„Nacht senkt sich über die Sümpfe Lousianas [sic], und mysteriöse, uralte Beschwörungen werden von einer feuchtwarmen Brise weitergetragen… Rhythmisches Trommeln erfüllt die schwüle Luft… In einer schäbigen Hütte ruft eine dunkelhäutige Priesterin geheime Worte des Voodoo-Kultes – und aus dem Toten, der vor ihr auf dem Altar liegt, wird Shadowman, der Wanderer zwischen Diesseits und Jenseits…“ (Shadow Man; Club Nintendo Ausgabe 4/99)
Ergänzend zum großen Club Nintendo Feature möchte ich in unregelmäßigen Abständen einige der besten und ungewöhnlichsten Artikel vorstellen, aussagekräftige Scans aus den klassischen Heften inklusive.
Den Anfang macht heute „Shadow Man“ für das Nintendo 64, Game of the Month in Ausgabe 4/1999. Der 8-Seiten-Artikel ist einer der ernsthaftesten und mit einiger Sicherheit der düsterste, den man im Club-Nintendo-Magazin der N64-Ära finden wird. Verantwortlich für den bemerkenswerten Beitrag zeichnen die beiden Redaktionsleiter Marcus Menold und Thomas Rinke.
Es gab nicht viele Spiele wie Shadow Man auf dem Nintendo 64 und den Autoren des Artikels gelingt es bestens, die Düsternis der Thematik und die Komplexität der Horrorthriller-Handlung fühlbar zu machen. Abseits des vornehmlich auf die Narration des Spiels fokussierten Textes sorgt nicht nur ein gekonnt arrangierter Mix aus Screenshots und Artworks für das richtige Ambiente, sondern auch eine Auswahl düsterer Zitate zum Thema Totenwelten:
„Dies ist das tote Land, dies ist Kaktusland… Hier ragen die steinernen Bilder empor… Hier nehmen sie das Flehen eines toten Mannes Hand entgegen, Unter dem Licht eines verblassenden Sterns…“ (T.S. Eliot, The Hollow Men).
Ein Babylon im Reich der Toten, Serienkiller und die drohende Apokalypse – dankenswerterweise verzichten Menold und Rinke darauf, die Handlung auf eine dem mutmaßlichen Altersdurchschnitt der Club Nintendo Leserschaft angepasste Weise zu verpacken. Hintergrundgeschichte und Hauptfiguren werden sehr detailliert vorgestellt, wobei sich die Informationen mit denen decken, die sich in etwas umfassenderer Form auch in der Spielanleitung finden. Um simple Kopien aus derselben handelt es sich bei den Texten im Club Nintendo Magazin aber auf keinen Fall.
Das große Defizit des Artikels besteht in meinen Augen darin, dass man wirklich nicht viel über das Gameplay von Shadow Man erfährt: Kaum ein Satz beschäftigt sich mit den technischen oder spielmechanisches Aspekten des Titels und mit Ausnahme der letzten Seite, die sich der deutschsprachigen Synchronisation widmet, hat der gesamte Artikel einzig die narrative Seite des Spiels zum Thema. Die abgebildeten Screenshots stammen augenscheinlich tatsächlich aus der N64-Version des Spiels, sind mit Blick auf das zu erwartende Gameplay aber gleichsam nicht sehr aussagekräftig. Das Resultat ist ein Artikel, dessen dunkle und makabre Bilder seinerzeit eine einzigartige Faszination auf mich ausübten, der mir aber kaum eine Vorstellung vom Spielablauf vermitteln konnte.
Noch bemerkenswerter als die erwachsene Düsternis des Shadow Man Artikels selbst ist das ihm folgende Special: „Voodoo: Aus den Tiefen Afrikas“ von Marcus Menold. Es wäre naheliegend, hier einen reißerischen Aufmerksamkeitserreger zu vermuten, tatsächlich aber handelt es sich um einen durchweg seriösen und objektiven, gut recherchierten Beitrag. Gleich der erste Satz des Haupttextes fällt aus dem üblichen Club-Nintendo-Rahmen: „Voodoo stellt das beste Beispiel für den afrikanischen Synkretismus in Amerika dar.“ Synkretismus ist ein Begriff, den man in der Geschichte des Club Nintendo Magazins sicherlich kein zweites Mal findet und der mir damals ganz gewiss nichts sagte.
