Unique and talented, but slightly twisted directors.

Man kann zweifellos der Ansicht sein, dass die Capcom Five in der Geschichte der Videospiele kaum mehr als eine Randnotiz darstellen: Dubiose Kuriositäten die einen, kommerzielle Flops die anderen, und Dead Phoenix ist gar nicht erst erschienen. Und Resident Evil 4? Ein Klassiker zwar, ein Meilenstein – als bloße Fortsetzung einer etablierten Serie widersprach es allerdings von vornherein den Ambitionen, die die Capcom Five erst so besonders machten. Früher oder später hätten wir dieses Sequel wohl auch ohne die Capcom Five gesehen – zumal sich die Version, die nach zahlreichen Revisionen (einschließlich eines Wechsels des Directors und der Autoren) in den Regalen stand, von der ursprünglichen Vision, die die Ankündigung des 4th Production Studio begleitet hatte, ganz erheblich unterscheiden sollte.

Die Capcom Five einfach nur als Fehlschlag abzutun, würde der Initiative dennoch nicht gerecht: Ihr langfristiger Einfluss auf Capcom ist ebenso wenig zu unterschätzen, wie ihre Bedeutung für den Werdegang Hideki Kamiyas, Atsushi Inabas, Shinji Mikamis und anderer Beteiligter. Aber auch in der Natur der Initiative selbst finden sich Aspekte, die sie in der Geschichte der Videospiele einmalig erscheinen lassen.

Die damalige Pressemitteilung liest sich wie aus einem Manifest, und ist der Spieleindustrie gegenüber auf eine Weise (selbst-)kritisch, die für ein Presseevent im Jahre 2002 durchaus erstaunt:

In an industry where you create to amuse and entertain, do you sense a crisis about the industry’s continuing regression of excitement and stimulation? We believe that the regression of excitement is solely the fault and responsibility of we creators. By the same token, we believe it is also our mission and responsibility to create something that is „worth seeing“ for the user. In a market that has become prosaic with character dependent games and sequel games, we, the 4th Production Studio of Capcom, would like to take this opportunity to announce 5 new and exciting games for the GameCube. The games […] are all the works of our unique and talented (but slightly twisted) directors.

Bevor wir uns den so beschriebenen Directors zuwenden, ist zunächst einmal festzuhalten, dass die als Capcom Five zusammengefassten Spiele ein ausgesprochen heterogenes Gebilde darstellen: Das avantgardistische Killer 7 hier, der konservative Artstyle eines Dead Phoenix da, die Triple-A-Values eines Resident Evil 4 und der Minimalismus von P.N.03. Killer 7 entstand de facto außerhalb Capcoms, und RE4 war selbst „nur“ ein Sequel, das sich eines bekannten Protagonisten bediente. Mit anderen Worten: Die Capcom Five haben weder inhaltlich, noch stilistisch, noch entwicklungsgeschichtlich viel gemeinsam; die ganze Aktion ist viel eher ein virtuelles Konstrukt, eine Marketing-Gag fast schon, als ein reale Initiative.

Ein Punkt, der die Capcom Five aber doch zusammenhält, ist das gemeinsame Auftreten und die besondere Exposition ihrer Schöpfer. Beim oben zitierten Statement fällt ins Auge, welchen Stellenwert es der Rolle – und nicht zuletzt der Verantwortung – der Directors zuschreibt, die im letzten Satz explizit zu den Urhebern der fünf Spiele erklärt werden. Denn sieht man vom Geniekult um einige ganz wenige Persönlichkeiten (wie Miyamoto oder Kojima) einmal ab, so schert sich die Rezeption von Games auch weiterhin nur wenig um die Individuen hinter den Franchises und an den Spitzen der Entwicklerteams. In den letzten Jahren unterliegt dieser Umstand einen sichtbaren Wandel, nicht zuletzt weil er der Vermarktung eines Titels sehr zuträglich sein kann, doch als die Capcom Five im November 2002 enthüllt worden, war dieser Schritt ins Rampenlicht alles andere als selbstverständlich.

