Oder: Der Widerstand gegen Sexismus-Kritik an Videospielen
Ich versuche heute mal, mich kurz zu fassen und komme gleich zum Punkt:
Ob Dead or Alive Xtreme 3 nun ein leidlich unterhaltsames oder ein grottenschlechtes Spiel ist, ob die sexualisierten Darstellungen der Protagonistinnen als sexistisch zu werten sind, und wie entschieden man diesen Sexismus verdammt, oder verharmlost, oder ob man das Spiel nicht ohnehin doch gerade wegen diesen sexualisierten Darstellungen spielt, und inwiefern das dann wiederum verwerflich wäre – das sind Fragen, auf die hier nur ganz am Rande eingegangen werden wird und auf die an anderer Stelle eine Antwort gesucht werden sollte. Einen besonders klugen Beitrag zur aktuellen Debatte um (angeblichen) Sexismus und (angebliche) Zensur habe ich vor einigen Tagen erst verlinkt.
Mir soll es an dieser Stelle einmal nur darum gehen, auf welche Weise NplusX.de und Redakteur Andreas Held mit der Problematik umgehen, und auf welcher Basis sie argumentieren. Ich muss gestehen, dass ich mit NplusX.de (zuvor WiiUX.de, davor NintendoWiiX.net und GameCubeX.net; und irgendwann hatte die Site im deutschsprachigen Raum sogar mal eine gewisse Relevanz) ohnehin so meine Schwierigkeiten habe, aber der aktuelle Importest zu Dead or Alive Xtreme 3 ist, wie ich finde, ein weiterer Tiefpunkt in der Berichterstattung. Es zeigen sich an diesem Beispiel aber auch sehr schön einige grundsätzliche Probleme, die einer sinnvollen Entwicklung solcher Debatten immer wieder im Wege stehen.
Die Verschwörungstheorie
Eigentlich kann man ans Helds merkwürdig verkrampftem Artikel allerhand kritisieren, aber ob er langweilig und schlecht strukturiert ist, tut hier wenig zur Sache. Interessanter und auch bezeichnender ist, wie sich der Autor dagegen erwehrt, wenn kritische Ansichten zur sexualisierten Darstellung der Protagonistinnen die Wertungen für Dead of Alive Xtreme 3 mutmaßlich negativ beeinflussen. Held spricht solchen Sichtweisen nicht nur ihre Legitimität ab (worauf ich weiter unten zu sprechen komme), er wittert auch eine regelrechte Verschwörung.
In Bezug auf die teils vernichtenden Wertungen der Fachpresse merkt er zunächst an: „Die Tester führen dabei das Fehlen von Spielinhalten als Grund für ihr negatives Urteil an.“ Für eine Site, die tendenziöse Mutmaßungen schon seit einigen Jahren als betont kritische Haltung verkauft, ist es es nicht überraschend, sich den Vermutungen empörter Kommentatoren anzuschließen: „Viele Leser sind jedoch der Meinung, dass auch die subjektive Grundhaltung der Autoren zu bestimmten gesellschaftspolitischen Themen bei der Wertungsfindung eine entscheidende Rolle spielte.“ Meine eigene erste Reaktion auf diesen Verdacht war ja: „Und wenn schon?“, aber darauf komme ich später zu sprechen. Held schließt sich solchen Mutmaßungen auf jeden Fall an: „Vor allem im Hinblick auf die sonstige Berichterstattung der Magazine, die Dead or Alive Xtreme 3 schlecht bewertet haben, darf man also zumindest die begründete Vermutung äußern, dass möglicherweise auch andere Faktoren bei der Beurteilung des Titels eine Rolle gespielt haben.“
Ich hätte vielleicht wirklich einmal nachfragen sollen, von welchen „großen Magazinen“ mit welcher „sonstigen Berichterstattung“ Andreas Held in seinem Artikel konkret spricht, aber sei’s drum. Held selbst bemüht zur Untermauerung seiner „begründeten Vermutung“ einen absurden Vergleich mit dem jüngsten Mario-Tennis-Ableger (oh, das PS4-Game Xtreme 3 hat also eine bessere Grafik als das WiiU-Game Mario Tennis, ganz erstaunlich). Wenn Mario Tennis doch „eigentlich“ weniger Content biete, und eine weniger aufwändige Präsentation, und dann trotzdem den „höheren Metascore“ aufweisen kann, dann müssen in den Augen des NplusX-Redakteurs irgendwelche unlauteren Motive eine Rolle gespielt haben.
