Streng nach Lehrbuch

Halb-Dschinn Shantae dürfte heute zu den populärsten Indie-Charakteren überhaupt gehören. shantae_int_05_thumbDas ist keine Selbstverständlichkeit: Es ist der Unnachgiebigkeit der WayForward-Entwickler, vor allem Matt Bozons, und ihrem Vertrauen in die Heldin zu verdanken, dass uns Shantae nach fast fünfzehn Jahren mit gerade einmal drei veröffentlichten Titeln noch erhalten ist: Hervorragenden Kritiken zum Trotze war der erste Serienteil auf dem GameBoy Color ein kommerzieller Misserfolg. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass zum Zeitpunkt des Releases im Sommer 2002 der GameBoy Advance bereits seit rund einem Jahr auf dem Markt war. In der Folge versuchte sich WayForward an Nachfolgern für den GBA und den Nintendo DS, die an Ermangelung an Unterstützung durch die Publisher aber nie das Licht der Welt erblickten. Erst 2010 veröffentlichte WayForward schließlich in Eigenregie eine Fortsetzung: Gefeiert als einer der besten Titel auf Nintendos erster Handheld-Downloadplattform DSiWare, konnte das Spiel diesmal einen gewissen Erfolg verbuchen. Vier Jahre später erschien der dritte und bis heute letzte Serienteil in den eShops des 3DS und der WiiU, und mittlerweile auch auf weiteren Plattformen. Einmal mehr mit Höchstwertungen bedacht, war der Reihe spätestens mit Shantae and the Pirate’s Curse der endgültige Durchbruch gelungen. Der Logik folgend, dass sich die Veröffentlichungsspanne zwischen zwei Shantae-Games mit jedem neuen Teil halbiert, dürfen wir einen runderneuerten vierten Teil, Half-Genie Hero, noch in diesem Jahr erwarten.

Im Rahmen des ersten sogenannten Humble Bundles auf einer Nintendo-Konsole hatte nun auch ich meinen ersten Kontakt mit der Serie, die auf mich schon immer einen recht sympathischen Eindruck gemacht und von der ich selbstverständlich sehr viel Gutes gehört hatte. Mein Ersteindruck war eher ernüchternd: So wie sich die Serie ihren Platz im Herzen der Spieler mühsam erarbeiten musste, so dauerte es auch seine Zeit, bis Shantae and the Pirate’s Curse es endlich vermochte, mich zu fesseln. Die sympathischen Grafiken und die tadellose Spielbarkeit konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass Spielaufbau und Spielmechanik ausgesprochen vorhersehbar daherkamen. Shantae and the Pirate’s Curse ist ein Spiel wie aus dem Lehrbuch. Das ist zugleich seine Stärke und sein größtes Problem.

Im Prinzip machen die Entwickler in diesem Metroidvania-Lite kaum irgendwas falsch; sie machen vielmehr alles richtig. Ob es nun das schrittweise Heranführen des Spielers an die zahlreichen Moves und Spielelemente ist, die cleveren Levelaufbauten, oder der Spannungsbogen und der Witz der Story – alles greift wunderbar ineinander und hat einen Feinschliff, eine Ausgewogenheit, wie sie nur die wenigsten Spiele bieten. Es ist offensichtlich, dass das Entwicklerteam um Matt Bozon die dem Genre zugrundeliegende Formel tief verinnerlicht hat, und tatsächlich ist ihnen eine quasi formvollendete Umsetzung des Metroidvania-Prinzips gelungen, die noch dazu mit wunderschönen Sprites, malerischen Hintergründen und einem eigenständigen Charakterdesign aufwartet…

…und doch empfand ich das Spiel gerade zu Beginn fast schon als langweilig. Wäre ein anderes, packenderes Spiel des Weges gekommen, es wäre wohl nicht ausgeschlossen gewesen, dass ich Shantae ganz zur Seite gelegt hätte. Das Spiel konnte mich zeitweise kaum zum Weiterspielen motivieren, was vor allem daran gelegen haben dürfte, dass mir das Gameplay allzu vertraut und vorhersehbar erschien. Eigentlich wirkt Shantae gar nicht retro, allerdings verdammt bekannt: Jeden Levelaufbau und jede Spielmechanik hatte ich gefühlt schon in Dutzenden vergleichbaren Spielen gesehen, und dabei spiele ich aus diesem Genre gar nicht so viele. Dass ich dennoch dran blieb, lag wohl daran, dass Shantae zwar kein sonderlich packender, und schon gar kein überraschender, aber doch ein genügend unterhaltsamer und fast entspannender Zeitvertrieb war, dessen tadellose Spielbarkeit sicher stellte, dass ich mich nicht zumindest ärgerte. Zudem offenbarte mir der prozentuale Spielfortschritt, dass das Durchspielen wohl ohnehin nicht allzu lang dauen würde (ungefähr zehn Stunden ohne Vorkenntnisse). Ich setzte meine Suche nach Unheil stiftender, dunkler Magie fort, und siehe da, es sollte sich lohnen.

