„We don’t get many black folk in this town.“ (Killer 7)
Mir war natürlich klar, dass Schwarze in Form von Videospielcharakteren deutlich unterrepräsentiert sind. Als ich meine Nintendo- und SEGA-lastige Spielebibliothek vor diesem Hintergrund durchgegangen bin und nach erwähnenswerten schwarzen Charakteren abgesucht habe – vor allem natürlich nach solchen, die sich vom Spieler kontrollieren lassen – war ich dann aber doch erstaunt, wie furchtbar wenige es tatsächlich sind. In deutlicher Erinnerung waren mir aus dem Kreise dieser wenigen Figuren wiederum nur wenige, was vor allem damit erklärt sein dürfte, dass die meisten von ihnen dem Stereotyp des ernst dreinblickenden, muskelbepackten Hünen folgen und entsprechend austauschbar erscheinen. Natürlich ist es dann auch nicht verwunderlich, dass insbesondere solche Games eine Rarität sind, die uns einen einzelnen schwarzen Protagonisten steuern lassen – im Unterschied zu Spielen, meine ich, die ein vergleichsweise breites Ensemble an spielbaren Charakteren präsentieren. In letztere Kategorie fallen vor allem Prügelspiele, und das schon seit der Goldenen Ära des Genres in den 90ern. Doch während kein anderes Genre eine solche Diversität – nicht nur in Hinblick auf Ethnie oder „Rasse“, sondern beispielsweise auch Subkulturen und Geschlechter – aufweist, kommen diese Darstellungen über die Reproduktion verbreiteter Stereotypen doch nur selten hinaus, sodass die Auftritte von schwarzen Kämpfern und Kämpferinnen in Prügelspielen in den meisten Fällen einen eher ambivalenten Eindruck hinterlassen.
Es ist leicht, Garcian Smith aus Capcoms „Killer 7“ ebenfalls als einen solchen Ensemble-Charakter abzutun, was ein Grund sein könnte, warum er in Diskussionen um Schwarze in Videospielen nur selten genannt wird. Unter den sieben titelgebenden Attentätern erscheint Garcian – wenigstens auf den ersten Blick – als ein spielbarer Charakter unter vielen. Die Gestaltung der US-Boxart, sowie der grässlichen Boxart speziell der Playstation 2 Version in Japan, scheinen diesen Eindruck zu bestätigen. Eine gewisse Diversität innerhalb der Cast ist ganz offensichtlich zwar gegeben, doch scheint der Umstand, dass es sich bei Garcian um den einzigen Schwarzen handelt, oder bei Kaede um die einzige Frau neben sechs Männern, die Marginalisierung entsprechender Bevölkerungsgruppen nachgerade zu unterstreichen. Hinzu kommt, dass auch die Antagonisten und die allermeisten Nebencharaktere vornehmlich Weiße oder Asiaten sind (und natürlich in der Mehrzahl Männer). Bis hierher hat Killer 7 anderen Spielen also wenig voraus, obgleich man dem Titel zugute halten darf, dass sein – für japanische Produktionen nicht ungewöhnliche – unverhältnismäßig hoher Anteil an japanischstämmigen Figuren in diesem Fall weniger der Eitelkeit seiner Entwickler entsprungen sein dürfte, sondern durch die Handlung legitimiert ist: Im Zentrum der Geschichte steht ein vornehmlich politischer Konflikt zwischen Japan und den USA.
Dass Killer 7 und Garcian Smith in Hinblick auf die Darstellung von schwarzen Videospielcharakteren besondere Aufmerksamkeit verdienen, liegt also weniger am Vorhandensein eines schwarzen Protagonisten allein, sondern daran, dass gerade Garcian in vielerlei Hinsicht eine Sonderstellung unter den Mitgliedern des sogenannten Killer 7 Syndikats einnimmt. Interessanterweise wird lediglich die europäische Boxart diesem Sonderstatus gerecht und rückt den schwarzen Mann im weißen Anzug angemessen in den Mittelpunkt der Gruppe. Zwar thront auch hier der „achte“ Killer Harman Smith – ein alter Mann im Rollstuhl, der eher die Rolle eines Mentors innehat – über allen anderen; mit Blick auf einen plot-entscheidenden Red Herring sowie eine eher metaphysische Bedeutung Harmans ergibt das aber allemal Sinn.