Dead or Alive Xtreme 3 ist sicherlich kein relevanter Beitrag zur Videospiel-Historie, aber ich habe in einige der bei Metacritic verlinkten Reviews einmal reingeschaut und den Eindruck bekommen, dass die Tester gerade im Falle von Xtreme 3 besonders unvoreingenommen und sensibel an die Sache herangegangen sind. Der Tenor ist mitnichten der, dass der sogenannte „Fanservice“ den Titel schädige – viel eher wird dieser Aspekt als einer von wenigen herausgestellt, die ein dahingehend interessiertes Nischenpublikum zufrieden stellen könnten. Ferner erscheinen mir als „Laie“ die Verweise auf das offenbar gesunkene Budget und dem gegenüber den Vorgängern reduzierten Umfang als recht objektive Begründungen für die niedrigen Wertungen (und nicht dass es viel zur Sache täte, aber bei Metacritic sind es aktuell 58 Punkte für Mario und 41 für Xtreme, womit sich beide Franchises nicht eben mit Ruhm bekleckert haben und deutlich unterhalb der eigenen Vorgänger rangieren). Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass in die Wertungen Ansichten eingeflossen sein könnten, die in den Beitragstexten unerwähnt bleiben – aber das ist in meinen Augen nichts als haltlose Spekulation.
Deutschlands großen Spielesites habe ich auch einen Besuch abgestattet und fand dabei das gleichermaßen fundierte und kurzweilige Review bei 4Players.de ganz interessant: Die Wertung fällt auch dort niedrig aus, doch kann man Autor Mathias Oertel gewiss nicht vorwerfen, dass er ein Problem mit einem Zuviel an Sexualität in Xtreme 3 hätte – er beschreibt den Umfang der Freizügigkeit recht detailliert, stuft das Gebotene als harmlos, „zahm und züchtig“ ein und hätte kein Problem damit, würde das Spiel etwas Provokanteres wagen – von einer Abwertung wegen zu viel nackter Haut also auch hier keine Spur.
Der kleine Unterschied
Doch zurück zu NplusX. Deren Review zu Xtreme 3 ist ein typischer Ausdruck der NplusX’schen Selbstgerechtigkeit: „Rein objektiv betrachtet ist Dead or Alive Xtreme 3 ein ziemlich belangloses Spiel“, resümiert Held. Das kann gut sein. Dennoch frage ich mich, mit welch „objektiver“ Methodik sich Belanglosigkeit wohl messen lässt? Ich möchte ganz gern festhalten: „Rein objektiv betrachtet, ist Dead or Alive Xtreme 3 ein ziemlich sexualisiertes Spiel.“ Das ließe sich auch „objektiv“ – sprich sogar wissenschaftlich – begründen, und ich wage sogar zu behaupten, wer den Darstellungen in Xtreme 3 ernsthaft abspricht, nicht wenigstens „sexualisiert“ zu sein, dem ist nicht klar, was das Wort bedeutet. Im Falle von Xtreme 3 ist die Sexualisierung der DoA-Protagonistinnen zudem nicht nur gewollt, sondern Kaufkriterium.
Nicht länger nur sexualisiert, sondern bei aller Harmlosigkeit unangenehm sexistisch ist Xtreme 3 für mich indessen in dem Punkt, dass der Spieler den Inselurlaub ausschließlich mit weiblichen, nicht aber mit männlichen Protagonisten der Prügelspiel-Hauptserie verbringen kann. Das soll keinesfalls heißen, dass ich möchte, dass die Entwickler gezwungen werden sollten, solche in ihr Spiel zu integrieren. Nur muss man – egal ob als Entwickler, Spieler oder Games-Redaktuer – dann halt auch damit leben können, wenn eine solche Spielgestaltung im Rahmen einer Sexismus-Kritik thematisiert wird. Ich bin mir sicher, die Reaktionen wären anders ausgefallen, würden die männlichen Charaktere gleichermaßen sexualisiert am Strandurlaub teilnehmen.
