Level 1-2 GP 09. England. M. Hakkinen. „Du hast dich für Intermediates entschieden. Plötzlich setzt starker Regen ein. Hintere deine Verfolger am Überholen!“

So, wie die Formel 1 seit Jahren in einer Popularitätskrise steckt, so locken Formel-1-Videospielumsetzungen heute kaum noch jemanden hinterm Ofen hervor. In den 90ern war das ein wenig anders und einige Zeit lang mischte Nintendo – sonst ja nicht gerade für die Nutzung von Fremdlizenzen bekannt – höchstselbst im Genre mit und zeichnete sich für den Vertrieb von insgesamt vier Formel-1-Games verantwortlich. Ausgabe 3/99 des deutschen Club Nintendo Magazins macht F1 World Grand Prix II auf dem N64 dann auch zur Titelstory und widmet dem Spiel ganze acht Seiten. Die erste Handheld-Portierung des Franchises wird im selben Heft mit weiteren vier Seiten bedacht. Dazu kommen eine ganzseitige Werbeanzeige sowie ein viertelseitiger Artikel zum Konkurrenztitel von Ubisoft, Racing Simulation 2. Sogar der N-Gang-Comic dieser Club Nintendo Ausgabe steht ganz im Zeichen der Formel 1.

Was mich angeht, so habe ich kaum irgendein Rennspiel je so intensiv gespielt wie F1 World Grand Prix auf dem Nintendo 64. Längst mag es technisch ausgefeiltere und realistischere Formel-1-Games geben, doch für mich sind Paradigms (Pilotwings 64) Erstling aus dem Jahre 1998 sowie sein direkter Nachfolger die bis heute in ihrer Gesamtheit gelungensten, unterhaltsamsten Formel-1-Videospiele, die es je gab. Nachdem ich vor einiger Zeit auch schon die Dreamcast-Umsetzung der nur anfangs Nintendo-exklusiven Reihe nachgeholt habe, darf ich knapp siebzehn Jahre nach ihrer Veröffentlichung nun endlich auch ein Modul der GameBoy-Color-Fassung mein Eigen nennen.

Eine vorgeblich ernsthafte Formel-1-Simulation für den GameBoy Color – lohnt sich das? Bzw. lohnt sich das, siebzehn Jahre nach Release? Ruft man sich die Limitierungen des Handhelds einmal zurück ins Gedächtnis, kann man da nur skeptisch sein: Anders als der an ambitionierten Rennspielen reiche Game Boy Advance beherrschte dessen Vorgänger noch keine Mode-7-Effekte, sodass Rennspielen aus der Verfolgerperspektive zwangsläufig nur äußerst limitierte Möglichkeiten offenstanden. Auch F1 World Grand Prix folgt der in ihren Grundzügen schon seit F1 Race (1990) etablierten Darstellungsart und Spielmechanik. Anders als seine in Sachen Realitätsnähe und Detailverliebtheit nach wie vor beeindruckenden großen Brüder auf dem N64 kann man F1 World Grand Prix auf dem Game Boy Color dann auch schwerlich als Simulation betrachten. Mit echtem Fahrgefühl hat das Gebotene schlicht nichts zu tun, wie auch die Strecken lediglich mit Blick auf ihre Grundrisse Wiedererkennungswert haben, nicht aber die in eher symbolischer als ikonischer Beziehung zur Realität stehenden einzelnen Kurven und Schikanen.

Ein schlechtes Spiel ist F1 World Grand Prix deswegen nicht: Die Spielbarkeit ist tadellos, Steuerung und Fahrverhalten exakt und spielmechanisch konsequent und nachvollziehbar. Das Geschwindigkeitsgefühl ist in aller Regel ganz enorm, nur leider hat der Titel mit dramatischen Slow-Downs zu kämpfen, wann immer sich beim Durchfahren einer Kurve zwei oder mehr gegnerische Fahrzeuge auf dem Bildschirm befinden. Auch die Kollisionsabfrage erlaubt sich einige Aussetzer. Unspielbar wird F1 WGP dadurch glücklicherweise nicht und generell ist der Schwierigkeitsgrad erstaunlich ausgewogen, sodass meine Rennen (auf dem leichteren der beiden Schwierigkeitsgrade) mit so realitätsnahen wie nachvollziehbaren Resultaten enden. Das Spiel ist fordernd, aber nie unfair. Das Erreichen einer guten Platzierung erfordert vor allem Konzentration und Disziplin, womit sich F1 WGP auch hier sehr ernsthaft gibt, entgegen aller hardwarebedingten Realitätsferne.


