In genau einer Woche feiern die Rote und die Blaue Edition der Pokémon-Reihe ihren siebzehnten europäischen Geburtstag. Für Spielkritik ein Grund sich einmal anzuschauen, wie Nintendos Marketingabteilung das Franchise in den späten 1990ern nach Deutschland brachte.

In der letzten Episode haben wir gesehen, dass es Nintendo im Frühsommer 1999 vor allem darum geht, Pokémon als Phänomen zu verkaufen. Mit dem Näherrücken des Veröffentlichungstermins, dem 08. Oktober 1999, liegt das Augenmerk nun aber auch darauf, den Lesern das Spielkonzept verständlich zu machen.

In der eigens eingeführten Rubrik „Pokémon Center“ berichtet man – gern auch zum zweiten, dritten, vierten Mal – über sämtliche Produkte aus der Welt der Pokémon.

Sommerzeit, Messezeit: Pokémon gab es auf der Berliner IFA, der Londoner ECTS (†) und Nintendos hauseigener Tokyo Spaceworld (†), denn in Japan standen die Goldene und die Silberne Edition bevor. Im August gab es ein zweitägiges Pokémon-Weekend in Berlin („Fantastische Geschehnisse hielten im August ganz Berlin in Atem!“) und im September und Oktober machte ein Pikachu-Schulbus im Rahmen der Pokémon Roadshow in zehn deutschen Städten Station. Nebenbei wird das „Pokémon Pikachu“ vorgestellt: Ein Art Tamagotchi mit Schrittzählerfunktion, und somit der Grundstein für zwei Jahrzehnte Pedometer-Action in der Geschichte Nintendos, bekanntlich bis hin zu Pokémon Go. Der Nachfolger des Pokémon Pikachu verfügte später über ein Farbdisplay, und auch das Pokémon Mini darf man wohl als Teil der Reihe sehen. Dem Pokémon Pikachu noch ähnlicher war viel später der Pokéwalker, der den Gold/Silber-Remakes auf dem DS beilag.

Kleiner Exkurs: Ungewollt komisch erscheint mir die Verlosung eines „Pokémon Überraschungs-Pak“. Der Begriff Pak ist nämlich ein interessantes Kuriosum der Nintendo-Historie und, anders als viele vielleicht denken, kein Wort, das man in englischen Wörterbüchern für gewöhnlich findet: Es begegnet Engländern im Markennamen Tetra Pak, als eher abfällige Bezeichnung für Pakistaner, und eben im Sprachgebrauch Nintendos. Ich weiß leider nicht, wie Nintendo auf die Idee gekommen ist, das Wörtchen Pak (und nicht einfach Pack) als Oberbegriff für die Zubehör-Reihe des N64 und einige weitere Produkte zu verwenden (angefangen beim Controller Pak und Rumble Pak, später dem Expansion Pak und Transfer Pak; und auch den Begriff Game Pak kann man finden). Schließlich wurden aber auch die Hardware-Bundles als „Paks“ bezeichnet, wie etwa das Donkey Kong 64 Pak. Sega hat sich diesem Trend in der Folge übrigens nicht angeschlossen und bezeichnete sein Rumble-Pak-Äquivalent orthografisch konservativ als Vibration Pack. Die letzte mir bekannte Verwendung des Begriffs bei Nintendo stammt aus 2006, als Namensbestandteil des „Memory Expansion Pak“ des Nintendo DS Browserzubehörs. Auch Hardware-Bundles nennt man bei Nintendo schon lange wieder „Packs“.


„Der Herbst steht vor der Tür und bringt die Pokémon-Mania nach Europa.“

Kommen wir zur eigentlichen Spielvorstellung: Nachdem das Magazin bereits in Ausgabe 4/1999 in einem längeren Artikel über Rot/Blau berichtet hatte, legt man in Ausgabe 5/1999 mit weiteren vier Seiten noch einmal nach. Die Veröffentlichung steht nun unmittelbar bevor und die Redaktion bedient sich einer Darstellungsweise, die im neugestalteten Club-Nintendo-Magazin im Jahre 1999 eigentlich unüblich geworden war: Man begleitet den Leser-Spieler durch die ersten Stationen im Spielverlauf, herzallerliebste Levelkarten von Alabastia und Vertania City inklusive! Dabei erfährt man unter anderem, dass im heimischen PC ein Heiltrank wartet und dass sich der Spieleinsteig mit Glumanda etwas schwieriger gestaltet, „aber die Mühe lohnt!“ Für weitere Infos wird zum x-ten Mal auf den offiziellen Spieleberater verwiesen.

Ich muss sagen, dass ich persönlich noch immer keine genaue Vorstellung von den Spielen hatte, als ich die Blaue Edition Ende 1999 schließlich in den Modulschacht schob. Den Anime fand ich vor allem peinlich, sodass sich auf dieser Grundlage kein Wunsch nach mehr abzeichnete, und außerdem hatte ich mein N64 noch nicht einmal ein halbes Jahr im Haus. Dass ich mir die Blaue Edition trotzdem zugelegt habe, war tatsächlich ganz dem Hype geschuldet, der mir glauben machte, dieses Spiel sei etwas ganz Besonderes (oder wann zuvor hat ein Spielcharakter Moyses Editorial gekapert? Nie). Und etwas Besonderes war es dann auch wirklich. Ein Abenteuer, wie ich es zuvor nicht kannte, und dessen Reiz in Worte zu fassen mir selbst heute noch schwer fällt; ein Spiel, dass sich in Relation zu seinen Nachfolgern vor allem durch seine unverdorbene Schlichtheit auszeichnet.

Dieser Beitrag erscheint im Rahmen einer Reihe, die sich mit dem ehemaligen offiziellen Club Nintendo Magazin beschäftigt, und die es sich zum Ziel gesetzt hat, Videospielgeschichte auf Basis dieses ungewöhnlichen Hybrids aus ernstzunehmendem Spielemagazin und offiziellem Marketing sichtbar zu machen. Eure Anregungen für zukünftige Themen dürft ihr gern im Kommentarbereich kundtun.

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