Dabei ist mir in letzter Zeit aber auch häufiger aufgefallen, dass einige offenbar den Unterschied zwischen Sex und Sexismus nicht kennen (etwa NplusX-Kommentarschreiber Tobsen) – oder nicht kennen wollen, oder vielleicht sogar eine ganz bewusste Verdrehung betreiben, um die Position der Gegenseite absurd erscheinen zu lassen. Es mag ja tatsächlich ein Dutzend verklemmter Hinterwäldler geben, die Sexuelles in Medien grundsätzlich ablehnen (und die eher im selektiv prüden Amerika beheimatet sind als hierzulande). Allerdings habe ich solche Stimmen bisher nie als sonderlich prominent wahrgenommen; und wenn, dann handelt es sich dabei um Personen, die i.d.R. genau dem entgegengesetzten politischen Spektrum angehören – Leute, die selbst gegen „political correctness“ und Gender anreden, und die Videospiele gern als kindgerechte Spielzeuge sehen wollen.
Es gibt mir also zu denken, wenn jemandem der Unterschied zwischen Sex und Sexismus offenbar nicht klar ist; mit „Feinheiten“ wie der Frage nach Sexualisierung braucht man da wohl kaum zu kommen. Als Folge dieser Ignoranz werden dann auch absurde Behauptungen aufgestellt und Fronten konstruiert, die so nicht existieren. Ich glaube nicht, dass dies der Rahmen ist, Leuten zu erklären, was Feminismus ist, oder welches die Grundannahmen von Gendertheorien sind. Nur so viel sei gesagt: Das, was man unter dem Wort Feminismus kennt, umfasst selbst eine ausgesprochen heterogene Menge von Strömungen, wobei dort gerade die Meinungen hinsichtlich der Darstellung und des Ausdrucks von Weiblichkeit und (weiblicher) Sexualität weit auseinandergehen. Gendertheorien wiederum stehen mit einigen Strömungen des Feminismus durchaus im Konflikt, und blickte man über den westlichen Kulturraum der Gegenwart hinaus, gestaltete sich alles noch einmal komplexer. Festhalten kann man dennoch folgendes: Feministinnen (und Feministen) wie auch Vertreter von Gendertheorien haben – in aller Regel – rein gar nichts gegen Sex, und nicht einmal etwas gegen erotische und sexualisierte Darstellungen per se. Daher entzündet sich auch keine besondere Kritik an den mitunter expliziten Darstellungen in The Witcher, und auch von der offen und selbstbewusst zur Schau gestellten Körperlichkeit einer Bayonetta zeigten sich einige männliche Kommentatoren in der Vergangenheit ungleich stärker provoziert als viele weibliche.
In jedem Fall gilt: Wo Sexualisierung vorliegt, hängt immer vom Kontext ab, und nicht etwa davon, wie viel nackte Haut man sehen kann oder wie groß die Brüste der weiblichen Charaktere sind. Umgekehrt braucht es weder Sex noch knappe Kleider, um in einem speziellen Fall von Sexismus zu sprechen. In Hinblick auf gewisse Anpassungen („Zensur!“) in einigen jüngeren Nintendo-Releases geht es sogar um Darstellungen bzw. Features, die in Europa und den USA von einer beträchtlichen Zahl von Leuten als tendenziell pädophil angesehen werden könnten – dass dem so ist, und dass solche Darstellungen in einigen Ländern sogar in den strafrechtlichen Bereich reichen können, das ist nicht Nintendos „Schuld“, die als Publisher Entscheidungen zu treffen haben, inwiefern ein Spiel an lokale Gegebenheiten angepasst werden muss oder sollte. Aus dem selben Grund möchte ich umgekehrt aber auch mit Kritik an den individuell verantwortlichen Urhebern solcher Darstellungen vorsichtig sein, da diese in einem anderem kulturellen Umfeld tätig sind, in dem solche Darstellungen offenkundig akzeptiert sind. Ob diese Akzeptanz eine harmlose Spielart der japanischen Kultur ist, die man zu respektieren hat, oder eine Perversion darstellt, für die man Japan sogar als Außenstehender kritisieren sollte, das ist wahrlich ein ganz anderes Thema.