Im Laufe des Artikels wird auf die Ursprünge des Voodoo vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Sklaverei eingegangen, einige Glaubensinhalte werden vorgestellt und die Bedeutung des Voodoo heute skizziert. Vor allem aber wird Voodoo korrekterweise als Religion vorgestellt – und nicht als irgendwelche böse Schwarzmagie, die den lieben langen Tag nichts anderes tut, also Menschen zu Zombies zu machen oder mit in Puppen versenkten Nadeln zu malträtieren. In Anbetracht seiner Kürze ist der Artikel erstaunlich informativ – und als Einführung in die Thematik ganz und gar geeignet. Ein „Kleines Voodoo-Glossar“ ist hingegen eher Spielerei und enthält mindestens einen Fehler, der im Haupttext noch korrekt dargestellt wird: Loa sind nämlich keine Götter.
Fazit: Der Shadow Man Artikel im Club Nintendo Magazin ist nicht nur ungewohnt ins seiner Düsternis, sondern zeugt auch von einer großen Liebe zum Detail. Ergänzt durch ein eigenständiges Voodoo-Special, angereichert mit popkulturellen Bezügen, und inklusive einer Seite zu den prominenten Synchronsprechern des N64-Spiels mit der bis dahin umfassendsten Sprachausgabe (von 60 Minuten) – Menold und Rinke konnten offenbar großes Interesse für die Thematik aufbringen und sich ihr auf erwachsene Weise und mit einem gewissen Anspruch nähern. Wie für das Club Nintendo Magazin typisch, steht hinter dem Artikel nicht etwa die Intention, den Leser von einer wie auch immer gearteten objektiven Qualität des Spiels zu überzeugen, sondern seine Faszination zu wecken, indem die Thematik von Shadow Man umfassend dargestellt und die Spielatmosphäre in idealisierter Form greifbar gemacht wird.
Mein Dank geht an SaiBot, der es mir ermöglichte, einen vergleichenden Blick auf die Shadow Man Spielanleitung zu werfen. [sk]
Mehr zu ähnlichen Themen:
An Shadow Man habe ich lange gesessen und es wirklich geliebt (und gehasst). Ich erinnere mich noch gut an diese düstere Bastion mit dem Metzgerei-Ambiente innen. Die Level waren groß und die Story schien einfach kein Ende zu nehmen. Ausgeprägt fand ich die Notwendigkeit, Locations später nochmal mit neuen Fähigkeiten zu besuchen. Auch die Klettereinlagen waren manchmal nicht ohne…
LikeGefällt 1 Person
Ich möchte auch noch mal erwähnen, dass Shadow Man ein grandioses Spiel ist und es auch auf anderen Plattformen kaum Titel gibt, die man wirklich gut damit vergleichen könnte. Wirklich schade, dass es heute kaum noch mittelgroße Publisher wie Acclaim gibt.
LikeGefällt 1 Person
…und Shadow Man bzw. Michael LeRoi ist überdies ein grandioser Charakter, den es so auf dem N64 kein zweites Mal gibt, und sogar bis heute viel zu selten. Wobei ich ihn im Spiel selbst ja sogar noch interessanter finde, als auf den Artworks.