Spielmechanik
Killer 7 macht uns mit sieben spielbaren Charakteren vertraut, die ihrerseits als mehr oder weniger reale Identitäten des unter einer Persönlichkeitsspaltung leidenden Harman Smith erscheinen. Der scheint als abgedankter Mastermind die Fäden im Hintergrund zu ziehen, ist im normalen Spielverlauf aber selbst nicht spielbar – versteht man Videospiele dezidiert als interaktives Medium, kann Harman schon deshalb kaum als Hauptcharakter gelten. Die Kontrolle von sechs der sieben Persönlichkeiten Harmans – namentlich Dan, Kaede, Kevin, Con, Coyote und Mask – ist weitestgehend optional: Einzelne Rätsel machen es notwendig kurzzeitig auf die Fertigkeiten einer ganz bestimmten Persönlichkeit zurückzugreifen, und manch ein Gegner lässt sich von einigen Charakteren leichter besiegen als von anderen, aber im Großen und Ganzen werden sich die meisten Spieler wohl auf zwei, drei Favoriten festlegen, die ihrem Spielstil (oder ihrem ästhetischen Empfinden) am ehesten entsprechen und dem Rest der Cast weniger Aufmerksamkeit schenken.
Garcians spielmechanische Sonderrolle erscheint zunächst in einem etwas ambivalenten Licht, da sie Garcian, in dem Maße, wie sie ihn „besonders“ macht, von den sechs anderen Killern zugleich auch isoliert und von der Kernspielmechanik abkoppelt: Garcian ist der „cleaner“, der anders als die anderen Persönlichkeiten nur in Ausnahmefällen ins Gefecht zieht, und dessen Aufgabe stattdessen darin besteht, diese anderen Identitäten im Falle ihres Ablebens aufzusammeln und ins Leben zurück zu holen. Es ist ein naheliegender Einwand, in dieser spielmechanischer Sonderfunktion – obschon sie Garcian zu einem unabdingbaren Charakter macht – eine Form von Unterordnung zu sehen: Garcian ist der, der augenscheinlich die Drecksarbeit erledigt, der hinterher aufräumt, wenn der Spieler wieder einmal Mist gebaut hat, wogegen die sechs anderen Persönlichkeiten den Feinden kühn und geschickt zu Leibe rücken und mit der Erfüllung der wirklichen Missionsziele betraut scheinen.
Die andere, und durch den späteren Fortgang der Hintergrundgeschichte eher gestützte Perspektive ist die, dass gerade Garcian auf diese Weise eine weiße Weste behält, und dass seine Berufung – Leben bewahren – eine ungleich erhabenere und langfristig entscheidendere ist, als die profanen Killing Sprees der anderen Persönlichkeiten, die sich in letzter Konsequenz als Anrennen gegen Windmühlen entpuppen. Nebenbei gesagt ist Killer 7 in diesem Punkt begründet fast so sehr ein Spiel über das Bewahren von Leben wie über sein Auslöschen – das in Killer 7 ohnehin nie ohne Konsequenzen für das Gewissen bleibt.