Nachdem wir nun gesehen haben, welche Gespenster der NplusX-Autor sieht, wenn ein schlechter Metascore mit Sexismus-Kritik korreliert, und wie stark die öffentliche Gegenreaktion auf Sexismus-Vorwürfe durch Unwissen und Ignoranz geprägt ist, bleibt folgende, grundsätzliche Frage jedoch bestehen: Gehört – d.h. darf oder sollte – eine solche, gesellschaftspolitisch begründete Kritik in einen Spieletest, oder ist sie eine der Zensur Vorschub leistende, die Freude am Spiel abtötende Praxis, die grundsätzlich abzulehnen legitim ist?
Im zweiten Teil dieses Artikels begebe ich mich auf die Suche nach einer Antwort auf diese Fragen. Ihr findet ihn hier.
Schöne Besprechung dieses schwierigen Themas. Ich kannte NplusX.de (und seine vielen Vorgänger) übrigens überhaupt nicht, hatte aber deinen Tweet gesehen und den Test daraufhin gelesen.
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Ach, wieder eine schöne Sexismus-Debatte. Ich mag es, wie du sarkastisch über die Wertung bzw. die Grafikunterschiede zu Mario Tennis schreibst. Musste laut lachen! Aber mal ehrlich, ich weiß doch was mich erwartet, wenn ich ein DOA-Titel in die Hand nehme. Komischerweise beschweren sich kaum Gamerinnen (wenn man weibliche Spieler so betiteln will) über den Sexismus, sondern ignorieren das Spiel oder haben ihre Freude daran. Sich über den Sexismus bei DOA aufzuregen, ist schon fast wie sich über einen starken Mann in Assassins Creed aufzuregen. Auf den Körper von Ezio und Altair sind bestimmt einige neidisch. Hier schreit allerdings keiner Sexismus – sind ja Männer. Sexismus funktioniert in beide Richtungen und Rezensionen werden immer zum großen Teil subjektiv sein. Genauso wird DOA immer sexualisiert sein, denn wie du schon geschrieben hast, ist dies eine Eigenschaft dieser Reihe. Das nur weibliche Charaktere spielbar sind, finde ich nicht wirklich schlimm. Es gibt genug Spiele, in denen man nur männliche Charaktere spielen kann, zugegeben ziehen die sich auch nicht gleich aus. Allerdings verstehe ich den Kritikpunkt und würde ihn selbst in einer Rezension auch ansprechen.
Eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist allerdings nicht nur spannend bzw. kann spannend sein, wenn gute Argumente vorliegen und keine radikalen Meinungen vorliegen, vielmehr ist die Auseinandersetzung auch notwendig. Videospiele gehören mit solchen Diskussionen zu einem ernst genommenen Medium, was mich immer wieder freut. Wie du schon gesagt hast, der Kontext ist wichtig und solange der für mich stimmig ist, geht mir der Sexismus, als Frau, am Hintern vorbei. :)
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Dass präskriptive Gendernormen auch auf Männer wirken, ist selbstverständlich richtig. Dass diese grundsätzlich (nicht nur im Falle von Games) seltener thematisiert werden, lässt sich dabei u.a. auf die bestehenden Ungleichheiten zurückführen, die eine solche Thematisierung überhaupt erst notwendig erscheinen lassen, bzw. im einen Falle dringlicher erscheinen lassen als im anderen. Aus der Assassins-Creed-Reihe habe ich nur AC III selbst gespielt und kenne daher auch nur Connor näher, nicht aber Enzo und Altair. Auf Basis meiner Kenntnis der Figur Connors halte ich AC allerdings für ein eher unpassendes Beispiel, gerade im Kontrast zu den männlichen Rollenbildern, die viele andere Actiontitel vermitteln. Es stimmt natürlich, dass Connor mit seiner generellen Stärke, mit maskulinen Gesichtszügen und maskulinem Körper, sowie seiner Fähigkeit, Gewalt auszuüben und zu töten, typisch maskulinen Idealen folgt – und das ist einer der Punkte, warum ich AC insgesamt für ein maskulines Spiel halte. Der andere Punkt ist übrigens der, dass fast alle handlungsrelevanten Charaktere männlich sind und das Spiel damit die Vorstellung unterstützt, dass Geschichte von Männern geschrieben wird. Da AC allerdings auf historischen Grundlagen aufbaut, möchte ich diesen Punkt den Entwicklern nicht ankreiden. Zumal sie mit Connors Mutter einen komplexen, von Stereotypen freien und dezidiert nicht sexualisierten Frauen-Charakter erschaffen haben. Andererseits bin mir gerade nicht sicher, ob AC III etwa den Bechdel-Test bestehen würde, möglicherweise nicht… Aber das ist ein anderes Thema.
So ich dich richtig verstanden habe, sprichst du ja von Sexismus gegenüber Männern, bedingt in der Konzeption der Assassins-Creed-Helden. Wie oben schon gesagt – die sehe ich durchaus als typisch maskulin. Allerdings erscheint mir Connor nicht nur immerhin ein bisschen weniger eindimensional als die Helden vieler anderer Actiontitel – d.h. Connor ist nicht Duke Nukem (wobei der ja schon wieder als Karikatur durchgeht, aber ich glaube, du verstehst, worauf ich hinaus möchte) – sondern es wird ihm (und, soweit ich das mit meinem sehr beschränkten Serienwissen überblicken kann, auch Enzo und Altair) auch ein weniger „maskuliner“ Hauptcharakter an die Seite gestellt, in Form der Figur Desmond Miles (wogegen sich die Diversität unter den DoAX3-Heldinnen doch in sehr engen Grenzen bewegt). Noch entscheidender finde ich aber, dass Connor, anders als die DoA-Xtreme-3-Heldinnen (und hier ist unbedingt zwischen der DoA-Hauptreihe und dem Xtreme-Spinoff zu unterscheiden), nicht vergegenständlicht wird.
Schließlich halte ich Connors visuelle Darstellung (und die von Enzo und Altair) nicht für sexualisiert – ganz im Gegenteil: AC III ist nicht nur generell ein geradezu prüdes Spiel, sondern das typische Assassinen-Outfit verschleiert seinen Körper fast vollständig und wirkt damit schon optisch geradezu desexualisierend (was konsequent ist, für ein an Mönchskutten angelehntes Design). Diese Desexualisierung ist einer der Gründe, warum ich finde, dass AC III – wenn es auch typisch maskuline Eigenschaften propagiert – diese Eigenschaften nicht explizit nur Männern zuschreibt. Soll heißen: Da AC III Connors Geschlecht nie in den Vordergrund rückt und es damit auch nicht impliziert, dass man unbedingt ein Mann sein müsse, um die Attribute „körperliche Stärke“, „Fähigkeit zu töten“, usw. zu besitzen, kann es umgekehrt auch nicht die Botschaft vermitteln, dass „ein Mann“ wie Connor sein sollte. Somit halte ich AC III aus einem Gender-Blickwinkel allenfalls hinsichtlich seines Mangels an handlungsrelevanten Frauenfiguren und seiner, für Actionspiele typischen, Betonung maskuliner Attribute für geringfügig problematisch, aber nicht hinsichtlich seines mutmaßlich vermittelten Männerbildes. Es liegt noch kein Fall von präskriptiven Sexismus vor, allein weil die Darstellung eines Mannes typisch maskulinen Attributen folgt; und für Frauen mit stereotypisch femininen Attributen gilt natürlich das selbe.