56 Farben, 16 MBit, 8,338 MHz und 765 PS

Neben der Strecke und auf dem Papier beweist das Spiel viel Liebe zum Detail und ist damit zumindest formal ganz nahe an der Realität, was im Handheld-Bereich bis dahin einmalig gewesen sein dürfte und so manchen zeitgenössischen Reviewer ins Staunen versetzt hat (siehe Link unten). F1 World Grand Prix bietet das ganze Programm dessen, was zur Formel 1 dazu gehört: Alle 11 Teams und 22 Fahrer der 1998er Saison (ausgenommen Jacques Villeneuve, da der kein Mitglied der Formel-1-Fahrervereinigung GPDA war). Komplette Rennwochenenden mit freien Trainings, Qualifikation, Warm-Up und Rennen. Boxenstopps, Schadensmodell, unterschiedliche Wetterbedingungen, und nicht zuletzt eine große Menge an Fahrzeugeinstellungen, die einen tatsächlich sehr starken und im Rahmen der Möglichkeiten des GBC auch durchaus nachvollziehbaren Einfluss aufs Fahrverhalten haben. Das alles sorgt dafür, dass am Ende eben doch echte Formel-1-Atmosphäre aufkommt und man mit Heinz-Harald Frentzen, Eddie Irvine und Jean Alesi in Nostalgie schwelgen kann.

Besonders beeindruckt mich, wie stilvoll F1 WGP auf dem GBC ausschaut; stilvoll ist genau das richtige Wort. Die Boliden bestechen durch klare Linien, die Hintergründe durch eine stimmungsvolle Farbpalette. Unterschiedliche Wetterverhältnisse und der individuelle Lokalkolorit der Rennstrecken kommen allein schon durch die Wahl der Farben sehr gut rüber. Damit beweist F1 World Grand Prix, dass auch 56 simultan darstellbare Farben zu edler Subtilität gereichen können. Nur die Menüs sind optisch sehr fade geraten. Der Sound, der aus dem GameBoy tönt, hat mit echten Motorengeräuschen natürlich nichts zu tun. Er trägt trotzdem viel zur Stimmung und zum Spielgefühl bei, da ihr anhand des Motorengeräusches etwa die Drehzahl und Geschwindigkeitseinbußen in Kurven auch akustisch recht genau wahrnehmen könnt, ohne euren Blick auf die Instrumente richten zu müssen.

Ein besonderes Highlight und Alleinstellungsmerkmal des Franchises hat es auch in die GameBoy-Fassung geschafft: Im Szenario-Modus werdet ihr in auf realen Ereignissen der 98er Saison basierende Rennsituationen geworfen und müsst kurze, aber spannende Aufgaben erfüllen. Aufgrund der eingeschränkten Spieltiefe mag dieser Modus nicht ganz so faszinieren wie auf dem N64, dürfte für Formel-1-Interessiere aber schon aufgrund seiner historischen Rennsituationen reizvoll sein. Da ein Szenario in der Regel nicht mehr als eine Rennrunde umfasst, ist gerade dieser Modus ideal für unterwegs und zwischendurch. Ferner bietet F1 WGP einen batteriegestützten Speicher für bis zu drei Spielstände. So könnt ihr etwa den Grand Prix Modus nach Belieben (auch inmitten eines Rennwochenendes) unterbrechen und später fortsetzen. Den 2-Spieler-Modus habe ich leider nicht ausprobieren können.

F1 World Grand Prix legte den Grundstein für eine ganze Reihe von ambitionierten Formel-1-Simulationen auf dem Game Boy Color. Da ist einmal der direkte Nachfolger zu nennen. Während bei F1 World Grand Prix II auf dem N64 nur Feintuning betrieben wurde, scheint sich der zweite Teil auf dem Game Boy Color recht deutlich vom ersten zu unterscheiden. Fast zeitgleich erschien auch die GBC-Version von Ubisofts F1 Racing Championship. Schon bei der Betrachtung von Screenshots mutet diese außerordentlich ambitioniert an – Cockpitperspektive mit funktionierenden Rückspiegeln! – scheint aber einige Ecken und Kanten zu haben. Der letzte Beitrag zum Genre kam von EA, deren F1 Championship Season 2001 aber offenbar nur das ist, was solche GameBoy-Ports oft waren: billige Cash-Ins mit großen Lizenzen.

Nun wartet der Hungaroring auf mich. In Hockenheim ist meine Boxenstrategie aufgegangen und ich habe den zweiten Grand-Prix-Sieg in Folge eingefahren. Wenn ich fünf Rennen vor Ende der Saison genau einen Punkt hinter dem in der Fahrerwertung erstplatzierten Mika Häkkinen liege, dann macht das kleine Spiel ganz sicher ganz viel richtig. [sk]


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