Gleichzeitig sind das 4th Production Studio und die Capcom Five ein Paradebeispiel für die Dynamiken, die sich entwickeln können, wenn einer Reihe von talentierten Köpfen die Möglichkeit gegeben wird, in einem vergleichsweise gut finanzierten Rahmen vergleichsweise frei zusammenarbeiten zu können – teils auch projektübergreifend oder in wechselnden Positionen. Die Fähigkeiten eines Hideki Kamiya und eines Hiroki Kato haben sich im Rahmen ihrer Beteiligung – im Innehaben neuer Positionen und im Kontakt mit erfahreneren Mentoren – ganz enorm entwickeln können. Neben professionellen entstanden so auch persönliche Bindungen, die etwa in der Formation von Platinum Games münden sollten, oder in einer Kollaboration zwischen den späteren Studios Mikamis und Sudas: Shadows of the Damned.

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Goichi Suda „51“, Shinji Mikami und Silent-Hill-Komponist Akira Yamaoka (v.l.n.r.) stellen Shadows of the Damned (2011, EA) vor.

Nicht ganz so offensichtlich ist vermutlich, dass schon das 4th Production Studio den Beginn der Emanzipation einiger dieser Persönlichkeiten von Capcom darstellte. Die relativ weitreichenden Freiheiten dieser Abteilung (einschließlich ihrer eigenwillige Präferenz für den GameCube) ist gleichermaßen ein Beleg für den hohen Status, den vor allem Mikami genoss und der es ihm ermöglichte, eine solche, besondere Stellung zu erreichen, wie auch für den Umstand, dass es Leuten wie ihm schwerfiel, ihre Visionen innerhalb der Unternehmensstruktur Capcoms zu verwirklichen. Auf alle Fälle markiert die unkonventionelle Attitüde des Studio 4 den Beginn einer Separation. Diese sollte sich in Gestalt des Clover Studio fortsetzen, das von Capcom zwar finanziert, in kreativer Hinsicht aber unabhängig war, und durch den Weggang Inabas, Kamiyas und Mikamis schließlich vollendet werden. Vielsagend ist auch, dass Platinum Games immer wieder Kooperationen mit anderen Firmen eingegangen sind – nicht aber mit Capcom.

Die weiteren Werdegänge dieser Exilanten verlaufen seither recht unterschiedlich: Shinji Mikamis größte Erfolge stammen auch weiterhin aus seiner Zeit bei Capcom. Und während Mikami den Eindruck macht, ein Mensch zu sein, der auf der Suche ist – was beileibe nichts Negatives sein muss – scheint Hideki Kamiya längst angekommen. Man konnte gar den Eindruck gewinnen, dass es sich der ehemalige Director des Action-Adventures Okami in den Jahren exzellenter, doch auch relativ ähnlicher Actiontitel etwas zu bequem gemacht hatte, doch geht er mit Scalebound gerade neue Wege. Ist ist zu hoffen, dass dieses Spiel in Kamiyas Werdegang einen Reifeprozess begleitet, denn so atemberaubend seine wilden Kreativitätsexplosionen auch immer wieder waren – mehr emotionale Tiefe würde ihnen gut tun.

Eine Person, die als Producer hinter den Capcom Five stand, aber weiterhin bei Capcom tätig ist, ist Hiroyuki Kobayashi. In den letzten zehn Jahren zeichnete er vor allem für die hierzulande kaum bekannte Sengoku Basara Reihe verantwortlich und machte sich auch in der Anime-Branche einen Namen. Ganz andere Ambitionen verfolgte der Resident Evil: Code Veronica Director und Designer von God Hand und Vanquish, Hiroki Kato. Der hat sich aus der Spieleindustrie zurückgezogen und ist Landwirt geworden.

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Und Capcom?

