Mein Name ist Jack Bau…, Wade…

Beinahe 15 Jahre ist es her: Im November 2001 durften amerikanische und japanische Playstation-Besitzer Hand anlegen an das langerwartete Metal Gear Solid 2: Sons of Liberty. Der Hype war gewaltig und so war es für Europäer umso schmerzhafter, dass sie sich bis Februar 2002 gedulden sollten (schließlich erschien der Titel sogar erst im März). Glücklich schätzen konnte sich der, der eine Dreamcast sein Eigen nannte.

headhunter_jackFast zeitgleich mit dem US-Release von Sons of Liberty durften europäische Dreamcast-Besitzer (und nur die) mit „Headhunter“ Jack Wade durch Los Angeles schleichen. Auch wenn im selben Monat Shenmue II auf den Markt kam, kann ich mich erinnern, dass das Spiel einen gewissen Hype auf sich vereinen konnte – das Metal Gear Solid der Dreamcast sollte es sein, hollywoodreif inszeniert und erwachsen, ein spektakulärer Abgesang auf eine offiziell bereits in den Vorruhestand geschickte Konsole.

Den narrativen Hintergrund bildet eine relativ komplexe Nahzukunfts-Dystopie um Privatpolizei und Organhandel unter „einem fast faschistischen Regime“ (Zitat Spielanleitung). Dankenswerterweise kommt das Ganze schön satirisch daher – die schwedischen Entwickler von Amuze nennen die Filme Paul Verhoevens als Inspiration – weshalb die ein oder andere Ungereimtheit nicht allzu negativ auffällt (organbringende Gladiatorenkämpfe in Unterwassergefängnissen, klar). Gerade zum Ende hin gerät das Geschehen vollends absurd, doch gelingt es dem Spiel, dass man ihm zu diesem Zeitpunkt fast alles abnimmt – das abgedrehte Finale funktioniert dann auch als durchaus konsequente Schlusspointe seiner Satirekomponente. In spielmechanischer Hinsicht gibt Metal Gear Solid den Ton an: Jack drück sich an Wände, späht um Ecken, wirft Ablenkungsgeschosse und analysiert Laufwege. Spätestens in der zweiten Hälfte des Abenteuers sterben unbedachte Spieler gnadenlos im Kugelhagel (an dieser Stelle schon einmal ein Lob für die vorbildlich gemachte Schwierigkeitskurve). Interessant wird das Spiel durch die Anleihen an Resident Evil: In bester Adventure-Manier müssen Items gefunden, kombiniert und an den richtigen Stellen zum Einsatz gebracht werden, um so neue Wege zu öffnen. Weniger schön sind bei diesen non-linearen Erkundungen nur die teils erheblichen Ladezeiten. Auch wenn die Kombination aus Stealth-Action und Survival-Horror-Konventionen anfangs widersprüchlich anmutet, stellt sie sich bald als äußerst motivierend heraus.

Und Motivation ist bei Headhunter unbedingt nötig.

Im Laufe seines Abenteuers hat Jack Wade nämlich mit zwei hartnäckigen Gegnern zu kämpfen, die seinem Vorankommen vehementer im Weg stehen als alle Motorradgangs, sturmbehaubten Söldner und säurespuckenden Roboterspinnen es je könnten: Die hakelige Steuerung und viele, viele Bugs.


…und wenn ich die Steuerung erst einmal bezwungen habe…

Ein ums andere Mal erinnert Headhunter daran, dass dem Dreamcast-Controller zwei zusätzliche Knöpfe gut getan hätten. Problematisch sind etwa die Stealth-Kills. Schleicht euch von hinten an einen Gegner an, um ihm lautlos das Genick zu brechen. Die Tastenkombination zum Ausführen dieser Aktion ist dummerweise die selbe wie die zum Abfeuern eurer Waffe. Und so kann es leicht passieren, dass ihr, wenn ihr in der Hektik des Augenblicks versehentlich ein wenig zu weit vom Gegner entfernt steht oder der Winkel nicht stimmt, anstelle eines Genickbruchs auszuführen eine Kugel ins nirgendwo abfeuert, und dann ist es mit der Tarnung natürlich dahin. Vollkommen egal ist es kurioserweise, wenn ihr den Gegner im Vorfeld eines Stealth Kills berührt, vielleicht sogar zur Seite „schiebt“ – solang wie ihr nicht in sein außergewöhnlich enges Blickfeld geratet, wird er euch unbehelligt lassen.

Generell gibt sich die Steuerung hakelig und ungenau und kann weder in actionreichen Feuergefechten noch beim verdeckten Operieren überzeugen. Aus der Deckung heraus mal eben eine Granate um die Ecke schnippen? Fehlanzeige. Wie beim gewöhnlichen Schießen auch, muss sich Jack dazu aus der sicheren Deckung schwingen, bevor er aus exponierter Position und mit einer unendlich langsam erscheinenden Bewegung die Granate werfen darf. Im Zuge dessen kassiert er gern mal zwei, drei Treffer und der Vorteil des schnellen Ausschaltens der Gegner ist dahin. Erwähnenswert sind noch die Motorrad-Einlagen, die euch zwischen den eigentlichen Action-Adventure-Stealth-Passagen durch die Stadt führen (ein wenig wie im ersten No More Heroes). Die einen würden sagen, die Steuerung ist ein Graus, die anderen, sie sei eine konsequente und anspruchsvolle Nutzung der Analogfunktion der Dreamcast-Schultertasten. Gewöhnungsbedürftig trifft es auf jeden Fall.

headhunterDiese Defizite ähneln denen, die mir bereits bei einem anderen ambitionierten Dreamcast-Release die Spielerfahrung vermiest haben: Omikron – The Nomad Soul. Allerdings kam dort, ungeachtet der bestenfalls durchschnittlichen Grafik, noch eine höllische Framerate hinzu. Das kriegt Headhunter glücklicherweise viel besser hin und schaut dabei auch heute noch ganz annehmbar aus.