Bin gerade auf ein kleines Special von IGN aus dem Jahr 2000 gestoßen, die bedeutendsten schwarzen Charaktere auf dem N64. http://uk.ign.com/articles/2000/03/01/three-for-64 Viele sind es traurigerweise nicht und nur einer ist überhaupt ein Hauptcharakter. Aber den Kommentar zu Shadow Man kann ich auch schon nach wenigen Spielstunden so unterstreichen: „A game that’s actually carried by a believable African-American lead character is something we didn’t know we were missing until we had it. Shadow Man is one of the strongest, most uncompromising characters in any game on any platform.“
LikeLike
Euren Kommentaren nach zu urteilen scheint sich Shadow Man ja in einigen Erinnerungen festgesetzt zu haben. Ich finde das Spiel ebenfalls äußerst reizvoll und hab mich im Laufe der letzten Jahre schon zweimal daran versucht, nur leider macht es einem das Spiel nicht gerade leicht: Der enorme Zeitaufwand einerseits, die Herausforderung und ihre oft hakelige Umsetzung andererseits, die viel Disziplin erfordern und erneut: Zeit. Möglicherweise wäre es hier sinnvoll, das Spiel direkt mit Komplettlösung anzugehen, um es überhaupt einmal anzugehen. Tatsächlich habe ich zu N64-Zeiten das ein oder andere Spiel direkt mit Lösung gespielt und es hat dem Spielspaß keinen Abbruch getan.
…ich überlege aber auch, ob es nicht vielleicht klüger wäre, das Spiel auf der Dreamcast anzugehen? Die Performance ist auf dem N64 im Hi-Res-Mode schon sehr dürftig – und Low-Res sieht das Spiel kaum halb so schön aus.
Ich bin der Meinung dass Shadow Man enormes Potential für einen Reboot hätte – der sich sogar gut verkaufen könnte. Klar kann man in der heutigen Zeit kein derart anspruchsvolles, intensives Action Adventure erwarten. Aber den Reiz von Shadow Man liegt meines Erachtens ohnehin viel eher im Setting und der Handlung. Ein Open World Actiontitel würde damit genau so funktionieren wie ein Shooter. Die Lizenzkosten dürften sich in Grenzen halten und offensichtlich kann man auf eine gewisse Rest-Popularität des Franchises zurückgreifen, die dafür sorgen würde, dass der Titel im Gespräch bleibt… Noch dazu lese ich gerade, dass der Comic 2012 einen Relaunch erfuhr, und das Originalspiel 2013 auf Steam kam.
Ich denke, es hat dem Franchise nicht gut getan, dass die (ohnehin wohl eher mäßige) Fortsetzung exklusiv für die PS2 erschien ist – wo man Teil 1 doch vor allem mit dem N64, der Dreamcast und dem PC verbindet und seine PS1-Umsetzung ein ziemlich Reinfall war.
LikeLike
Oh, da erinnere ich mich noch gut dran. Also an die vielen Male die ich im Laden stan und das Artwork schon so gruselig fand xD
Gespielt habe ich Shadowman leider nie, aber es klingt so als könne man das wohl mal angehen. Danke für den tollen Bericht.
LikeGefällt 1 Person
Oh, da werden tolle Erinnerungen wach. Mein Vater hat mir das Spiel damals eines Tages mitgebracht, allerdings hatte ich mit gerade einmal acht Jahren doch so meine Probleme damit. Es hat zwar jede Menge Spaß gemacht und die düstere, sehr eigene Atmosphäre hat mich schon damals in seinen Bann gezogen – sonst war ich aber hauptsächlich Super Mario, Pokémon, Sims, Age of Empires und GTA gewohnt: Deshalb hat mich Shadow Man damals extrem gefordert.
Tatsächlich habe ich mir die PC-Version so etwa 2002/2003 auch nochmal zugelegt und dann wieder gezockt (auf meinem damaligen Rechner war das Spiele-technisch zu der Zeit das höchste der Gefühle, mehr hat die Kiste nicht gepackt). Nachdem mein N64-Original im Laufe der Jahre irgendwo verloren gegangen ist, habe ich mir die Cardridge Ende 2014 bei meinem lokalen Spielehändler des Vertrauens für um die 5€ zum dritten mal gekauft – eine gute Entscheidung.
LikeGefällt 1 Person
Du hast es also auch mehrere Male durchgespielt? Kannst du abschätzen, wie viele Stunden ein Durchgang in etwa dauern dürfte?
LikeLike