Für Capcom selbst hatten die Capcom Five unerwartete Folgen. Dass die Umsätze des Unternehmens nach 2002 enttäuschten, lag auch an den schwachen Verkaufszahlen bzw. verlängerten Entwicklungszyklen der Capcom Five. Als sich schließlich auch die von der Kritik gefeierten Produktionen des Clover Studio als kommerzielle Misserfolgte dargestellt und mehrere kreative Führungspersönlichkeiten das Unternehmen verlassen hatten, kam das einem Brain Drain gleich, der Capcom einigermaßen ausgehöhlt zurückließ und der Leute beraubte, die das Unternehmen um die Jahrtausendwende geprägt und um einige seiner bekanntesten Marken bereichert hatten.

Erstaunlicherweise erholte sich das Unternehmen davon schnell: Umsätze und Gewinne legten gerade in den Jahren nach diesem Exitus wieder zu; man hatte neue Franchises etablieren (nicht zuletzt Keiji Inafune zu verdanken) und andere massentauglicher gestalten können. Monster Hunter wurde ein gigantischer Erfolg und Street Fighter erlebte unter Yoshinori Ono seinen zweiten Frühling. Insgesamt erscheint mir Capcom heute zwar weniger relevant, als es die Firma während der GCN/PS2/Xbox-Ära noch gewesen ist, doch immerhin konnte es seine Eigenständigkeit und einige starke Marken bewahren und steht im Allgemeinen auf sicheren Füßen.

Eine Lektion, die wir aus den Capcom Five lernen können, ist die, dass es mit Blick aufs Marketing Sinn ergeben kann, eigentlich unterschiedliche Produkte als Einheit zu präsentieren. Stärker als aus der Filmindustrie oder dem Büchermarkt kennt man diese Strategie von Fernsehsendern, die ihre Sendekonzepte und Programmblöcke dergestalt aufstellen. Für Resident Evil 4 mag es kaum eine Rolle gespielt haben (auch weil die Capcom Five fast schon vergessen waren, als es 2005 auf den Markt kam), doch die kleineren Titel wie Killer 7 und P.N.03 haben von der Aufmerksamkeit, die den Capcom Five in ihrer Gesamtheit zukam, ganz sicher profitieren können.

Es ist den Capcom Five zu verdanken, dass sich in meiner GameCube-Kollektion von keinem anderen Dritthersteller so viele Spiele finden, wie von Capcom. Auch ohne dass ich bewusst darauf geachtet hätte, sind alle vier Werke der Capcom Five in meine Sammlung eingegangen und jedes einzelne ist mir in distinkter Erinnerung geblieben. Legt man die Spiele heute in den GameCube, dann fällt vor allem auf, wie wenig sie vom Zahn der Zeit berührt worden sind. Vier interessante, teils exzellente Spiel, die es alle wert sind, auch 2016 noch entdeckt zu werden.

Fragt man nach dem Beitrag der Capcom Five zur Videospielgeschichte, so zeigt sich insgesamt also ein ambivalentes Bild. Das wahre Vermächtnis der Initiative sind nicht die Spiele oder die neuen Marken, die unmittelbar daraus hervorgegangen sind, sondern ihr unvorhergesehener und langfristiger Einfluss auf die Karriere ihrer Schöpfer. Diesen Punkt hervorzuheben ist mir ein besonderes Anliegen. Mehr als bei jedem anderen Medium ist die Rezeption von Spielen fokussiert auf Marken, auf „IPs“: Man wird keine Schwierigkeiten haben, die Historien auch noch der unbedeutendsten Spieleserien irgendwo im Internet nachlesen zu können, und ganze Foren könnten dichtmachen, wenn nicht diskutiert würde, welcher Teil einer Reihe denn nun der beste sei. Darstellungen der Oeuvres und der Werdegänge ihrer Macher sind dagegen rar. Dabei könnte ein solcher Perspektivenwechsel dabei helfen, die Visionen dieser Leute zu verwirklichen und endlosen Abfolgen von Fortsetzungen entgegenzuwirken. Und darum ging es bei den Capcom Five. [sk]