Das düstere Adventure Year Walk entführt den Spieler in eine gar nicht mal so ferne Vergangenheit, mitten hinein in die verschneiten Wälder Schwedens und in eine Gesellschaft, in der der Glaube an folkloristische Mythen noch lebendig ist…

Gespielt wurde die WiiU-Version.

In der letzten Nacht des Jahres begibt sich ein Mann in das Dunkel des Waldes. Ein nicht ungefährlich Ritual, das die Möglichkeit der Begegnung mit machtvollen Kreaturen einschließt und von der Sehnsucht getragen ist, einen Blick in die Zukunft erhaschen zu dürfen. So geht es dem Protagonisten vor allem darum zu erfahren, ob noch Hoffnung besteht für ihn und seine Liebschaft, die einem Anderen versprochen hat, ihm mit Beginn des neuen Jahres die Antwort zu geben, ob sie die ihm Angetraute zu werden bereit ist. Der Gang durch die Nacht und den Schnee offenbart gar Wundersames, Märchenhaftes, doch bald auch Gefahren von archaischer Brutalität – und an dem Punkt schließlich, als alles schon vorbei scheint…

Erst kürzlich habe ich, in einem noch nicht veröffentlichten Artikel, darüber geschrieben, dass Videospiele es noch viel zu selten wagen, mit den Erwartungen des Spielers, mit Genre-Konventionen und dem Fortgang ihrer eigenen Narrationen zu brechen. Year Walk aber tut das und bleibt gerade deshalb in Erinnerung. Man kann sich das Spiel als zwei Hälften vorstellen: Die erste, längere, ist vergleichsweise traditionelles, sehr stimmungsvolles und mitunter verstörendes Adventure, gespickt mit einigen hervorragenden Rätseln, die weder missplatziert wirken, noch wie eine Beleidigung der Intelligenz des Spielers. Was allerdings in der zweiten Hälfte geschieht, darf an dieser Stelle auf keinen Fall verraten werden, da der Reiz von Year Walk auch darin besteht, als Spieler nicht zu wissen, womit man es gerade zu tun hat, nicht zu wissen, wann man das Labyrinth, das dieses Spiel ist, betritt und wann man es verlässt…

Fragmente aus Kälte

Es ist gar nicht einmal so, dass Year Walk den Spieler ganz im Dunkeln ließe oder als absichtlich schwer verständliches, ambiges Kunstwerk daherkäme. Von Beginn an gestattet euch der Wii-U-Port den Zugriff auf eine kleine Enzyklopädie, die euch die folkloristischen Mythen erklärt, auf denen Year Walk sich gründet, was die Deutung der fremdartigen Kreaturen und Symbole, die euch im Wald begegnen, ungemein erleichtert. Was das Spiel hingegen nicht tut, ist die ihm zugrundeliegende Struktur und seinen eigenen narrativen wie spielmechanischen Rahmen zu offenbaren, beziehungsweise euch zu sagen, worauf eure Quest in letzter Konsequenz hinausläuft. Mit anderen Worten: Year Walk legt die Erwartungen, die es an den Spieler stellt, nicht offen. Damit sind es vor allem die Intensität der eigenen Neugier – und möglicherweise eine gewisse Empfänglichkeit für das Transzendente – die bestimmen, wie tief der Spieler sich ins Dunkel wagt und wann er meint, genug gesehen zu haben.

Year Walk schreckt vor ernsten Themen nicht zurück und die kunstvolle Art und Weise, in der es den Spieler an diese Themen heranführt, geht mit einem außergewöhnlichen Grad von emotionalem Involviertsein einher. Die rätselhafte Spielmechanik und der narrative Rahmen, in dem es darum geht, durch den genauen Vollzug eines festgelegten Rituals einen (möglicherweise gefährlichen) Blick in die Zukunft werfen zu dürfen, bilden eine wirkungsvolle Einheit, innerhalb derer der Spieler halb zum Komplizen, halb zum Ermittler wird. Year Walk hallt lange nach und bleibt ganz besonders dann im Gedächtnis, wenn man sich auf seine enigmatische „zweite Hälfte“ einlässt und den Weg bis an sein Ende beschreitet…