Etwa ab der Spielmitte hat es Shantae dann nämlich doch noch geschafft, dass ich gern in ihre Welt zurückkehrte und sehen mochte, in welche neuen Umgebungen sie mich mit welchen neuen Moves noch entführen würde. In den letzten zwei, drei Spielstunden konnte ich mich von Shantae und ihren Abenteuerer sogar kaum mehr losreißen, bis ich nicht auch das letzte Secret aufgestöbert hatte. Das soll nicht heißen, dass Shantae plötzlich mit einer Fülle an originellen Ideen aufgewartet hätte – im Gegenteil; gerade die letzten Fähigkeiten, die Shantae erlernt, ähneln denen aus Metroid doch sehr. Doch so wenig originell Shantae hinsichtlich seiner Spielmechanik und des Spielaufbaus auch ist, so ist das klassische Metroidvania-Prinzip – kompetent umgesetzt – doch immer wieder packend, und zwar spätestens dann, wenn allein die Fülle der unterschiedlichen Fähigkeiten dem Gameplay eine gewisse Komplexität verleiht, WUP-N_BSXE_gameplay_4und wenn die Levels auch hinsichtlich ihrer Ansprüche an die Geschicklichkeit endlich etwas herausfordernder werden.

Das Grundproblem als solches löst sich damit freilich nicht in Luft auf. Echte Exzellenz lässt Shantae in spielmechanischer Hinsicht vermissen, und genuin neue Ideen noch viel mehr. Das Problem liegt meines Erachtens darin, dass die Entwickler es versäumen, mit der bewährten Formel, die sie so gut beherrschen, an der einen oder anderen Stelle zu brechen. Der Effekt dieser rigiden Linientreue ist der, dass der Spielverlauf zu jedem Zeitpunkt unheimlich vorhersehbar ist, und dass Shantae, ungeachtet allen Feinschliffs, doch in Ermangelung eines echten spielmechanischen Alleinstellungsmerkmals, mitunter ziemlich durchschnittlich wirken kann. Derjenige, dem das Genre fremd ist, wird sich am formelhaften Spielaufbau womöglich nicht stören oder wird diesen nicht einmal als formelhaft wahrnehmen, sondern die gebotene Nähe zur Perfektion genießen. Um in Shantae and the Pirate’s Curse allerdings ein spielhistorisches Meisterwerk zu sehen, fehlt mir bei diesem Spiel der Mut, über die Grenzen des Erprobten hinaus zu gehen, was notwendig wäre, um die Erwartungen von Genre-Kennern zu unterlaufen und diese zum Staunen zu versetzen.

That Old Black Magic

Ein Boss in der Spielmitte weist euch selbstironisch darauf hin, dass nun sein Auftritt als „Filler Boss“ gekommen sei, und nachdem ihr ihn besiegt habt, träumt er vorfreudig davon, wie er in Zukunft als Ice-Variante zurückkehren oder euch mit neuen Duplizierungs-Moves verwirren könnte. Dass man sich der eigenen Streberhaftigkeit demnach bewusst ist und Shantae auch mal parodistische Züge annimmt, ändert am Problem selbst leider nichts. Es zeigt allerdings, wo die genuinen Stärken des Titels liegen: In den erzählerisch-künstlerischen Bereichen nämlich. Gerade beim Charakterdesign, aber auch in einzelnen Episoden der Story beweisen die Entwickler wirklichen Einfallsreichtum. Dabei fällt auf, wie erfrischend feminin das Spiel ist, ohne dass dieser Umstand jemals aufgesetzt wirken oder zum bloßen Selbstzweck verkommen würde. Der Titel bedient sich neben Shantae noch vieler anderer weiblicher Charaktere, sodass Shantae and the Pirate’s Curse zu den ganz wenigen Videospielen gehört, in denen einer weiblichen Figur nicht nur eine der Hauptrollen zufällt, sondern deren Narration tatsächlich vornehmlich von weiblichen Charakteren dominiert und getragen wird. Was hingegen die recht ausgeprägt sexualisierten Darstellungen einiger Charaktere anbelangt: Das kann man mögen, oder halt auch nicht. Ich persönlich finde, Shantae ist ein fantastischer Charakter, selbstbewusst und liebenswürdig und durch und durch originell. Hinsichtlich ihres Wiedererkennungswertes kann sie selbst neben den großen Maskottchen der Industrie bestehen. WUP-N_BSXE_gameplay_3-replacementDie auffällige Akzentuierung ihres Schambereiches, sowie desselben bei anderen Charakteren, finde ich aber trotzdem eher befremdlich.