…und nicht in irgendeiner Wand feststecke…

Habe ich mich mit der Steuerung dann doch noch einigermaßen arrangieren können, so tritt Jack Wades anderer großer Widersacher vor allem im späteren Spielverlauf zutage: Dass ich eine relativ lange und von Rücksetzpunkten freie Mission ohne Eigenverschulden dreimal in Folge neustarten muss, weil drei verschiedene Bugs ein ums andere Mal das Gelingen unmöglich machten, habe ich auf einer Konsole wohl noch nirgendwo gesehen. Dabei zeichnen sich die Bugs durchaus durch Originalität aus: Zunächst verdeckte der tote Körper eines Gegners nach einem Gefecht den Blick auf genau den Bildschirm, den zu betrachten zu diesem Zeitpunkt notwendig gewesen wäre. Bei einem weiteren Versuch nahm es mir das Spiel offenbar übel, dass ich inmitten des Ladevorgangs zwischen zwei Arealen die Taste fürs Pausenmenü gedrückt haben musste: Am Ende der Ladezeit erwartete mich zuerst das Pausenmenü, nach dessen Verlassen ein unerklärliches Game Over.

Ein Andermal verlor ich wegen eines Bugs nicht nur die Mission, sondern musste gleich eine gute Spielstunde wiederholen, weil sich das Spiel bei der Itemauswahl im Pausenmenü komplett aufgehängt hatte. Ein weiteres Mal blieb Jack in einer Wand stecken und ein Konsolen-Neustart ließ sich nur vermeiden, weil ich ausreichend Granaten dabei hatte, um mich selbst hochzujagen. Mehrere Male startete das Spiel ohne Tonausgabe, was mich zuerst an meiner Dreamcast, meinem Scartkabel, meinem TV-Gerät zweifeln ließ. Auch sehr „originell“: Jack verlässt den Raum durch eine Tür, die Action geht weiter, nur die Kamera bleibt im vorangegangenen Raum zurück. Blind taste ich mich dorthin zurück und kann die Kamera beim zweiten Versuch nun doch noch davon überzeugen, mir in den nächsten Raum zu folgen.

Ein Bereich verdient dann aber doch noch uneingeschränktes Lob: die Akustik. Effekte und Sprachausgabe sind schon sehr gelungen, vor allem aber gehört der orchestrale Soundtrack zum Besten, was man auf der Dreamcast hören darf. Richard Jacques, der sich auch schon für die geradezu bösartig ohrwurmigen Songs in Metropolis Street Racer verantwortlich gezeichnet hatte, hat Kompositionen zustande gebracht, die sich trotz ihres Orchestercharakters dynamisch an das Spielgeschehen anzupassen vermögen und auch in Sachen Aufnahme- und Tonqualität auf hohem Niveau befinden. Das erklärt dann auch, warum dem Soundtrack die Ehre zuteil wurde, beim ersten symphonischen Spielemusikkonzert außerhalb Japans aufgeführt zu werden: Im Rahmen des allerersten Games Convention Eröffnungskonzertes im August 2003 wurde eine Suite aus Kompositionen aus Headhunter und seinem XBox/PS2-Nachfolger Headhunter Redemption im Leipziger Gewandhaus vor großem Publikum von einem Symphonieorchester dargeboten.


…dann kann ich mich am Ende eines langen Tages sogar noch um ein paar Bösewichte kümmern.

Das Fazit fällt dann auch erstaunlich einfach aus: Wer eine gewisse Frustresistenz mitbringt und der Meinung ist, sich mit der defizitären Steuerung und den unverschämt zahlreichen Bugs arrangieren zu können, der findet in Headhunter ein eigenständiges, sehr abwechslungsreiches und stellenweise packendes Spiel, auch heute noch. Rückblickend hat es der Titel nicht geschafft, in die Riege der ganz großen Dreamcast-Klassiker einzugehen, und das aus guten Gründen. Es ist immer wieder bedauerlich, wenn ein erfreulich ambitioniertes und auch handwerklich weithin sehr gut gemachtes Spiel an mangelnder Qualitätskontrolle oder einer zu knapp bemessenen Entwicklungszeit scheitert. Dennoch gibt es genug gute Gründe, warum Headhunter und die Entwickler von Amuze es verdient haben, in Erinnerung zu bleiben oder neu entdeckt zu werden. [sk]

Fun Fact: Stealth-Action, Antiterror und der Vorname Jack schienen im November 2001 gerade Konjunktur zu haben. Nicht nur erschien Headhunter in Europa fast zur selben Zeit wie Metal Gear Solid 2 in den USA und Japan. Der Monat sah auch die erste Staffel der TV-Serie „24“ mit Kiefer Sutherland in der Rolle des Jack Bauer. Auf einen ähnlich eingängigen Namen getauft, debütierte Kollege Sam Fisher wiederum genau ein Jahr später im ersten Splinter Cell.


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