P.N.03 und das Dilemma seiner Heldin wollen mich noch immer nicht loslassen. Während ich den Hauptteil meiner Kritik noch schuldig bin, und nachdem ich mich in einem Doppel-Feature auch schon mit dem Entstehungsumfeld des Titels beschäftigt habe, möchte ich mich an dieser Stelle abermals der narrativen Seite des Spiels zuwenden.

Die narrative Seite, bitte? Reduziertes Arcade-Gameplay und eine durchgestylte Optik – und mitunter auch nur der Hintern der Heldin – sind die Attribute, die wir mit dem GameCube-exklusiven 3rd-Person-Shooter am ehesten verbunden sehen. Als ich dem Werk des Resident-Evil-Erschaffers Shinji Mikami nach zehn Jahren einen zweiten Besuch abstattete, geschah das vor allem deswegen, weil mir gestalterische Parallelen zwischen seiner Protagonistin Vanessa Schneider und der ungleich bekannteren Platinum-Games-Ikone Bayonetta aufgefallen waren. Es ergab sich daher auch, dass meine Betrachtungen im bereits veröffentlichten Part meiner Kritik – hinter dem, nebenbei erwähnt, die anachronistische Absicht stand, einen Eindruck von der Ästhetik des Spiels zu vermitteln, ohne auf Screenshots oder Videos zurückzugreifen – unter feministischen Vorzeichen erfolgten. Dass mich die eigentlich sehr karge Narration des Sci-Fi-Abenteuers aber auch in anderer Hinsicht noch lange beschäftigen und zu einer ganzen Kette von Assoziationen führen sollte – das hätte ich beim Betrachten der primitiven Schlusssequenzen wohl am allerwenigsten erwartet…

I. Vanessas Heldenreise

Für die meiste Zeit des Spiels hält sich die Geschichte – wohlwollend ausgedrückt – im Hintergrund. Dennoch oder gerade deswegen stellt sich spätestens nach der Schlusssequenz die Frage, welches der Sinn hinter alledem war. Ohne die Pointe der Erzählung schon jetzt vorweg zu nehmen: Heldin Vanessa sieht sich mit sich selbst konfrontiert und vor das Problem gestellt, welche Motivation ihrem Handeln tatsächlich zugrunde liegt und wie sie ihre Zukunft gestalten möchte. Dabei stellt sich die Frage nach der Natur der Beziehung zwischen Vanessa und ihrer Umwelt, die Frage tatsächlich, ob Vanessa die selbstbestimmte, schöpferische Herrin ihres Daseins ist, oder doch nur das funktionale Rädchen in einem Getriebe, dessen Funktion vor allem darin besteht, sich selbst am Laufen zu halten.

Bevor es aber so weit ist, bildet den Wendepunkt der Handlung Vanessas Konfrontation mit ihrem Schatten. In den Tiefen anonymer Industrie- und Forschungskomplexe stößt sie auf einen regungslosen Klon ihrer Selbst: Im schwarzen Kampfanzug – die Antithese zum Weiß ihres eigenen – wartet ihr Ebenbild in einem Glastank auf seine Aktivierung. Es ist dem unbeholfenen Erzählstil von P.N.03 geschuldet, dass dem äußeren Anschein nach an diesem Punkt nichts anderes geschieht, als dass sich unsere Protagonistin einmal kurz die Augen reibt und aus heiterem Himmel eine Selbstzerstörungssequenz eingeleitet wird, aufgrund derer sich Vanessa gezwungen sieht, ihren Klon fast schon beiläufig dem Tode zu überlassen um ihrerseits rechtzeitig entkommen zu können.

Doch schaut man erst genauer hin, werden fundamentale Erzählstrukturen offenbar: Der Augenblick, in dem Vanessa ihren Schatten sich selbst und damit dem sicheren Tode überlässt, ist vor allem eine Variante des Todes von Vanessa selbst. Die, freilich, wird im selben Atemzug wiedergeboren – sie entkommt der „Höhle“, ist infolge der Konfrontation mit ihrem Schatten allerdings eine andere geworden. Das, was Vanessa auf psychologischer Ebene miterlebte, ist der Tod ihrer vermeintlichen Individualität und damit ihrer Vorstellung von der Welt und sich selbst. Damit erscheint gerade der so unoriginelle Selbstzerstörungsmechanismus (auf dem ersten Blick nichts anderes, als ein böser Deus Ex Machina, mit dessen Hilfe der Autor der Herausforderung aus dem Weg geht, Vanessas verstörende Begegnung weiter auszuarbeiten) – geradezu sinnbildlich für den Zusammenbruch von Vanessas psychischer Integrität – für der Zerstörung ihres Selbstbildes im Zuge ihrer Konfrontation mit einem Doppelgänger, der nicht per se böse ist, für Vanessas Existenz aber nichtsdestoweniger die ultimative Bedrohung darstellt.

Gleichzeitig jedoch trägt diese Selbstopferung-cum-Wiedergeburt den Keim der Einsicht in sich, die der Schlüssel zur wahren Erkenntnis bzw. Selbsterkenntnis ist, die wiederum die Voraussetzungen für Vanessas finale Konfrontation sind. Nach einigen weiteren Gefechten und dem Tod des letzten Schwellenhüters tritt Vanessa vor ihren Schöpfer – und findet doch niemanden anderen als sich selbst.