Ein paar kritische Worte möchte ich aber auch noch verlieren: Diese betreffen zunächst einmal das Gegnerdesign. Optisch durchweg ansprechend designed, sind spielerisch allerdings nur die (späteren) Endbosse wirklich interessant. Die Kämpfe gegen die regulären Feinde (von denen die Levels nur so strotzen, und von denen einige ordentlich einstecken können) empfand ich eher als störend denn spannend, sodass ich diesen Gegnern gerade im späteren Spielverlauf oft nur noch aus dem Weg ging (was sie allerdings nicht weniger nervig machte). Ich hätte mir weniger, doch spielerisch interessantere Gegner gewünscht, die zu bekämpfen unterschiedliche Strategien erfordern würde, doch leider wird derartiges nur in den seltensten Fällen geboten und ansonsten dümpelt alles recht gleichförmig vor sich hin.

Ein weiteres Problem ist das doch recht umfassende Backtracking. Das gehört zum Genre natürlich irgendwie dazu, und im Zuge des nochmaligen Besuchens einzelner Level entdeckt man auch immer wieder das eine oder andere Secret, das zu erreichen zuvor noch unmöglich war. Doch gepaart mit dem Umstand, dass mitunter unklar sein kann, wo man sich als nächstes hinbegeben soll und somit mehr umher rennt als eigentlich notwendig, kann das schon Überhand nehmen. Damit habe ich ein weiteres Problem schon angesprochen: Den Mangel an Hinweisen. Es kommt hin und wieder vor, dass ihr für einen NPC einen bestimmten Gegenstand besorgen sollt, oder dass ihr ein Item erhaltet, das irgendeine Figur zu einer für den Spielfortschritt notwendigen Reaktion veranlasst. Wer allerdings nicht aufpasst und die Dialoge aufmerksam mitliest, und darin versteckte Hinweise erkennt und sich einprägt, ist schnell aufgeschmissen und hat keine andere Wahl, als die Levels auf gut Glück zu durchforsten oder noch einmal mit allen NPCs zu reden. Natürlich kann man es als Ausdruck eines gehobenen Schwierigkeitsgrades ansehen, dass einem nicht jedes Ziel auf dem Präsentierteller dargeboten oder mehrfach unter die Nase gerieben wird. Aufmerksamkeit wird belohnt, und im Angesicht dessen, dass Hinweise ja nicht vollkommen fehlen, ist das vollkommen akzeptabel. B40C02363E3BA2B48405621AB39C6BA9CD0A2F2EDennoch fällt das Spiel in dieser Punkt ziemlich offensichtlich aus dem Rahmen, der durch den Schwierigkeitsgrad in anderen Bereichen vorgegeben wird: Egal ob die Kämpfe gegen die Gegner, die Sprungpassagen oder kleinere Kopfnüsse – mit Ausnahme des allerletzten Dungeons kommt Shantae relativ einfach daher. Wer sich mit ordentlich Potions eindeckt, Geld ist genug da, wird auch mit mittelmäßigem Geschick kaum Probleme haben, durch die Levels zu kommen.

Und wenn auch ich in meiner Rezension eher die Kritikpunkte herausgestellt habe: Shantae and the Pirate’s Curse ist ein tolles Spiel, das Genre-Liebhabern wie auch -Neulingen gleichermaßen empfohlen werden kann, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Vorbehalten. Einige kleinere Kritikpunkte fallen überhaupt nur deswegen ins Auge, weil der Rest des Spiels so sauber strukturiert und umgesetzt worden ist. Dennoch ist es schade, dass sich Shantae im Bereich des Gameplays damit zufrieden gibt, ausgetretenen Pfaden ganz wie beim Malen nach Zahlen zu folgen, und nicht die ausgeprägte Originalität und den Witz zum Ausdruck bringt, den es in der lebendigen Levelgestaltung und gerade beim Charakterdesign beweist. Wer spielerische Innovationen sucht, sollte also woanders suchen. Wer ganz es bewusst nach einem süßen Genre-Game dürstet, das in spielerischer Hinsicht keine Experimente wagt, der wird bei Shantae fündig. Ließ mich das Spiel anfangs noch unbeeindruckt, habe ich letztlich sogar Lust darauf bekommen auch den Vorgänger zu spielen. Ein Blick auf dessen Trailer macht mir glauben, dass innerhalb der Serie doch einige Abwechslung geboten wird.