Garcian: What is ‚United States‘? What is the purpose of the President?
Matsuoka: I’m Japanese, how the hell should I know?

Eine Besonderheit von Killer 7, auf die ich an dieser Stelle gern eingehen möchte, ist seine dezidiert politische Natur. Damit meine ich nicht seine an anderer Stelle bereits angesprochene, gesellschaftspolitisch zu untersuchende Darstellung von Minderheiten, sondern der Umstand, dass politischen Systeme, Institutionen und Parteien als Handlungsmittelpunkt hervortreten. Von welchen (spielmechanisch vergleichbaren) Titeln lässt sich das schon sagen?

Für mich als unbedarften Mitteleuropäer, der Killer 7 zum ersten Mal in einem Alter gespielt hat, in dem mir die Gesetzmäßigkeiten der US-amerikanischen Demokratie allenfalls in stark vereinfachter Form bekannt waren, war es recht verwunderlich, im Nachhinein festzustellen, dass sich gar nicht wenige amerikanische Spieler durch die in Killer 7 zum Ausdruck gebrachte, ziemlich abstrakte Kritik am amerikanischen Wahl- und Regierungssystem angegriffen fühlten und in diesem Punkt einen zu bemängelnden Aspekt des Spiels erkannten. In der Tat ist es nicht zu weit hergeholt, Killer 7 als Antwort auf anti-japanische Gesinnungen zu sehen, wie sie in Crichtons Erfolgsroman Rising Sun (dt. Nippon Connection) und ähnlichen Werken zum Ausdruck kommen. In Wahrheit ist Killer 7 sicherlich nicht anti-amerikanisch, besitzt allerdings den Mut, nationale Befindlichkeiten anzusprechen und ggf. auch zu verletzen. Für die japanischen gilt das genau so.

Eine besondere Leistung von Killer 7 ist dann auch die, dass es politische Referenzen nicht allein als schmückendes Beiwerk und leidlich legitimierenden Erzählhintergrund gebraucht, wie es Actiontitel sonst gern tun, sondern dass Politik als solche den Kern seiner Handlung bildet. Was der Spieler an Action zu sehen und zu steuern kriegt, ist in diesem Fall tatsächlich einmal nichts anderes, als die Fortsetzung von Politik mit den Mitteln des Shooters. Die rivalisierenden Parteien und Auftraggeber in Killer 7 sind keine schwer bewaffneten Warlords, sondern die Vertreter einer verkommenen Politelite, die im Organhandel verstrickt sind wie sie Squash spielen.

Religion, als ein weiterer Themenschwerpunkt, setzt sich in Killer 7 in Richtung des religiösen Fundamentalismus bis hin zum Terrorismus fort; und während es in der Post-9/11-Ära mehr denn je Spiele gab, die ihre Konsumenten gegen Terroristen ins Feld schickten, ist die Perspektive von Killer 7 auch hier eine etwas andere. Die sogenannten Heaven Smiles sind Terroristen von der selbstmörderischen Art, doch der Nihilismus, den sie repräsentieren, und woher sie kommen, unterscheidet sich grundlegend vom islamistischen Terrorismus bzw. von dessen Darstellung in den Medien. Falls der Begriff „postmoderner Terrorismus“ irgendeinen Sinn ergeben sollte: Die Heaven Smiles praktizieren ihn.

Kun Lan: The size of the world has changed. It’s changed to the size where you can control it with your hands just like a PDA.

Gerade vor dem Hintergrund der gegenwärtigen weltpolitischen Entwicklungen hat die politische Seite von Killer 7 mehr als zuvor unsere Aufmerksamkeit verdient, auch weil sie – anders als Mankind Divided und Konsorten – kontroversen Themen nicht mit der Art von unverfänglicher Schein-Neutralität begegnet, die es allen recht zu machen versucht, sondern selbstbewusst und stellenweise provokant: Japans sicherheitspolitische Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten ist ebenso ein Thema, wie das Spiel Motive der in den 80ern und frühen 90ern am stärksten ausgeprägt gewesenen Angst des Westens vor einer wachsenden wirtschaftlichen (und damit auch kulturellen und politischen) Macht Japans aufgreift. Derartige Ängste haben sich sich seit der Jahrtausendwende in Richtung Chinas verschoben, sodass der subtile Wink im Abspann von Killer 7 – demzufolge China als dominante Macht des kommenden Jahrhunderts ins Bild rückt – Amerikanern und Japanern gleichermaßen als bedrohliche Vorstellung erschein muss.

Und wenn der Spieler kurz vorm Ende vor der Wahl steht, entweder den dritten Weltkrieg zu riskieren oder der totalen Vernichtung eines Landes beizuwohnen, dann ist das weder reine Provokation, noch ein ethisch-moralisches Gedankenspiel allein, sondern auch eine Frage von politischen Prinzipien. Denkt man in diesem Zusammenhang an die Appeasement-Bestrebungen etablierten Diktatoren gegenüber, und gegenüber solchen Leuten, die auf dem besten Wege dorthin sind, oder denkt man ganz konkret an beispielsweise Syrien, dann wird klar, dass diese Entscheidung schon in leicht abgeschwächter Form sehr viel weniger abstrakt ist, als sie auf dem ersten Blick vielleicht erscheint.

Durch und durch allegorisch zum einen, auf verstörende Weise verspielt zum anderen, ist Killer 7 kein Spiel, das eindeutige Positionen zu ganz konkreten weltpolitischen Problemen vertreten würde. Es ist gleichwohl ein Spiel, dass den selten gesehenen Mut aufbringt, Politik zum Mittelpunkt seiner Handlung zu machen und mit seinen Darstellungen so weit anzuecken, dass es dem Intellekt des Spielers immer wieder Reaktionen abringt. Einer kommenden Generation von Spielen kann Killer 7 dabei Inspiration und Vorbild sein: Als Leitkulturform der Zukunft bietet sich Videospielen nicht nur die willkommene Möglichkeit, politische Positionen wirkungsvoll zu vertreten; sie werden – nicht im Einzelfall, ganz sicher aber in ihrer Gesamtheit – notgedrungen in der Pflicht stehen, politisch Stellung zu beziehen und sich im Zuge dessen auch mit ihren eigenen, auch implizit zum Ausdruck gebrachten, politischen Implikationen auseinanderzusetzen.

Killer 7
Grasshopper Manufacture / Capcom 2005
Director, Writer: Goichi Suda; Producer: Hiroyuki Kobayashi
GameCube und PlayStation 2