DoA Xtreme 3 hingegen erfüllt in meinen Augen praktisch alle Kriterien gängiger Sexismus-Definitionen. Das bedeutet noch nicht, dass das Spiel deshalb sonderlich problematisch wäre, und schon gar nicht, dass es individuell als problematisch empfunden würde. Und ob nun vornehmlich Frauen oder Männer die Darstellungen in Xtreme 3 kritisieren, halte ich höchstens für ein untergeordnetes (wenn auch nicht irrelevantes) Kriterium, das ja nicht den Vorwurf des Sexismus als solchem aus den Weg räumt: Präskriptive Gendernormen können nicht nur von Männern, sondern in gleichem Maße von Frauen internalisiert und reproduziert, verteidigt und bewahrt werden. Auf der anderen Seite sollte eine objektiv-wissenschaftliche Betrachtung der Definition nach vom Geschlecht des Betrachters unabhängig sein. Das bedeutet nicht, dass ein Games-Rezensent nur eine solche Art der Betrachtung vertreten dürfe, schreibt er doch i.a.R. nicht als Wissenschaftler. Es bedeutet aber, dass der oft als „Totschlagargument“ vorgebrachte Einwand, dass sich kaum eine Frau am mutmaßlichen Sexismus stören würde, den Vorwurf allein nicht entkräften kann. Denn in dem Moment, wo der Autor definiert hat, was er unter Sexismus versteht und das Spiel entlang dieser Definition betrachtet, ist Sexismus als Analysekategorie ja gerade nicht länger nur subjektiv. Man könnte dann den Einwand geltend machen, dass die Definition Mist ist; man könnte ggf. aufzeigen, dass der Autor mit zweierlei Maß misst und der Definition nicht folgt; oder man könnte schlicht erklären, dass das ja sexistisch sein mag – man persönlich aber darauf pfeift und sich den „Spaß nicht verderben“ lässt. Stattdessen geschieht es, dass Sexismus-Kritik generell als dem persönlichen Geschmack des Kritikers entsprungen abgelehnt und diesem finstere Absichten unterstellt werden, nur weil das eigene, und in dem Fall tatsächlich subjektive Empfinden mit den als sexistisch kritisierten Aspekten kein Problem haben mag. Umgekehrt gilt das natürlich ganz genau so – etwa wenn jemand The Legend of Zelda nun plötzlich als den Prototypen einer misogynistischen Hetero-Fantasie verdammt, weil ihm sein Wunsch nach einer weiblichen Geschlechtsoption verwehrt blieb, und er dabei blind wird dafür, warum gerade das Zelda-Franchise ihm die Erfüllung dieses Wunsches in Aussicht stellen konnte (aber dazu an anderer Stelle mehr).
Ich selbst bin übrigens der Meinung, dass DoA Xtreme 3 (nach gängigen Sexismus-Definitionen) ganz klar sexistisch ist, halte dieses Spiel im Speziellen aber zugleich für geradezu „harmlos“. Und zwar nicht deshalb, weil es so wenig Explizites zu sehen gibt (wie Held argumentiert; aber für Sexismus braucht es eben keinen Sex, nichts Explizites), sondern weil das, was es zu sehen gibt, dermaßen „over the top“ ist, dass ich mir schwer vorstellen kann, dass es das Frauenbild vieler Konsumenten ernstlich negativ beeinflussen könnte. Übertreibung kann bekanntlich in ironischer Umkehr resultieren (was wohl nicht die Absicht der Entwickler war, aber doch das Resultat sein kann) und so gibt Xtreme 3 vielleicht eher einen Eindruck von den einfältigen Sexualfantasien einiger Männer, als dass es ernstlich ein reaktionäres Frauenbild vermitteln könnte. Kurz gesagt: Da fehlt nicht viel, und dieses Machwerk könnte als Satire durchgehen. Den internalisierten und institutionalisierten Sexismus in (noch immer) der Mehrzahl aller Videospiele finde ich da weitaus problematischer und diskussionswürdiger.
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