Narration
Dass Garcian nicht nur eine Sonderrolle zukommt, sondern dass er der wahre Protagonist in Killer 7 ist, erschließt sich allerdings erst durch die Handlung. Ich möchte die Details der Erzählung nicht vorwegnehmen, und bin mir auch bewusst, dass es fast unmöglich ist, Lesern, die es nicht selbst gespielt haben, das surreale Erzähllabyrinth, das Killer 7 ist, in einem Absatz verständlich zu machen. Es sei daher nur so viel verraten – und sollte an dieser Stelle einfach mal geglaubt werden – dass sich Garcian im späteren Verlauf als eigentlicher und eindeutiger Protagonist entpuppt und seine spielmechanische Sonderstellung auf das Engste verknüpft ist mit seiner letztlich unbestreitbar zentralen Rolle in der Erzählung. Vor diesem Hintergrund macht es dann auch Sinn, dass es seine Persönlichkeit ist, die als roter Faden zwischen den Missionen fungiert, wie er auch der erste Charakter ist, der uns im Intro begegnet und der erste, dessen Kontrolle wir übernehmen dürfen.
Allerdings ist es nicht nur sein Protagonistenstatus, der Garcian zu einem denkwürdigen Charakter macht: Garcians Auftreten bewegt sich zwischen cool, elegant und totally badass. Er hat ein wenig von einem Samuel Jackson in einem Tarantino-Movie, aber noch viel mehr von Isaach de Bankolé in The Limits of Control. Im Unterschied zum – in unterschiedlichem Grade sozio- und psychopathischen – Rest der Killer 7 scheint Garcian bei klarem Verstand: Ein humorloser Stoiker als letzte Verteidigungslinie in einer Welt von Zynikern und hämisch lachenden Irren.
„You see, people judge books by their covers.“ (Killer 7)
Killer 7 ist ein ungemein dichtes Spiel, reich an Bedeutung und Bedeutungsebenen, und gilt aus guten Gründen als Klassiker der Videospiel-Avantgarde. Dass es darüber hinaus zu den wenigen Videospielen zählt, die einen Schwarzen zum Protagonisten haben, ist bis heute kaum gewürdigt oder schlechthin übersehen worden.
Natürlich darf man sich von der Darstellung Garcians auch nicht zu viel erhoffen: So etwas wie ein schwarze Lebenswirklichkeit kann in Killer 7 schon deshalb nicht zum Ausdruck kommen, weil Sudas hochstilisiertem, allegorischen Werk grundsätzlich nicht an der Darstellung irgendwelcher Lebenswirklichkeiten gelegen ist. Und obgleich schon damit viel gewonnen ist, dass Killer 7 seinen einzigen spielbaren Schwarzen nicht als grimmigen Haudrauf-Hünen oder kiffenden Rastaman inszeniert: Gänzlich frei von Stereotypen sind die Mitglieder des Killer 7 Syndikats allesamt nicht (obschon, wie ich finde, auch aus guten stilistischen Gründen). Es ist sogar denkbar, dass sich Garcians Gestaltung vornehmlich auf bildästhetischen Erwägungen gründet: Die dunkle Farbe seiner Haut und seines Haars, sein weißer Anzug und sein hochgewachsener, kräftiger Körperbau bilden die vollkommene Antithese zum Erscheinungsbild Harmans, der kalkweiß und ergraut, in schwarzer Jesuitenkluft, in einem quietschenden Rollstuhl sitzt und vom eigenen Hausmädchen misshandelt wird.
Aber selbst dann, wenn Garcians Hautfarbe ein rein visuelles Stilmittel sein sollte: In einem Medium, in dem glaubwürdige schwarze Protagonisten an und für sich schon eine Rarität sind, verdient die bewusste Festlegung auf einen schwarzen Hauptcharakter dennoch Anerkennung (erst recht, da sie bereits 2005 erfolgte).
In Hinblick auf die eklatanten Defizite im Sichtbarsein von Schwarzen in Videospielen liegt eine nette Ironie in dem Punkt, demnach Garcian, einigen Interpretationen zufolge, die einzige Persönlichkeit unter den sieben Killern ist, die von anderen Personen gesehen werden kann. Gesprochen wird Garcian vom schwarzen Schauspieler Greg Eagles, der auch anderen Videospielcharakteren seine Stimme geliehen hat – einen von ihnen können wir vielleicht schon in der nächsten Folge dieser Reihe kennen lernen.
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