II. Fehlerlos, voll funktional, Formgebung ergonomisch optimal.

Betrachten wir P.N.03 als die Darstellung eines sich selbst regulierenden, selbst organisierenden Systems, dann erscheint Vanessa – so wie die Geschichte endet – gar nicht länger als die systemfremde Invasorin, als die ich sie in meinem ersten Artikel identifiziert hatte. Vanessa offenbart sich nicht als Bedrohung sondern als unabdingbares Teilsystem, das zur Regulierung des Gesamtsystems und damit zu seinem Funktionieren und Fortbestehen beiträgt – ein reproduzierbares Verschleißteil, das im Falle seines Versagens sogleich vom nächsten Exemplar seiner Baureihe ersetzt wird. Damit erscheint sogar der von den Robotern angeblich verantwortete Mord an Vanessas Eltern – der zu Spielbeginn als reichlich konstruierte, zusätzliche Motivation herhalten muss – in einem ganz anderen Licht. Vanessa Schneider ist, als Product Number 03, ebenso ein Produkt wie ihre massengefertigten Gegner auch. Ein biologischer Organismus zwar, aber genau so sehr ein Kampfsystem.

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Sterile Forschungskomplexe, die keine andere Funktion verraten, als Verteidigungsrobotern einen Raum zu geben, den sie verteidigen können. Massengefertigte Maschinen, die keiner Agenda folgen und augenscheinlich nur existieren, um Räume gegen Eindringlinge zu verteidigen, die ohne ihre Anwesenheit keinen Grund hätten dort einzudringen. Was wäre da logischer, als eine Söldnerin, deren Funktion es ist, diesen Verteidigungssystemen eine Daseinsberechtigung zu verleihen – sie aus dem Schlaf zu wecken, aus dem sie buchstäblich erwachen, sobald Vanessa die von ihnen bewachten Räume betritt?

Doch ist es nicht auch umgekehrt diese sonderbare Konstellation der Bausteine des Planeten mit dem Namen Öde, die Vanessas Existenz ihren Sinn verleiht? Die finale Begegnung der Heldin mit ihrem körperlosen Selbst – welches als rätselhafter Auftraggeber hinter allem steht und ihr und ihren Klonen als Blaupause zugrunde liegt – lässt fraglos die Deutung zu, dass die Entität „Vanessa“ nicht nur ein Produkt, sondern selbst die Architektin ist, und dass sogar die Öde und ihre ganz auf die Fähigkeiten der Heldin zugeschnittenen Räume und Feinde die Werke dieses Geistes sind. Eine körperlose, intelligente Entität also, ein – wir wir gleich sehen werden – nichtsdestotrotz menschlicher Geist, der sich eine Welt des endlosen Kampfes geschaffen hat – ein Kampf, so scheint es, mit, gegen und für sich selbst, um seinem sinnlosen Dasein wenn schon keinen Sinn, so doch zumindest eine Richtung zu geben.

III. Und es lag Finsternis auf der Tiefe.

Denn der Mensch ist für ein Leben im Paradies nicht gemacht: In seinem Streben und dem Streben nach Erkenntnis vertreibt er sich selbst aus dem Garten der ersten Zeiten. Fortan ist er bemüht sich neue Paradiese zu erschaffen. Auf seiner Suche nach dem neuen Eden hat der Mensch das Beinahe-Homophon der Öde hervorgebracht, und die war wüst und leer. Das Utopia eines Geistes, der für ein Leben im Paradies nicht gemacht ist; ein dröges Land, in dem die Früchte des Gartens nurmehr als maschinengewordene Alpträume fortbestehen – Löwenzahn, Alraune, Orchidee – „denn wie der Mensch sie nennen würde, so sollten sie heißen.“ In einer Perversion des göttlichen Auftrags ist das Leben nicht untertan gemacht, sondern ausgelöscht, ersetzt durch Maschinen, die ihrerseits nichts können als vernichten.

3

Dem ewigen Kampf verpflichtet und in Unkenntnis ihrer wahren Existenz erwartet Vanessa weder Himmel noch Hölle sondern der leidvolle Kreislauf der Wiedergeburt – Continue!? – und des Todes beständige Gegenwärtigkeit – nichts anders also, als das Schicksal so vieler Videospielheldinnen und -helden.

Der Weg zur Erlösung und die Möglichkeit des Ausbruchs aus dem Kreislauf offenbaren sich in der Frage, ob Vanessa ihre Profession als Söldnerin hinter sich lassen soll. Für einen Menschen, der kurz zuvor erfahren hat, dass er offensichtlich ein Klon ist und alle seine Erinnerungen gefälscht sein mögen, ist diese Frage eine seltsam funktionale. Maschinendenken, so scheint es. Entscheidend aber ist, dass diese Gedanken den Keim des Zweifels in sich tragen. Die Heldin hat das Potential entdeckt, eigene Entscheidungen zu treffen, und zwar solche Entscheidungen, die im Widerspruch zur ihr zugedachten Funktion stehen dürfen. Diese Freiheit des Willens, dieses Potential, den Geboten ihres Schöpfers zuwider zu handeln, konstituieren Vanessas Menschlichkeit. „Ich zweifle, also bin ich“, offenbart sich somit als der Weg zum Ausbruch aus dem automatisierten Kreislauf im dystopischen Eden Öde.

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