Dabei offenbart sich auch der – neben dem Bruch mit den Erwartungen – zweite entscheidende Kniff, mit dem es dem Spiel gelingt, den Spieler emotional zu vereinnahmen. Weil das Spiel so konsequent darauf verzichtet, seinem Spieler zu erklären, was er tun soll, hat er – einer durchaus linearen Narration zum Trotze – am Ende das Gefühl, aus eigener Motivation heraus diesen Weg gegangen zu sein. Der Schluss der Geschichte erscheint damit als das Resultat seines eigenen Entdeckerdrangs, und wenn er schon keinen Blick in die Zukunft hat werfen können, so hat er am Ende seines Weges und der Nacht doch immerhin das Gefühl, einer verborgenen Wahrheit auf der Spur gekommen zu sein, deren Offenlegung keineswegs unabdingbar war. Nicht oft hat mich ein Spiel derart erfüllt zurückgelassen, wie Year Walk es tat – was vielleicht auch daran liegt, dass sein Ende die Möglichkeit offen lässt, sich auf wiederum ganz anderen Pfaden noch weiter mit seinen Rätseln zu beschäftigen (siehe dazu auch die unten verlinkten Year Walk Letters).

Weiße Nächte

Neben seiner ungewöhnlichen Thematik und dem sonderbaren „Post-Game“ haben mir an Year Walk aber auch die Rätsel in der traditionellen Spielhälfte ausgesprochen gut gefallen. Da euch keine Anhaltspunkte gegeben werden, in welchem gedanklichen Rahmen oder unter Verwendung welcher spielerischer Möglichkeiten die Lösungen zu suchen sind, bleiben Zweifel ob der Richtigkeit eurer Lösungsansätze stets bestehen. Hinzu kommt, dass viele der Rätsel relativ breit angelegt sind und der Kombination von Hinweisen bedürfen, die es über einen längeren Zeitraum und an entfernten Orten zusammenzutragen gilt – eine Notizbuchfunktion auf dem Gamepadscreen kommt dabei sehr gelegen und erlaubt es auch ohne Zettel und Stift, womöglich relevante Beobachtungen zu notieren. Alle Rätsel wirken innerhalb des Handlungsrahmens stimmig und fügen sich sehr natürlich in der Spielwelt ein. Ihre Lösungen sind selten offensichtlich, aber immer logisch, und so steht am Ende eines Puzzlekomplexes das befriedigende Gefühl, mit echter Kombinationsgabe und Aufmerksamkeit zur Lösung gelangt zu sein.

Das Lob darf ich an dieser Stelle gern auch auf die Grafik und den Sound ausdehnen, die – ohne Herausragendes zu leisten – bestens zur Atmosphäre und zum fast außerweltlichen Spielgefühl beitragen.

Dennoch hat Year Walk mit einem Negativpunkt zu kämpfen, der sich selbst bei verständiger Betrachtung unmöglich als irrelevant abtun lässt: In vielerlei Hinsicht ist die Portierung auf die WiiU und die Einbindung des WiiU-Gamepads absolut gelungen und letztere trägt – ohne auch hier zu viel zu verraten – einiges zur Spielerfahrung bei. Geradezu unbeholfen erscheint dagegen die Implementierung der Bewegungssteuerung bei einigen Rätseln. Prinzipiell sollte es wohl möglich gewesen sein, sich mit simplen Point-and-Click-Mechaniken zu begnügen, und als Versuch, den Spieler auch körperlich tiefer im Spiel zu involvieren, kann ich die Absichten der Entwickler durchaus nachvollziehen. Nur leider mangelte es offenbar an Erfahrung mit der Bewegungssteuerungstechnologie der WiiU und so gehen selbst einfachste Manöver, die für die Technologie kein Problem darstellen sollen, bei Year Walk holprig von der Hand. Es ist bedauerlich, dass die Defizite der Steuerung gerade zu Spielbeginn einen negativen Eindruck hinterlassen und dem Spieler allzu deutlich vor Augen führen, dass er einen Controller in den Händen hält und ein Videospiel spielt, und somit gerade dem Aspekt des Spiels im Wege stehen, der für das Funktionieren seiner Erzählung so wichtig ist: die Immersion.

Der hervorragende Gesamteindruck bleibt dennoch bestehen. Ich habe Year Walk in einem Rutsch durchgespielt und würde diese Herangehensweise auch empfehlen. Optimal wäre es daher, wenn ihr drei bis vier ungestörte Stunden entbehren könnt, etwas Geduld und einen dunklen Raum. Dann ist Year Walk das ideale Spiel für eine lange Nacht im November.


Im Rahmen einer Halloween-Rabattaktion ist die WiiU-Version von Year Walk noch bis zum 03. November für 3,49 € statt 6,99 € als Download im eShop erhältlich. Außerdem gibt es das Spiel auf Steam und für iOS.

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