immerhin – die Entwicklung im Schreiben über digitale Spiele vermutlich nie zuvor in ihrer Geschichte so dynamisch gestaltete wie heute. Dass sie von einem Nonkonformismus und einer stetig wachsenden Reife geprägt ist, die Texte voll von Originalität und Tiefe hervorbringt, die der Vielfalt des Mediums, das fast alle ihr Vertreter so sehr lieben, endlich angemessen ist. Wer sich auf die Suche begibt, stößt auf eine Mannigfaltigkeit an inhaltlichen, konzeptionellen und methodischen Strömungen, die einander nur dort ausschließen, wo die Kulturform Spiel selbst nur als Stückwerk betrachtet wird (und wer, der Spiele liebt, kann das schon wollen).

Nur um es einmal klar zu sagen: Videospiele als eigenständige Kulturform sind dabei, eine Qualität zu erlangen, die ihnen erlaubt, mindestens das selbe Spektrum von Themen und Gefühlen anzusprechen, und Gesellschaft und Individuum in mindestens dem selben Maße zu formen, wie es die Literatur seit Jahrhunderten getan hat und wie es etwa der Film nur um einige Jahrzehnte länger tut als die Kulturform Videospiel. Es ist dies der Grund, weshalb die Frage nach der Art und Weise, wie wir über digitale Spiele schreiben und sie rezipieren viel mehr als eine Fußnote ist, die im Elfenbeinturm einiger weniger Spezialisten und in den bodenlosen Abgründen einer wuterfüllten Anonymität zu Prominenz gelangt, sondern eine Frage von Bedeutung für die gesamte kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung im 21. Jahrhundert: Es geht ein Jahr zu Ende, das in vieler Augen von Ereignissen bestimmt war, die allen Grund zum Pessimismus bieten. Ein Jahr aber auch, in dem mehr Menschen mehr Zeit mit digitalen Spielen verbracht haben, als irgendwann zuvor.

Bestandsaufnahme

Im April habe ich SPIELKRITIK gestartet mit der Absicht, einen kleinen Beitrag zur Entwicklung einer progressiven Art der Videospielkritik zu leisten, ohne mich dabei auf eine ganz bestimmte Methodik zu beschränken. Eine zeitgemäße Form des Sprechens über Spiele ist das Ziel, die den Entwicklungen, die das Medium in den vergangenen Jahrzehnten ästhetisch wie auch gesellschaftlich genommen hat, gerecht wird. Eine Form des Sprechens über Spiele, die besser charakterisiert wird, durch das, was sie nicht ist: Kurzlebige Kaufberatung mit numerischen Wertungskästen, altbackener IP-Fetisch, oder aber das unkritische Nachplappern von Hype-orientierten Non-News.

Im Sinne eines Begriffsverständnisses analog zur Film- oder Literaturkritik, wollte ich mit der Namensgebung von Spielkritik.com immer schon auf zweierlei verweisen: Auf eine zeitgemäße kritische Betrachtung von einzelnen Spieletiteln zum einen, zum anderen auf die Problematik der „Spielkritik“ selbst: eine Auseinandersetzung mit ihrer spannenden Geschichte, mit den daraus resultierenden, gegenwärtigen Problemen, aber gleichermaßen ihren wunderbaren Möglichkeiten. Diese zweite Denotation des Wortes Spielkritik war ein Themenschwerpunkt, der nicht nur in meinen eigenen Artikeln hin und wieder durchklang – sondern auch und ganz besonders in den allwöchentlichen Leseempfehlungen. Von Beginn an war „Lesenswert“ eine feste Rubrik auf Spielkritik.com, in deren Rahmen ich ganz allgemein auf die vielgestaltige Wirkung und Bedeutung von digitalen Spielen hinweisen wollte (und sich daher auch ein No Man’s Sky Tagebuch oder Fotos aus einem Pokémon-Café in Singapur unter den Links wiederfinden) – vor allem aber auf qualitativ herausragende Artikel abseits des oben genannten Konglomerats aus Metascores, Rankings und Pre-Release-Hypes.

Es war nicht abzusehen, dass sich gerade die Arbeit an dieser Rubrik – eine Arbeit, die logischerweise vor allem im Sichten von empfehlenswerten Inhalten bestand – zu einer der spannendsten und wertvollsten Erfahrungen im Rahmen meiner Arbeit an SPIELKRITIK entwickeln würde. An die Seite des Verfassens und Veröffentlichens von eigenen Artikeln und dem Umgang mit dem Feedback trat somit ein Prozess des Stöberns, Lesens und Neu-Denkens, des Entdeckens fremder Perspektiven und mir kaum bekannter Themen, und schließlich auch des Kennenlernens einiger Autoren und Autorinnen dahinter. Obschon ich glücklicherweise nie davon ausgehen musste, mit meiner Haltung zum Schreiben über Spiele allein dazustehen, so zählten die sich entwickelnden Kontakte mit anderen Autoren zu den spannendsten und motivierendsten Erfahrungen in den acht Monaten seit dem Start von Spielkritik.com.

Gastspieler

Doch damit genug der Vorrede.

Es ist mir eine ganz besondere Freude, an dieser Stelle die bisher umfangreichste Artikelserie in der kurzen Geschichte von Spielkritik.com ankündigen zu dürfen. GASTSPIELER – ein Special, das gleichermaßen das Ergebnis der Entwicklungen der letzten acht Monate ist, als auch einen Ausblick auf das nächste Jahr eröffnen soll: Zum ersten Mal haben andere Autoren als ich selbst eine Anzahl von Artikeln für SPIELKRITIK geschrieben, die zu veröffentlichen ich die Ehre habe und die Spielkritik.com um Themen und Perspektiven bereichern werden, die über das bisher hier zu Findende weit hinaus gehen.

Neun talentierte Autorinnen und Autoren sind meiner Einladung gefolgt – ein unerwarteter und ganz und gar überwältigender Zuspruch, der mir nicht nur gezeigt hat, dass ich mit SPIELKRITIK offenbar auf einem guten Wege bin, sondern dem auch zu verdanken ist, dass sich eine fixe Idee mit der Hoffnung auf zwei oder drei Gastartikel in wenigen Wochen zu einer echten kleinen Initiative mit Event-Charakter entwickelt hat: Beginnend ab der nächsten Woche und bis in den Januar hinein werdet ihr die so entstandenen Gastartikel auf Spielkritik.com lesen dürfen.

Im Allgemeinen bin ich mit meinen Einladungen keiner bestimmten Programmatik gefolgt und habe schlicht dann aufgehört, als die Zahl der Zusagen eine kritische Größe erreicht hatte. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Interessen und Perspektiven, das besondere Wissen und schreiberische Können der beteiligten Autoren, die ich euch in einem separaten Artikel noch näher vorstellen darf. Versichern kann ich allerdings, dass keine der Einladungen allein zum Selbstzweck erfolgte, sondern dass es für die Auswahl eines jeden Einzelnen individuelle gute Gründe gab und ich von allen Gastautoren bereits ganz exzellente, inspirierende Artikel habe lesen dürfen. Meine Philosophie ist ohnehin die, dass eine moderne Spielkritik nicht das Ende, sondern der Anfang einer Betrachtung sein sollte – nicht Abschlusstest und dann nichts mehr, sondern Anstoß für weitere Expeditionen und Ausgangspunkt für das Wandern auf bislang kaum beschrittenen Pfaden. Sollte dem Gastautoren-Special dieses gelingen, so hätte es sein Ziel schon mehr als erreicht.

Ich freue mich, Spielkritik.com mit GASTSPIELER spektakulär ins neue Jahr zu geleiten, den wunderbaren Gastautoren zahlreiche Leser und einige Aufmerksamkeit verschaffen zu dürfen, und euch, den Lesern, beste Unterhaltung und überraschende Perspektiven während der Feiertage und im neuen Jahr. Nicht zuletzt hoffe ich, dass es im einen oder anderen Falle nicht bei einem Gastspiel bleibt und SPIELKRITIK im nächsten Jahr noch mehr zu einem Ort wird, der lesenden Spielern und spielenden Autorinnen gleichermaßen einen Grund gibt, regelmäßig vorbeizuschauen und sich zu beteiligen.

In diesem Sinne wünsche allen Besuchern von Spielkritik.com eine schöne Weihnachtszeit, unvergessliche Erfahrungen mit alten und neuen Spielen, und einen guten Rutsch ins nächste Jahr!

Informationen zu unseren GASTSPIELERN und die ersten Gastartikel gibt es ab dem 19. Dezember.